Reorganisation

Drei Jahre Veränderungprozess: 
«Kein Stein blieb auf dem anderen»

Interhome ist europaweit die grösste Vermittlerin von Ferienhäusern und -wohnungen. Aktuell hat sie in 21 Ländern mehr als 46 000 Angebote. Um dieses Ziel zu erreichen, durchlief die seit 44 Jahren bestehende Firma grundlegende Veränderungsprozesse. Initiiert und durchgeführt hat sie der neue CEO Simon Lehmann zusammen mit dem Interhome-Team.

Simon Lehmann, Sie wurden 2005 CEO der Interhome AG. In welchem Zustand haben Sie das Unternehmen übernommen?

Simon Lehmann: Das Unternehmen wurde vom Verwaltungsrat der Hotelplan-Gruppe geführt. Interhome ist eine hundertprozentige Tochter der Hotelplan-Gruppe und erhielt mit meiner Ernennung erstmals seit zehn Jahren wieder einen eigenen operativen Geschäftsführer. Die Firma hatte keine Strategie, keine Vision, keinen Businessplan und auch die Unternehmenswerte waren nicht definiert. Wir haben in den letzten drei Jahren grosse Veränderungsprozesse eingeleitet und durchgeführt, etwa eine neue Kultur, eine andere Organisation, einen neuen Marktauftritt – es blieb quasi kein Stein auf dem anderen.

Was war der erste Schritt?

Die Vergangenheitsbewältigung. Es brauchte einen sauberen Schnitt. Ich habe deshalb mit den Geschäftsleitungsmitgliedern zuerst beleuchtet, was vorher gut lief, wo Erneuerungen notwendig waren. Dann haben wir zusammen mit Mitarbeitenden aus allen Ländern verschiedener Hierarchiestufen und Funktionen in einem Workshop unsere Stärken, Schwächen, Risiken und Chancen definiert. So entstanden eine Vision und ein Leitbild, die nicht aus dem Management heraus kreiert wurden, sondern von den Mitarbeitenden. Für uns ist es enorm wichtig, dass sich alle Mitarbeitenden mit der Vision identifizieren können, dass sie verständlich, greifbar und auch umsetzbar ist.

Wie konnten Sie rund 350 Mitarbeitende weltweit in die geplanten Veränderungen einbinden?

Einerseits über die 15 Länderchefs. Mit ihnen zusammen haben wir die Bedürfnisse der Märkte in den einzelnen Ländern identifiziert. Daraus definierten wir 27 Teilprojekte, deren konzeptionelle Erarbeitung auf die Beteiligten aufgeteilt wurde. Das heisst, es war nicht unser Marketingchef, der sich um ein neues Marketing oder die Katalogkonzepte kümmerte, sondern ein Landesverantwortlicher. Erst in der Umsetzungsphase haben wir die Projekte in die Geschäftsleitung geholt und zusammen mit den Ländern umgesetzt.

Welches war das zweite Element, mit dem Sie die Mitarbeitenden mit einbezogen 
haben?

Eine Motivationsanalyse, der so genannte Cultural Check-up. Mit einem Fragekatalog haben wir alle Mitarbeitenden in allen Ländern gezielt zu bestimmten wichtigen Angelegenheiten befragt, wie etwa dem Leitbild, den Unternehmenswerten oder der Entlöhnung. Die Befragung fand anonym, freiwillig und online statt und hatte einen Rücklauf von 90 Prozent. Sie lieferte uns einen extrem grossen Schatz an Informationen, beispielsweise über die Motivation. Auf diesen Erkenntnissen der Befragung haben wir die Veränderungen aufgebaut. Vor allem aber zeigte der Check-up: Das Unternehmen und die Mitarbeitenden waren nicht nur bereit für Veränderungen und Neuerungen, sie wollten sie auch.

Welche Schlüsselinformationen lieferte Ihnen die Befragung?

