Sonja A. Buholzer
In internationalen Konzernen mit englischer Kommunikationssprache ist das Du völlig ok und steht in direkter Konstellation zum englischen You und dem Vornamen. Hier ist David eben David und der Umgang mit ihm von einer natürlichen Distanz geprägt, die durch die Sprache gegeben ist. Ganz anders etwa in einem schweizerischen KMU, das im schweizerisch-traditionellen Rahmen funktioniert: Hierarchisch geprägt, nicht selten patronal und ganz und gar traditionell verpackt. Das Du als modernes Instrument eines neuzeitlichen Leitbildes in einem solchen Betrieb zu inthronisieren, wirkt aufgesetzt.
Künstlich in eine gewachsene und bestehende Firmenkultur eingepflanzt, ist es nie passend. Das Du als Fremdkörper stört vor allem in der deutschen Sprache, die völlig anders konnotiert ist als die englische. Erschwerend kommt hinzu, dass es viel mehr natürliche Autorität braucht, um ein aufgesetztes Du aufzufangen. Zudem beherrschen nur wenige Deutschsprachige den falschen Reflex eines Dus mit dem Vorgesetzten – das Abschweifen zum Kumpelhaften. Wer in einer hierarchisch geprägten Kultur das Du per Dekret einführt, muss überdurchschnittliche Leadership-Autorität haben, empathisch führen und wissen, wann er die Zügel anziehen und wann er sie lockern darf, um nicht in einen Führungsnotstand zu geraten.
Immerhin ein Trostpflaster: Die Du-Kultur ist kein Garant für eine partnerschaftliche Unternehmenskultur: weder für echte Nähe noch die Güte der Zusammenarbeit.
Kommt ein Du spontan über die Lippen, besteht bereits eine Nähe zum andern. Der grosse Unterschied zum Du-Dekret: Es basiert auf Natürlichkeit, auf einer bestehenden nahen Beziehung zum andern. Und dies muss meines Erachtens immer auf dem Prinzip der Freiwilligkeit basieren. Eine weitere erschwerende Nuance zur verschriebenen Du-Kultur aus Frauensicht: Weibliche Autorität, verbunden mit einer Du-Kultur in einem deutschsprachigen hierarchisch geprägten Traditionsbetrieb, ist eine akrobatische Einlage, die nur Hochbegabten gelingt.
Ist die Chefin nämlich erst mal auf der Du-Basis fassbar, neigen Männer sofort dazu, ihr mit kumpelhafter Dienstbeflissenheit unter die Arme zu greifen. Schweizer bekunden sowieso Mühe, mit weiblichen Vorgesetzten umzugehen: Sind sie mit ihr dann auch noch per du, ist die Kunst der natürlichen Distanzhaltung in den meisten Fällen höchst gefährdet. Und die Frau erst recht in Führungsschwierigkeiten. Es liegt wahrlich nicht am Du, ob die Kultur tragfähig, die Kommunikation effizient, das Arbeitsklima innovativ und das Commitment tragfähig ist. Der Erfolg basiert auf der Summe der nachhaltigen Weichenstellungen in die Zukunft. Dieser kann aber durch die fehlgeleitete Sprachlenkung mit einem fahrlässigen Du in Gefahr geraten. Weniger ist mehr. Doch das Wenige sollte passen. Und dies ist oft mutiger als eine scheinbar moderne Sprache, die am Ende nie mehr rückgängig gemacht werden kann.