HR Today Nr. 5/2021: Im Gespräch

«Ein fauler Apfel in der Crew schafft Probleme»

Petra Volpes Film «Die göttliche Ordnung» feiert 2021 durch 50 Jahre Frauenstimmrecht ein Revival. Die Drehbuchautorin und Regisseurin über Frauen und Recruiting in der männerlastigen Filmbranche, die aktuellen Corona-Herausforderungen am Set und die Zukunft des Films.

2017 feierte Ihr Film «Die göttliche Ordnung» Premiere. Durch das Jubiläumsjahr «50 Jahre Frauenstimmrecht» erhält er erneut grosse Aufmerksamkeit. Wie fühlt sich das an?

Petra Volpe: Es ist toll zu sehen, dass der Film nach vier Jahren noch immer so viele Leute bewegt. Das kommt in unserer Branche nur selten vor.

Wie ist Ihre persönliche Bilanz zum Jubiläum?

Ziemlich positiv. Zwischenzeitlich existieren zahlreiche Gesetze, welche die Gleichstellung in der Schweiz sichern und Frauen vor Diskriminierung schützen. Zudem haben Mädchen und Frauen heute insbesondere bei der Berufswahl viel mehr Freiheiten und Optionen.

Apropos Berufswahl: Sie arbeiten in einer männerlastigen Branche. Regisseurinnen und Drehbuchautorinnen sind dünn gesät. Woran liegt das?

Filmemachen ist eine äusserst hierarchische Angelegenheit und der Regisseur die oberste Instanz. Diese machtvolle Rolle wird seit jeher klischeehaft eher Männern zugesprochen. Zu Beginn der Filmgeschichte gab es zwar zahlreiche Regisseurinnen und Drehbuchautorinnen, als jedoch die Filmindustrie monetarisiert wurde und die Profite wuchsen, wurden diese Frauen aus ihren Positionen gedrängt. Eine Entwicklung, die anhält und die ich bis heute beobachte. Überall, wo es um viel Geld geht, sitzen eher Männer an den Schalthebeln der Macht, die nicht bereit sind, ein Stück ihres Kuchens abzugeben. Hollywood ist nachweislich die sexistischste Branche.

Was tut sich gegen diesen latenten Sexismus in der Filmbranche?

Vieles. Doch es braucht weiterhin eine unermüdliche politische Arbeit und eine noch grössere Solidarität unter den Frauen. Wir müssen uns für unsere Anliegen und Positionen und gegen den Sexismus in der Filmindustrie öffentlich wehren. Wir dürfen nicht alles still hinnehmen. Gute Filme zu machen, reicht leider nicht.

Was bewegt sich konkret?

Beispielsweise sind einige der grossen Festivals, die oft über Erfolg oder Misserfolg eines Films entscheiden, in den letzten Jahren wegen ihrer Auswahlverfahren arg unter Beschuss geraten. Dank der hartnäckigen Lobbyarbeit von Frauen haben einige Festivals inzwischen eine Charta unterschrieben, in der sie sich dazu bekennen, auf ein ausgewogeneres Geschlechterverhältnis zu achten. Infolgedessen zeigen grosse Filmfestivals heute mehr Werke von Frauen als noch vor ein paar Jahren.

Sie rekrutieren Schauspielerinnen und Schau­spieler mit Castings. Wie funktioniert das genau?

Um mein Schauspielensemble zusammenzustellen, arbeite ich mit einer Casting-Agentin zusammen. Nachdem wir beide unsere Vorstellungen der Filmbesetzung zusammengetragen haben, sichte ich die Demotapes der Schauspielenden. Wer in die engere Wahl kommt, laden wir zum Casting ein. Dort probe ich mit den Darstellenden mehrere Szenen und zeichne diese auf. Danach schaue ich mir das Filmmaterial mit meinem Produzenten und meiner Kamerafrau an. Was die Crew hinter der Kamera betrifft: Oft arbeite ich mit denselben Leuten zusammen, weil ich weiss, wie sie funktionieren. Ich kenne ihre künstlerischen Fähigkeiten und kann ihnen auch menschlich vertrauen. Das ist mir sehr wichtig, denn ein fauler Apfel in der Crew kann sehr viele Probleme schaffen.