Dass die Firma ungeführt war. Es gab keine Mitarbeitergespräche, keine Zielvereinbarungen, keine Feedbackgespräche. Die Mitarbeitenden wurden eingestellt, arbeiteten eine zeitlang für Interhome und gingen wieder. Ausserdem war der Informationsfluss schlecht und wenn, dann wurde nur top down geführt. Aufgrund dieser Erkenntnisse haben wir reagiert und beispielsweise ein MbO eingeführt, strukturiere Prozesse für Mitarbeiter- und Feedbackgespräche gestaltet und vieles mehr. Grundsätzlich kann ich sagen, diese Veränderungen hatten starken Einfluss auf die Motivation. Das zeigte sich in der zweiten Mitarbeiterumfrage vom Dezember 2008: Die Mitarbeitenden sind motiviert, zufrieden, das Commitment ist gestiegen, unsere Investitionen in die Mitarbeitenden, unter anderem mit Weiterbildungen, werden sehr geschätzt. Dass unsere Strategie erfolgreich war, beweist auch der gestiegene Umsatz.

Welchen Einfluss hatten all diese Neuerungen auf das Management?

Das ist eine heikle Frage. Ich gebe zu, wir haben nicht nur Change Management betrieben, sondern auch «change the management». Ein Kernpunkt unserer Strategie betraf ein neues Modell: Wir haben unsere Organisation von einer zentralen zu einer dezentralen verändert, und das bedingt oft andere Fähigkeiten des Managements. Früher wurde alles von Zürich aus geregelt und entschieden, die Länder setzten nur um. Vom Profil her waren sie deshalb eher reine Ausführende beziehungsweise Ja-Sager. Wir wollten aber erreichen, dass die individuellen Märkte wachsen können und deshalb mussten wir viel spezifischer auf die jeweiligen Länder und deren Bedürfnisse eingehen. Man kann nicht die russischen oder italienischen Kunden mit einer Zürcher Messlatte messen. Deshalb brauchten wir Länderchefs, die Verantwortung übernehmen, führen können, proaktiv sind. Mit einem Wort: Entrepreneurs.

Dann haben Sie also Ihre Länderchefs auf die Strasse gesetzt?

Nein, gar nicht. Wir haben Aktionspläne mit jedem Einzelnen erarbeitet, Zielvorgaben definiert und individuell geschaut, wie wir ihm behilflich sein können. Viele des alten Managements waren jedoch mit der neuen Kultur überfordert. Das bekam ich direkt mit, da ich oft in die Länder reise und dort nicht nur die Chefs besuche, sondern mich auch mit den Mitarbeitenden unterhalte. So bemerkt man schnell, wo es brodelt und wieso. Nach drei Jahren waren von den 15 Länderchefs  nur noch derjenige in Frankreich und der in Polen dabei, alle anderen wurden ersetzt. Das geschah teilweise durch Frühpensionierungen oder weil die Leute selber merkten, dass sie die neue Aufgabenstellung nicht erfüllen konnten. Es brauchte einfach frisches Blut für unsere neue Ausrichtung, übrigens auch in der Geschäftsleitung ... Es ging uns aber nie darum, die langjährigen Mitarbeitenden rauszuwerfen, auch heute noch haben wir auf dem zweiten und dritten Managementlevel Leute, die teilweise seit zwanzig oder dreissig Jahren dabei sind. Uns kam es auf den Veränderungswillen an, wer bereit war, sich anzupassen und neu auszurichten, der wird erfolgreich weiterarbeiten in der neuen Organisation.

So viele Veränderungen und Kündigungen rufen Unsicherheiten und Ängste bei den Mitarbeitenden hervor. Wie sind sie diesen begegnet?

Indem wir ein visuelles Management sind. Das heisst, wir sind sehr viel draussen bei den Leuten in allen Ländern. Wir sind für alle greifbar und nehmen uns auch Zeit für sie. Ausserdem haben wir einige Aktionen initiiert, um Verunsicherungen entgegenzuwirken. So haben wir etwa Dialogtage ins Leben gerufen: Der Head of Operations, an den alle Länderchefs rapportieren, meine Assistentin in ihrer Funktion als Cultural Officer und ich haben in allen Ländern Workshops organisiert. In diesen erklärten wir, was wir verändert haben, warum und wie die neue Struktur aussieht. Zudem haben wir Fragen beantwortet, der Sinn der Veranstaltungen war ja der direkte Dialog mit den Mitarbeitenden. Institutionalisiert haben wir gleich zu Beginn des Prozesses die «Internews». Das ist ein Newsletter, der eine bessere interne Kommunikation unterstützt. Er dient einerseits als Top- down-Kommunikationstool, etwa durch den CEO-Letter, wo ich unternehmensinterne Veränderungen kommentiere und erkläre, andererseits als Interaktionstool für die Mitarbeiter.

