HR Today Nr. 7&8/2019: Praxis – Leadership II

Ein Job für Superman?

Die Anforderungen an Führungskräfte werden im digitalen Zeitalter zwar vielschichtiger und komplexer, doch zwischenmenschliche Beziehungen bleiben entscheidende Erfolgsfaktoren.

Welche Kompetenzen benötigen Führungskräfte, um im Zeitalter der Digitalisierung erfolgreich zu führen? Um das herauszufinden, hat das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ) 61 Studien und Umfragen zum Thema Führung aus den Jahren 2012 bis 2018 analysiert und ein Kompetenz-Ranking erstellt. Bei der zugrunde liegenden Auswertung von 61 Primärstudien wurde analysiert, wie häufig bestimmte Kompetenzen als relevante Führungskompetenzen genannt werden. Insgesamt werden 86 Führungskompetenzen aufgelistet, die eine Relevanz für den Führungserfolg haben. Die am häufigsten genannten sind:

  • Kommunikationsfähigkeit (57 Prozent)
  • Veränderungsfähigkeit (39 Prozent)
  • Wertschätzung/Mitarbeiterorientierung (33 Prozent)

Dabei werden drei Arten von Kompetenzen unterschieden:

  • 
«Analoge» Kompetenzen: Sind jene, die bereits im vor-digitalen Zeitalter (z. B. in den 1980er-Jahren) bekannt und relevant waren, und die sich in ihrem Wesen und Inhalt nicht oder nur marginal geändert haben.
  • 
«Analogitale» Kompetenzen: Diese waren schon im vor-
digitalen Zeitalter bekannt und relevant, haben sich aber durch die Digitalisierung in ihrem Wesen und Inhalt signifikant verändert.
  • 
«Digitale» Kompetenzen: Das sind Kompetenzen, die im vor-digitalen Zeitalter noch nicht existierten oder kaum Bedeutung hatten und erst im Kontext der Digitalisierung relevant wurden.

Die am häufigsten genannten analogen Kompetenzen:

  • Veränderungsfähigkeit (39 Prozent)
  • Wertschätzung (33 Prozent)
  • Innovationsfähigkeit (30 Prozent)

Die am häufigsten genannten analogitalen Kompetenzen:

  • Kommunikationsfähigkeit (57 Prozent)
  • Netzwerkfähigkeit (26 Prozent)
  • Entscheidungsfähigkeit (25 Prozent)

Die am häufigsten genannten digitalen Kompetenzen:

  • Transparenzorientierung (31 Prozent)
  • Digital-/IT-Kompetenz (28 Prozent)
  • Heterarchiefähigkeit (26 Prozent)

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Die wichtigsten Erkenntnisse

Anforderungsprofil: die Führungskraft als «Master of the Universe»?

Eine Führungskraft sollte gemäss Primärstudien im digitalen Zeitalter im Idealfall insgesamt 86 relevante Kompetenzen haben. Das heisst, das Anforderungsprofil an Führungskräfte ist so vielschichtig und komplex, dass die perfekte Führungskraft als «Master of the Universe» erscheint.

Die Zahl 86 sollte jedoch nicht überbewertet werden, da der Begriff «Kompetenz» in den Primärstudien nicht eindeutig definiert ist. Zudem stehen die genannten Kompetenzen oft in einer Wechselbeziehung zueinander und variieren bezüglich der Terminologie. So werden in den bis 2015 publizierten Studien die Begriffe «Schnelligkeit» und «Flexibilität» häufig als Kompetenzen genannt.

Später dominieren Begriffe wie «Agilität». Zudem ist einmal von «Motivationsfähigkeit», dann wiederum von «Inspirationsfähigkeit» oder «Vorbild, Visionär sein» beziehungsweise «optimistisch sein» die Rede. Daraus lässt sich schliessen, dass Führung im digitalen Zeitalter zwar anspruchsvoll aber dennoch keine Aufgabe ist, die nur Menschen mit Superkräften bewältigen können.

Kommunikationsfähigkeit ist die 
Top-1-Kompetenz, jedoch im Dialog 
und nicht im Monolog

«Kommunikationsfähigkeit» ist die mit Abstand am häufigsten genannte Kompetenz. 57 Prozent sehen sie als wichtigste Führungskompetenz im digitalen Zeitalter. Dabei fällt auf, dass 
«dialogische Kommunikationsfähigkeiten» wie Feedback geben, Zuhören und Coachen in den Primärstudien als weit relevanter angesehen werden als «monologische Kommunikations
fähigkeiten» wie Storytelling oder Rhetorik. Der Dialog mit den Mitarbeitenden wird im digitalen Zeitalter somit bedeutsamer für den Führungserfolg als der auf hierarchischem System basierende Top-Down-Monolog.

Leadership goes digital, bleibt jedoch 
analoger als das Business

Die Führungskraft im digitalen Zeitalter erscheint analoger als die Digitalisierung der Wirtschaft beziehungsweise das Business der Unternehmen vermuten lässt. Werden die 86 Kompetenzen hinsichtlich ihrer Beziehung zur Digitalisierung kategorisiert, ergibt sich folgendes Bild:

  • 72 Prozent sind analog
  • 15 Prozent sind analogital und
  • 13 Prozent sind digital.