Erinnern Sie sich an ein Rekrutierungserlebnis, das Sie nie vergessen werden?

Vor ein paar Jahren war ich auf der Suche nach einer Kameraperson und traf mich mit diversen Kandidatinnen und Kandidaten. Jemanden rekrutierte ich vom Fleck weg, nachdem wir uns beim ersten Gespräch sofort verstanden hatten. Ein erstes Zusammentreffen, bei dem es menschlich funkt, bedeutet allerdings nicht, dass man auch gut zusammenarbeitet – das war dann leider der Fall. Seither gehe ich beim Recruiting sorgfältiger vor. Ich vertraue nicht allein meinem Bauchgefühl. Bevor ich einen künftigen Mitarbeitenden einstelle, hole ich mir weitere Informationen ein, bespreche mich mit meinem Sparringpartner und schlafe nochmals darüber.

Corona hat nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Kultur lahmgelegt. Gefilmt wird zwar, aber nur mit grossen Auflagen. Erst kürzlich sendete das Schweizer Fernsehen ihre Filmreihe «Frieden». Wie haben Sie die Dreharbeiten erlebt?

«Frieden» wurde glücklicherweise noch vor Corona gedreht. Was ich am Rande mitbekomme, ist, dass Dreharbeiten immer wieder unterbrochen werden müssen, wenn jemand aus dem Team Corona-positiv getestet wurde. Ausserdem tragen alle Masken. Der Aufwand für diese Sicherheitsmassnahmen ist enorm.

Sie leben momentan in New York und Berlin. Was bedeutet diese ausserordentliche Lage für Sie persönlich?

Da ich am Schreiben bin, hat sich für mich nicht viel verändert, obschon meine Tage monotoner geworden sind. Es ist eine Herausforderung, inspiriert zu bleiben, wenn es kaum äussere Stimuli gibt. Ich klage jedoch auf hohem Niveau. Immerhin kann ich arbeiten. Meine Existenz war nie bedroht.

Welche neuen Projekte stehen an?

Zurzeit bin ich an diversen Film-Castings beteiligt. Parallel dazu schreibe ich für verschiedene Projekte, unter anderem an einer Auftragsarbeit für ein grosses Filmstudio in Hollywood. Die Inhalte sind aber noch nicht spruchreif.

Wie wird der Schweizer Film nach Corona dastehen?

Die grosse Frage ist: Werden die Leute wieder ins Kino gehen? Davon hängt vieles ab. Ich für meinen Teil hoffe es sehr, da man zu Hause dieses gemeinschaftliche und verbindende Erlebnis nicht hat.

Zur Person

Petra Volpe kam 1970 in Suhr zu Welt und ist schweizerisch-italienische Doppelbürgerin. Von 1992 bis 1994 studierte sie Kunst an der F+F Schule für Kunst und Design in Zürich. Danach lebte sie in New York City, bevor sie nach Zürich zurückkehrte und dort als Filmeditor arbeitete. Im Anschluss studierte Volpe von 1997 bis 2000 Dramaturgie und Drehbuch an der Hochschule für Film und Fernsehen «Konrad Wolf» in Potsdam. Seit 2001 ist sie als freischaffende Drehbuchautorin und Regisseurin tätig. 2017 erhielt sie den Schweizer Filmpreis «Bestes Drehbuch» für ihren Film «Die göttliche Ordnung». Petra Volpe lebt und arbeitet heute in Berlin und New York.

 

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Christine Bachmann 1

Christine Bachmann ist Chefredaktorin von Miss Moneypenny. cb@missmoneypenny.ch

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