Ebenfalls haben wir das Modell Learning by doing kreiert: Wir versuchen Leute aus verschiedenen Funktionen zu mixen. Beispielsweise besucht eine Mitarbeiterin des Call Centers in Holland für eine Woche eine Agentur in Spanien, wo sie Kunden begegnet und sieht, wie die Probleme der Eigentümer verhandelt werden. So bekommen die Leute einen Überblick über das ganze Unternehmen und verstehen die anderen Teile des Geschäfts besser. Ausserdem dient der Kulturmix dem besseren Verständnis untereinander.

Veränderungen müssen aber nicht immer nur Ängste auslösen, manchmal bieten sie auch Chancen.  So wussten wir beispielsweise früher nicht, wer unsere Potentials sind. Offene Führungsstellen wurden deshalb meistens durch Externe besetzt. Heute, nach drei Jahren, können wir die Leute identifizieren, die Potenzial, Know-how und den nötigen Willen haben. Nun sind wir in der Lage, wichtige Positionen durch interne Leute zu besetzten, was für die Betreffenden eine grosse Motivation ist und als Chance wahrgenommen wird. Als nächste Stufe werden wir übrigens das Talent Management angehen, Prozesse sind nie endgültig, und genau das macht es ja so spannend.

Welche war für Sie persönlich die grösste Herausforderung im Change-Prozess?

Allein zu sein. Auf mich hat niemand gewartet. Das war anfangs sehr schwierig für mich. Und dann auch einzuschätzen, was personelle Veränderungen auslösen würden. Ich machte mir etwa schier endlos Gedanken, erwog pro und kontra, als ich mich von einem Geschäftsleitungsmitglied trennen musste, das seit über zwanzig Jahren dabei war. Das extremste Erlebnis war aber zu sehen, wie schnell auch eine solche Trennung über die Bühne geht. Sicher, zuerst waren die Kollegen entsetzt, aber bereits nach zwei Wochen schauten sie wieder vorwärts, für sie ging es weiter, die Wogen glätteten sich. Jeder ist sich eben doch selbst der Nächste und möchte Ende Monat den Lohn bekommen. Diese Erkenntnis war für mich fundamental. Es blieben auch keine Ressentiments zurück, die Leute haben alle eingesehen, dass die Firma Veränderungen brauchte, und vor allem ist es uns ja gelungen, durch sie wirkliche und grosse Verbesserungen herbeizuführen.

Was würden Sie rückblickend anders machen?

Nichts. Das ist eine Antwort. Die andere, wenn ich tiefer darüber nachdenke: Ich würde es noch schneller machen. Es gab Entscheidungen, vor allem personalinterner Natur, die ich zu lange hinausgezögert habe aus Hemmungen. Auch würde ich die Mitarbeitenden noch schneller in die Verantwortung ziehen und noch vermehrt auf den unternehmerischen Fokus setzen.

Was ist Ihrer Ansicht nach das Wichtigste bei einer Reorganisation?

Walk the talk. Für die Glaubwürdigkeit im Veränderungsprozess ist es einer der wichtigsten Grundsätze, das einzuhalten, was man predigt. Und dabei sollte man offen und transparent kommunizieren.

Simon Lehmann

Der Betriebsökonom Simon Lehmann ist seit 2005 Geschäftsführer der Interhome-Gruppe. Zuvor war er für verschiedene Logistikunternehmen tätig, etwa für Danzas, für Singapore Airlines und für Nuance Global Traders/SAir Relations Company in Sydney, Australien. 2001 wechselte er zu Swissport International, wo er ein Jahr später als General Manager&CEO der Swissport Hellas nach Griechenland berufen wurde. 2003 wechselte er als CEO der Swissport Germany nach Frankfurt und wieder ein Jahr später holte ihn Swissport International in die Schweiz zurück.

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