Dumme Algorithmen
Künstliche Intelligenz und Machine Learning werden oft in einen Topf geworfen, sagt Digital-Experte German Ramirez. Die Leistungen des menschlichen Gehirns erreichen diese neuen Technologien noch längst nicht.
Warum Algorithmen nicht alles sind, erklärt German Ramirez im Interview. (Bild: iStock)
Sie setzen sich als digitaler Pionier seit 25 Jahren mit neuen Technologien auseinander. Häufig fallen dabei die Stichworte «Machine Learning» und «künstliche Intelligenz». Was ist der Unterschied?
German Ramirez: Machine Learning ist ein Prozess, bei dem ein Computer durch die Verarbeitung grosser Datenmengen Muster erkennt und daraus Schlüsse zieht. Hat man beispielsweise Abertausende von Bildern mit Hunden eingelesen, ist die Software irgendwann in der Lage, Hunde auf anderen Bildern zu erkennen. Im Vergleich: Ein Kleinkind kann Hunde durch ein einziges Bild identifizieren. Von künstlicher Intelligenz können wir deshalb erst sprechen, wenn wir die menschliche Intelligenz technisch abbilden.
Davon sind wir allerdings meilenweit entfernt: Wir verstehen noch nicht einmal, wie menschliche Intelligenz überhaupt funktioniert. Solange die Wissenschaft aber nicht erklären kann, was menschliche Intelligenz ausmacht, besitzen wir keine Basis für die Entwicklung echter künstlicher Intelligenz, nur superschnelle Computer, die Datenberge auswerten. Setzt man Machine Learning zudem nur ein, um effizienter zu werden und vernachlässigt dabei den menschlichen Aspekt, ist das kein Fort- sondern eher ein Rückschritt. Beispielsweise, wenn Bewerbende keine Absage erhalten oder mehrfach Formulare mit denselben Informationen ausfüllen müssen.
Firmen werden aber mit Bewerbungen überschwemmt...
Das stimmt. Durch die steigende Mobilität bewerben sich viel mehr Menschen. Erhielten Konzerne früher hundert Anschreiben auf eine offene Stelle, können es heute tausend sein. Diese müssen effizient bearbeitet werden. Deshalb setzen Unternehmen Machine Learning Tools ein.
Wo kann man Machine Learning sonst noch einsetzen?
Theoretisch überall dort, wo die Software für HR-Fachkräfte zeitliche Entlastung schafft, damit sich HR der menschlichen Seite zuwenden kann. Beispielsweise bei People Analytics: In diesem Bereich kann die Technik von der Rekrutierung über die Leistungsbewertung bis hin zur Retention eingesetzt werden.
Wie könnte HR das Bewerbermanagement künftig menschlicher gestalten?
Komplexe Technologien werden dereinst Verhaltensmuster eines Unternehmens viel besser analysieren und erkennen, welche Mitarbeitenden im Betrieb erfolgreich sind. Solche Technologien könnten beispielsweise mittels Blockchain Kandidatenprofile mit allen auf dem Markt vorhandenen Jobs abgleichen und passend matchen. Ein Arbeitnehmender müsste sich infolgedessen nicht mehr bewerben, sondern bekäme durch das System Stellen vorgeschlagen, die zu seinem Profil, seinen Wünschen und Bedürfnissen passen. Ein Unternehmen sucht sich somit seine perfekten Kandidaten aufgrund detaillierter Profilangaben, teilt ihnen das Gehalt mit und fragt, ob sie an einer bestimmten Stelle interessiert seien.
Kandidaten wiederum könnten auf diese Anfrage eingehen oder nicht. Heute funktioniert das jedoch nicht. Ein Beispiel: Auf Online-Business-Netzwerk werden uns ständig Jobs vorgeschlagen, die wir womöglich vor zwanzig Jahren ausgeübt haben und für die wir heute überqualifiziert sind. Die Vorschläge basieren somit auf der bisherigen Karriere. Das greift zu kurz. Damit ein Matching funktioniert, braucht es in der gesamten Wirtschaft eine standardisierte Lösung. Die meisten Unternehmen kochen aber ihr eigenes Süppchen.
Blockchain könnte dereinst nicht nur das Recruiting revolutionieren, sondern auch Korruption erschweren oder verhindern...
Das ginge nur, wenn die ganze Wirtschaft automatisiert wäre und über Blockchain liefe. Erfasst ein Mensch gefälschte Daten, bleiben sie im System so bestehen. Eine Lüge bleibt eine Lüge, ob mit oder ohne Blockchain.
Welche Trends orten Sie abseits von Machine Learning und Blockchain?
Firmen werden von der Firmenkultur bis hin zu den Gehältern transparenter. Die Elfenbeintürme in den Unternehmen, in denen sich Führungskräfte oft noch verschanzen, werden fallen.