Konfliktmanagement

«Echte Konflikte entstehen erst 
durch gute Kommunikation»

Offene und ehrliche Gespräche verhindern Konflikte – so die gängige Meinung. Das Gegenteil sei der Fall, erklärt 
Dr. Albert Vollmer, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Oberassistent an der Professur für Arbeits- und Organisationspsychologie der ETH Zürich. Er erklärt auch, warum ein bestimmtes Mass an Konflikten sogar notwendig ist.

Wie unterscheidet sich ein Konflikt von ­einer Meinungsverschiedenheit?

Albert Vollmer: Konflikte beeinträchtigen oder blockieren das Handeln von Einzelnen oder ganzen Gruppen. Beim Konflikt prallen unterschiedliche Interessen aufeinander, mit denen sich die Menschen identifizieren. Dennoch müssen sie sich über diese Differenzen in irgendeiner Form einigen.

Wie kann es zu einem Konflikt kommen? Gibt es Schnittstellen, an denen Konflikte eher ausbrechen?

Dazu muss man sich der Definition des Handelns in Unternehmen bewusst sein: man muss Ziele setzen, Prozesse definieren, um diese Ziele zu erreichen, es müssen Ressourcen bereitgestellt und soziale Beziehungen gestiftet werden. Grundsätzlich können an all diesen Punkten die Menschen uneins sein und Konflikte entstehen. Hinzu kommt, dass heute eher in flachen Hierarchien gearbeitet wird. Der oder die Einzelne hat mehr Partizipations- und Entscheidungsmöglichkeiten. Wenn mehr Menschen mitreden und ihre Interessen einbringen sollen und wollen, prallen auch eher verschiedene Meinungen aufeinander.

Konflikte entstehen oft auch zwischen den Funktionsbereichen: Wer auf strategischer Ebene operiert, kann nicht alle Probleme auf der operativen Ebene kennen, und im Vermittlungsprozess von oben nach unten entstehen dann Konflikte. Oft kommt ein Gesamtziel, das strategisch festgelegt wurde, ganz anders auf der Teamebene an. Andere Konflikte ergeben sich zwischen verschiedenen Abteilungen oder Einheiten, die jeweils unterschiedliche Zielsetzungen haben. Die Konflikte zwischen Produktion und Vertrieb sind legendär, ebenso diejenigen zwischen der Linienorganisation und Projektgruppen oder zwischen Linie und Stäben. Innerhalb von Teams bestehen oft Konflikte hinsichtlich des Verhaltens oder der zwischenmenschlichen Beziehungen.

Ist in solchen Fällen eine schlechte Kommunikation die Ursache für Konflikte?

Nicht unbedingt. Viele Konflikte versucht man als das Resultat falscher Kommunikation zu erklären. Dabei entstehen echte Konflikte erst durch eine gute Kommunikation. Wenn Mitarbeitende wirklich ihre Meinung zu einem Sachverhalt äussern, offen und ehrlich sagen, was sie denken, erkennt man, dass eine Problemstellung aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden kann und unter Umständen auch jeder auf seine Weise recht hat. Solche Konflikte können gezielt genutzt werden, man nennt das auch konstruktive Kontroverse.

Was passiert bei einer konstruktiven Kontroverse?

Man bringt die wichtigsten Wissensträger hinsichtlich einer Problemstellung in einem Team zusammen. Solche Teams sind häufig auch interdisziplinär zusammengesetzt. Das Ziel ist meistens, eine Innovation herauszutüfteln, ein neues Produkt aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten oder die strategische Neuausrichtung eines Unternehmens zu erarbeiten. Der Techniker wird dabei aus seiner Sicht reden, die HR-Fachfrau von ihrem Hintergrund aus, und der Produktionsmitarbeiter vertritt nochmals einen anderen Standpunkt. Sich in solchen interdisziplinären Teams zu einigen, ist sehr schwierig, es braucht Zeit und die Gestaltung eines Prozesses des Wissensaustauschs. Idealerweise wird ein Lernprozess in Gang gesetzt.

Wie sieht so ein Lernprozess aus?

