Blockchain als HR-Disruptor
Selten wurde einer neuen Technologie eine solche Bedeutung zugemessen wie der Blockchain. Bis heute gibt es jedoch nur wenige Alltagsanwendungen. Vielen Entscheidern fehlt zudem das Verständnis dafür, was die Blockchain ist und was sie kann. Dabei bietet diese Technologie auch im HR viele Einsatzmöglichkeiten.
Blockchain im HR: Entwicklung und Trends von Fachexperte Lars Eichhof. (Bild: iStock)
Der Begriff Blockchain ist immer noch eine Blackbox: eine neue Technologie, die bisher Unvorstellbares möglich machen soll. Dabei übersteigen die Erwartungen häufig den wahren Nutzen. Das mag damit zusammenhängen, dass künstliche Intelligenz und die Blockchain oft in einem Atemzug genannt werden. Dabei sind die beiden Zukunftstechnologien grundverschieden und in keiner Weise miteinander vergleichbar. Um etwaige Verwirrung aus dem Weg zu räumen: Bei der künstlichen Intelligenz redet man von Systemen, welche die menschliche Art des Lernens imitieren und so intelligenter werden. Dabei kann künstliche Intelligenz schon heute für repetitive und analytische Aufgaben eingesetzt werden.
Die Blockchain wird für grundlegend andere Anwendungen genutzt. Das liegt an ihrem Aufbau: Sie ist ein aus Servern bestehendes dezentrales Netzwerk, bei dem Informationen auf allen Servern parallel abgelegt werden. Die mittels Blockchain abgesicherten Elemente garantieren allen Parteien des Netzwerks Transparenz und Sicherheit. Durch eine Abfrage kann eine Blockchain-Anwendung jederzeit die Echtheit eines Dokuments oder eines Zertifikats bestätigen. Für HR-Abteilungen werden so ebenfalls neue smarte Ansätze denkbar. So könnte die Blockchaintechnologie auch für die Absicherung von Zeugnissen und Zertifikaten verwendet werden und somit mit einem altbekannten Ärgernis aufräumen: der Übertreibung und Fälschung in Bewerbungen und Lebensläufen. Doch wie liesse sich die Blockchain für einen fälschungssicheren Lebenslauf nutzen?
Dazu lohnt sich ein Blick in die HR-Abteilungen der Schweiz: In grösseren Unternehmen ist das Recruiting bereits heute hoch digitalisiert, was auf einen hohen Dateninput zurückzuführen ist. Hier liegt aber häufig auch das Problem: Zwar liegen die angelieferten Daten fast ausschliesslich digital vor, doch leiten sich diese von analogen, nicht verifizierbaren Quellen ab – zum Beispiel vom Scan eines Zeugnisses oder Zertifikats. Gibt ein Bewerber beispielsweise eine längere Arbeitszeit bei einem Arbeitgeber an, ist diese Information für HRler nur sehr schwer verifizierbar.
Lügen und Fälschungen treten weit häufiger auf, als man denken mag: Personaler gehen davon aus, dass in rund einem Drittel aller Bewerbungen gelogen wird. Rund jede zehnte Bewerbung wird von HR-Profis sogar als bedenklich eingestuft. Die Lügen im Lebenslauf reichen von kleineren Schummeleien, wie höher angesetzten Sprachkenntnissen, bis hin zu schwerwiegenden Fälschungen von Zeugnissen und Zertifikaten. Fehlende Sprachkenntnisse mögen auf den ersten Blick nicht dramatisch wirken, können in international agierenden Unternehmen aber Geschäftsbeziehungen in Schieflage bringen. Während kleinere Lügen im Alltag von Personalern am häufigsten auftreten, haben schwerwiegendere wie die Fälschung von Zeugnissen und Zertifikaten aber auch rechtliche Konsequenzen: Niemand möchte von einem Arzt operiert werden, der nicht Medizin studiert hat. Auch einen Piloten sieht man ungern ohne Lizenz im Cockpit.
Doch weshalb werden solche Schummeleien und Fälschungen in Lebensläufen häufig nicht entdeckt? Erfahrene HRler haben ein Auge für Lügen im Lebenslauf. Ihnen fallen Ungereimtheiten, unterschiedliche Schriftarten in Scans und Fälschungen schnell auf. Allerdings fehlt HR-Experten in grossen Unternehmen häufig die Zeit, sich im Detail mit jedem Lebenslauf auseinanderzusetzen. In kleineren Betrieben mangelt es hingegen an Expertise und Zeit: Oft lohnt sich keine eigene HR-Abteilung, dadurch fehlt es am Know-how, Lebensläufe zu kontrollieren. Zudem bleibt keine Zeit für eine genaue Prüfung, weil Personalentscheidungen neben dem Tagesgeschäft getroffen werden müssen.
Was also tun? Im englischsprachigen Raum sind zwar Dienstleister aktiv, die Hintergrundchecks für Unternehmen übernehmen. Doch diese zeichnen sich durch einen hohen Preis aus und erfordern die Einwilligung des Bewerbers. Kein Wunder, dass diese Services hierzulande seltener zu finden sind.
Zukünftige Entwicklungen
Blockchain-abgesicherte Zertifikate und Zeugnisse könnten sich all dieser Probleme annehmen: Die administrative Arbeit des Überprüfens könnte in grossen Unternehmen durch HR-Software automatisiert ablaufen und so entfallen. In kleineren Unternehmen würde diese Arbeit nicht nur vereinfacht, sie wäre auch mit einem deutlich geringeren Zeitaufwand verbunden: Die Mitarbeitenden müssten lediglich mit einem Prüfcode die Echtheit des Zertifikats überprüfen. Dadurch könnten Unternehmen zu 100 Prozent sichergehen, dass die gemachten Angaben korrekt sind.
Künftig könnten Bewerber in einem eigenen Wallet – einer Art digitaler «Bewerbungsmappe» – alle mit der Blockchain abgesicherten Zertifikate und Zeugnisse hinterlegen. Bei einer Bewerbung könnten Kandidaten dem Unternehmen die benötigten Dokumente zur Verfügung stellen. Das würde den Bewerbungsprozess auch für Bewerber vereinfachen, da sie sich das aufwendige Scannen der Bescheinigungen sparen könnten. Dabei verliert der Kandidat die Kontrolle über seine Daten nicht: Schliesslich bleibt es in seiner Hand, welche Zertifikate er mit dem Unternehmen teilen möchte. Im Optimalfall erhalten Mitarbeitende Bescheinigungen über die von ihnen belegten Trainings. So könnten Kandidaten erworbene Skills nachweisen. In sicherheitsrelevanten Berufsgruppen besteht hierfür enormes Potenzial: Unternehmen sparen in der Onboardingphase viel Zeit und Geld, wenn bestimmte Zertifizierungen nicht erneut abgelegt werden müssen.
Herausforderungen für die Blockchain
Damit das Potenzial von Blockchain-Anwendungen ausgeschöpft werden kann, muss das Henne-Ei-Problem überwunden werden: Schon heute sehen wir erste Anbieter, die im kleinen Rahmen Zertifikate ausstellen. Beispielsweise an der Universität Basel, die seit 2018 mit der Blockchain Diplome absichert. Auch die Universität St. Gallen arbeitet seit 2019 an Diplomen auf der Blockchain, während private Herausgeber erste Anstrengungen in diesem Bereich unternommen haben. Etwa die Velocity Network Foundation, die an einem einheitlichen Standard für mit der Blockchaintechnologie abgesicherte Zertifikate arbeitet und in der führende Technologieanbieter zusammengeschlossen sind.
Allerdings sind diese Anwendungen noch nicht flächendeckend verfügbar. Somit besteht das Problem der Einführung der Blockchain aktuell noch darin, dass alle Beteiligten Zugriff auf diese Technologie haben müssen. Und: Arbeitgeber müssten als überprüfende Seite die passende Struktur eingerichtet haben. Ohne das Zertifikat auslesen zu können, bringt die Einrichtung einer Wallet noch nichts. Die Technologie könnte zum Disruptor im HR werden und Reference Checks überflüssig machen. Bevor das jedoch passiert, müssen sich alle Player auf einen einheitlichen Standard einigen oder ihren eigenen Standard kompatibel gestalten. Erste Schritte in diese Richtung wurden bereits unternommen. Aktuell können wir aber noch nicht davon ausgehen, dass diese Entwicklung innerhalb weniger Monate stattfindet. Dies wird eher einige Jahre in Anspruch nehmen.