Dieser Prozess hat verschiedene Phasen: Zuerst beziehen die Teammitglieder unterschiedliche Positionen zum Thema und müssen gute Argumente für diese Position erarbeiten. Bereits hier ist der Lernprozess gross. In einem zweiten Schritt hören sie die anderen Positionen und deren Argumentationen. Auch hier kann einiges gelernt werden, was man vorher nicht wahrgenommen oder wogegen man sich vielleicht verschlossen hat. In der dritten Phase wird der Perspektivenwechsel praktiziert: Die Leute schlüpfen in andere Rollen und übernehmen anderen Positionen. Indem sie auch für diese Positionen gute Argumente bringen müssen, gewinnen sie oft eine Einsicht für die positiven Seiten der Gegenposition. Nach dieser Phase der Positionsbeziehung und Argumentation geht es im vierten Schritt um die Erarbeitung einer integrativen Lösung unter Berücksichtigung aller Informationen und des erarbeiteten gemeinsamen Wissens in diesem Prozess. In der Regel entsteht dabei eine hochwertige Lösung.

Sind das nicht eher Sachkonflikte, die ohne Emotionen sowieso leichter zu handhaben sind?

Wer sein Interesse vertritt, hat auch immer Befürchtungen, Hoffnungen oder Ängste, es stecken Motivation, Engagement und nicht selten Leidenschaft dahinter. Dies ist die emotionale Dimension von Konflikten. Es ist sogar ein Kennzeichen der konstruktiven Kontroverse, dass die Diskussion gerade leidenschaftlich geführt wird, aber mit Bezug auf die Sachebene. Theoretisch und in empirischen Studien kann zwar der Sach- und der Beziehungskonflikt unterschieden werden. Praktisch gibt es jedoch in jedem Konflikt eine sachliche und eine emotionale Dimension, weil man immer etwas verlieren oder gewinnen kann.

Allerdings gibt es einen fundamentalen Unterschied zwischen der konstruktiven Kontroverse und dem so genannten Beziehungskonflikt: Bei der konstruktiven Kontroverse haben die Leute gute Beziehungen. Sie brauchen einen Moderator, der die Diskussion leitet, und keinen Mediator, der einzig die Harmonie auf der sozialen Ebene wiederherstellen will. Wenn in einem Team gegenseitiges Vertrauen da ist und eine grosse Offenheit herrscht, funktioniert auch die sachliche Auseinandersetzung. Im Gegensatz dazu erleben wir momentan in Firmen immer wieder, dass zu wenig sachbezogen, sprich aufgabenbezogen, diskutiert wird, dagegen wird stark personalisiert: Diese oder jener ist schuld, dass es nicht läuft; wäre der nicht mehr da, hätten wir das Problem nicht – so die oft gehörten Aussagen. Solche Aussagen und die dahintersteckenden Haltungen sind nicht der richtige Weg zur Lösung eines Konflikts.

Kann man sagen: Je mehr Emotionen, desto schwieriger ist ein Konflikt zu lösen?

Richtig heisst es: Je mehr unkontrollierte Emotionen, desto schwieriger ist es. Wer sich gegenseitig abwehrt, beschimpft und bei jedem Argument des Gegenübers das Gefühl hat, über den Tisch gezogen zu werden, der kann nicht mehr unvoreingenommen auf einer sachlichen Ebene argumentieren. Unkontrollierte Emotionen zielen oft auf die Person an sich und haben das Ziel zu schaden. Kontrollierte Emotionen drückt hingegen derjenige aus, der beispielsweise sagt: «Du torpedierst mich und das ärgert mich.» Wenn ein Gemütszustand in Bezug auf eine Sache so ausgesprochen wird, ist die Chance auf eine Lösung sehr viel grösser.

Wann ist ein Konflikt konstruktiv, wann 
destruktiv?

Das hängt zunächst von den Strukturen im Team ab. Wo eine hohe Interdependenz in den Aufgaben herrscht, die einzelnen Teammitglieder in der Zielerreichung aufeinander angewiesen sind, offen und viel kommuniziert wird, da ist die Hilfsbereitschaft höher, die Vertrauenskultur besser. Ebenso ist die Schwelle, einen Konflikt frühzeitig zu melden, viel niedriger. In solchen Teams wird der Konflikt als ein gemeinsames Problem erlebt. Wenn alle Betroffenen am Konsensfindungsprozess mitarbeiten und eine integrative Lösung gefunden werden kann, die alle mittragen, dann ist nicht nur die Lösung besser, sondern die Teammitglieder haben auch etwas gelernt. Persönlich reifen kann, wer nicht jedem Konflikt aus dem Weg geht.

Haben die Teammitglieder in ihren Aufgaben jedoch wenig Berührungspunkte oder geht die Zielerreichung des einen auf Kosten der anderen, kann dies zu einem Klima führen, in dem man sich nicht mehr offen begegnet, Informationen eher für sich behält. Wenn man mit Sanktionen rechnen muss, wenn man die eigene Meinung sagt, dann ist die Schwelle, auf schwelende Konflikte aufmerksam zu machen, sehr hoch. In solchen Fällen kommt es eher zur Eskalation, bei der oft sehr viel Porzellan  zerschlagen wird. Die strukturellen Voraussetzungen sind daher ein fundamentaler Punkt bei der Frage, ob ein Konflikt konstruktiv oder destruktiv ist.

Welches sind weitere Punkte, die einen konstruktiven Konflikt ausmachen?

Der zweite Punkt ist die Art des Konfliktmanagements. Dort, wo Entscheidungen nicht nur von einzelnen Personen in Machtpositionen durchgesetzt, sondern gemeinsam und integrativ erarbeitet werden, werden erstens oft die besseren Lösungen erzielt. Zweitens wird ein höheres Commitment bei den Mitarbeitenden erreicht, die Lösungen auch mitzutragen und umzusetzen.

Der dritte Punkt, den empirische Studien immer wieder belegen, ist die Frage, ob sich ein Konflikt primär um die Sache dreht oder ob die Beziehung tangiert ist. Bei sachlich motivierten Konflikten weiss man, dass sie geradezu notwendig sind, um überhaupt weiterzukommen. Bei Beziehungskonflikten können gegenseitiges Anklagen, Vorwürfe und Misstrauen in eine negative Spirale münden, aus der man nur schwer wieder herauskommt. Das gemeinsame Ziel gerät aus dem Blickfeld, die Kommunikation ist erschwert und die Einstellungen gegenüber der anderen Partei sind negativ. Deshalb empfehlen wir den Führungskräften immer, Konflikte bezogen auf die Arbeitstätigkeiten zu bearbeiten und nicht nur auf der emotionalen Ebene.

Sie schulen Führungskräfte im Konfliktmanagement – wie gut sind diese im Umgang mit Konflikten?

In der Regel verfügen die Führungskräfte nicht über ein ausreichendes Methodenrepertoire. Daher sind viele Vorgesetzte auch nicht sehr geübt, obwohl sie täglich Konflikte zu bearbeiten haben. Wer jedoch anhand von 
Instrumenten die eigenen Konflikte bearbeitet, erkennt, dass eine systematische Herangehensweise zwar Arbeit bedeutet, sich aber lohnt. Systematisch sich mit einem Konflikt zu befassen, heisst auch Dinge in den Blick zu nehmen, die man vorher so gar nicht gesehen hat. Eine kollegiale Beratung hilft hierbei entscheidend. Oft sehen Kollegen Aspekte, die man selbst nicht mehr wahrnimmt. Konfliktmanagement will gelernt sein. Konflikte sind ein allgegenwärtiges Phänomen, aber die wenigsten von uns haben einen expliziten Umgang mit dem Thema gelernt. Erhebungen zeigen immer wieder, dass es in Unternehmen viele Konflikte gibt, aber wenige Instrumente dazu, so dass Konfliktbearbeitung schwierig ist. Für ihre adäquate Bearbeitung braucht es gute Instrumente und viel Übung.

Welche Instrumente halten Sie für die wichtigsten?

Viele Konflikte werden zunächst zu wenig verstanden, um eine gute Lösung zu erarbeiten und umzusetzen. Daher braucht es zuerst gute Analyseinstrumente. Sie zeigen, wie man einen Konflikt erkennt, wer beteiligt ist und welche Interessen im Spiel sind; sie zeigen die Entstehungsgeschichte auf und ermöglichen es, den Konfliktgegenstand, um den gerungen wird, klar zu definieren. In unseren Seminaren verwenden wir auch eine Form der Visualisierung. Anhand einer so genannten Systemlandkarte kann man einen Konflikt grafisch darstellen: die beteiligten Akteure, deren Beziehungen, die Interessen, die Subsysteme. Dies ist ein Modell der realen Situation. Es hilft, den Überblick zu gewinnen, den man oftmals gerade in einem Konflikt verloren hatte.

Darüber hinaus lehren wir unterschiedliche Konfliktmanagementstrategien: «Vermeiden, Durchsetzen, Kompromisse schliessen, Nachgeben, Integrieren». Dies sind die zentralen Stile oder Strategien der Konfliktbearbeitung. Jeder hat seinen eigenen Stil, mit Konflikten umzugehen. Anhand von wissenschaftlich etablierten Instrumenten kann man diesen individuell ermitteln. Wichtig ist jedoch, das Handlungsspektrum so zu erweitern, dass je nach Situation die passende Strategie angewendet werden kann. Daneben gibt es die unterschiedlichen Mediationstools wie Perspektivenübernahme, Spiegeln oder aktives Zuhören sowie die Regeln der Gesprächsführung – alles Instrumente, die geübt werden müssen. Ein weiteres Instrument ist etwa das so genannte aktive Konfliktmanagement. Hier wird über Spannungen und Unzufriedenheiten im Team gesprochen, bevor sie zu gross werden. Realisiert werden kann das, indem beispielsweise bei Teamsitzungen als konstantes Traktandum darüber gesprochen wird, wie die Zusammenarbeit in der letzten Zeit war. Dies ermöglicht es, frühzeitig auf Unstimmigkeiten aufmerksam zu machen, bevor diese sich anstauen.

Wer kann solche Instrumente anwenden? Wird das innerhalb von den Teams gemacht?

In der Regel werden die Führungskräfte darin geschult, die ihr Wissen an die Teammitglieder weitergeben. Konfliktmanagement kann aber auch im Team als Teamtraining gelernt werden. Denn je besser der Einzelne im Umgang mit Konfliktmanagement ist, desto besser ist die gemeinsame Konfliktbearbeitung.

Grundsätzlich sollten Konflikte in Betrieben besprechbarer gemacht werden. Konfliktmanagement ist ein übergreifendes Thema und Teil der täglichen Praxis. Es braucht daher ein umfassendes System auf strategischer Ebene, in das das Konfliktmanagement eingebettet ist. Jeder Mitarbeitende sollte wissen, wer die Ansprechpersonen sind, wenn es Probleme gibt. Betriebe müssen offensiver mit dem Thema umgehen.

Welches sind die positiven Effekte, wenn ein Konflikt ausgetragen ist?

Wissenschaftlich ist belegt: Die Produktivität, die Kreativität und die Innovation steigen, ebenso wird das Commitment der Teammitglieder erhöht, die Verbundenheit zum Betrieb steigt und die Arbeitszufriedenheit verbessert sich. Ein gutes Konfliktmanagement kann also eigentlich alles bewirken, oder zumindest unterstützen, was ein Unternehmen generell anstrebt. Es ist daher auch nicht erstrebenswert, gar keine Konflikte zu haben. Ein mittleres Niveau an Konflikten in einem Unternehmen ist durchaus positiv, weil es ein Zeichen lebhafter Auseinandersetzung ist. Keine Konflikte zu haben, könnte ein Zeichen von zu wenig Engagement, Angst, Desinteresse oder Gleichgültigkeit sein. Zu viele Konflikte würden eher Krisenhaftigkeit bedeuten.

Konflikt gelöst – alles in Butter. Oder braucht es eine Konfliktnachbearbeitung?

Der Lösungsbegriff ist ein schwieriger Begriff, denn Lösung würde bedeuten, es sei nichts mehr vorhanden. Ich glaube aber, dass man immer etwas vom alten Konflikt mitnimmt – im besten Fall die Erfahrung, dass die Konfliktbearbeitung wichtig war und gelungen ist. Oft sind es aber verletzte Gefühle. Jemand wollte etwas erreichen, hat es aber nicht bekommen, ohne dass ihm mitgeteilt wurde, warum. Wo solche Gefühle vorhanden sind, ist der nächste Konflikt emotional bereits vorbelastet. Es braucht daher für jede Konfliktbearbeitung zwei Formen der Nachbearbeitung: eine persönliche und eine im Team. In der persönlichen muss ich meine eigene Entscheidung, die ich immer zu treffen habe, egal ob ich Mitarbeiter oder Führungskraft bin, für mich verarbeiten und mir die Konsequenzen überlegen. Idealerweise stelle ich fest, dass ich eine reife Entscheidung getroffen habe, zu der ich stehen kann und die mir und auch dem Team zugutekommt.

Im Team muss sichergestellt werden, dass der weiteren Zusammenarbeit nichts im Weg steht. Grundsätzlich darf man nach einem Konflikt nicht auseinandergehen, ohne noch einmal auf der Metaebene miteinander zu reden: «Wie ist es uns gemeinsam gelungen, mit diesem Konflikt umzugehen? Was geht den Einzelnen durch den Kopf? Was haben wir gemeinsam daraus gelernt? Wie geht es uns als Team? Welche Schlussfolgerungen ziehen wir als Team daraus?» Das ist Teamentwicklung. Denn wir wissen, dass Teams, die Konflikte erfolgreich bearbeitet haben, effektiver sind.

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