Der Führungsprozess ist somit auch im digitalen Zeitalter weitgehend analog. Menschen führen Menschen. Angesichts dieser Tatsache sollte die Bedeutung der digitalen und analogitalen Kompetenzen nicht unterschätzt werden: Acht der Top-15-Kompetenzen haben einen entsprechenden Charakter.

Führungskräfte bleiben Führungskräfte, sind jedoch auch Change-Manager und -Leader

Die «Veränderungsfähigkeit» ist mit 39 Prozent die zweithäufigst genannte Kompetenz. Die Handlungsfelder der Veränderung sind dabei sehr weitreichend und umfassend. Sie beziehen sich unter anderem auf Prozesse, Strukturen, Beziehungen und Erwartungen, Geschäftsmodelle und -strategien, Haltungen und Einstellungen, Kommunikationsformen, Kompetenzanforderungen sowie die Führung an sich.

Dabei zeigen die Primärstudien: Der permanente Wandel ist im digitalen Zeitalter die grösste Herausforderung für Führungskräfte. Führungskraft sein bedeutet künftig, gleichzeitig Change-Manager und -Leader zu sein. Die Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit mit all ihren Voraussetzungen und Wirkungen ist nicht ein, sondern das Führungsthema.

Ziele erreichen, jedoch zusammen mit Menschen

Zu den Top-Kompetenzen von Führung zählen künftig «Wertschätzung» beziehungsweise «Mitarbeiterorientierung» mit 33 Prozent. Dabei sollte der Fokus des Führungshandelns vermehrt auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeitenden sowie deren Potenziale, Stärken und Schwächen gerichtet sein und weniger auf fachliche Aufgaben. Die hohe Bedeutung der Mitarbeiterorientierung ist ein Zeichen dafür, dass sich die Führung aus der Umklammerung des «sachlichen Managements» löst.

Das Planen, Organisieren und Steuern der Prozesse im Arbeitsalltag wird weniger wichtig, als das Motivieren, Integrieren, Befähigen und Ermächtigen der Mitarbeitenden sowie eine wertschätzende Kommunikation.

Innovationsfähigkeit ist wichtig, aber 
bitte nicht zu disruptiv

«Innovationsfähigkeit» steht auf Rang 5 (30 Prozent). Dahinter steckt die Anforderung, Neues zu erkunden, zu initiieren und zu ermöglichen. Die Handlungsfelder beziehen sich beispielsweise auf neue Businessmodelle und Denkmuster, technologische Neuerungen, Prozesse und Strukturen sowie innovative Managementskills.

Die Innovationsfreude und -bereitschaft scheint jedoch Grenzen zu haben. Zu revolutionär soll es nicht werden, denn das «disruptive Denken» erreicht mit sieben Prozent im Kompetenz-Ranking nur Rang 56. Die Innovationsfähigkeit scheint also eher für eine «moderate», europäische Digitalisierung zu stehen als eine «radikale» Silicon-Valley-Digitalisierung.

Transparenzorientierung, eine neue 
Kompetenz im digitalen Zeitalter

«Transparenzorientierung» rangiert mit 31 Prozent auf Rang vier. Dahinter steht die Anforderung an Führungskräfte im Unternehmen und in den Beziehungen zu den Mitarbeitenden und Kollegen für Transparenz zu sorgen – unter anderem bezüglich der Werte und Ziele, des geplanten Vorgehens sowie der internen und externen Zwänge. Transparenz schafft Vertrauen, wirkt motivierend und bildet eine Grundlage für ein eigenständiges und verantwortliches Arbeiten.

«Transparenzorientierung» sollte als neue Kompetenz im digitalen Zeitalter in den Fokus der Führungskräfteentwicklung und Führungsarbeit gerückt werden, denn Transparenz ist nicht nur ein Wesensmerkmal der Digitalisierung und der modernen Teamarbeit, sondern auch verhaltenswirksam – und somit ein Führungsinstrument.

Digitalkompetenz ist wichtig, jedoch nicht am wichtigsten

Zu den Top-10-Kompetenzen zählt die «Digitalkompetenz» mit 28 Prozent. In den Primärstudien werden hierzu Anforderungen an die Führungskraft genannt wie ein übergreifendes technologisches Grundverständnis, IT-Kompetenz, Datenverständnis und -analyse sowie «ein fundiertes Wissen in den Bereichen E-Commerce, Social Media, Mobile, Big Data und digitale Technologien».

Interessant ist, dass die «Digitalkompetenz» nur auf Rang sieben liegt. Das liegt primär daran, dass Führung auch im digitalen Zeitalter ein weitgehend analoger Prozess bleibt, in dem das Vertrauen eine zentrale Rolle spielt. Führungskräfte benötigen im Digitalbereich zwar eine Beurteilungskompetenz, um entscheidungs- und handlungsfähig zu sein. Experten oder Spezialisten sind sie in diesem Fachgebiet jedoch meist nicht, weshalb die «Digitalkompetenz» auch keine zentrale Schlüsselkompetenz darstellt.

Bei Führungskräfteentwicklung 
inkrementell vorgehen

Aktuell überdenken viele Unternehmen ihre Führungskräfteentwicklung. In der VUKA-Welt, die sich ständig verändert und immer weniger planbar ist, brauchen sie ein teilweise anderes Kompetenzprofil. Unklar ist oft noch, welche Kompetenzen das konkret sind.

Beim Entwickeln ihrer Führungskräfte sollten Unternehmen im Dialog mit ihren Führungskräften wie bei der Innovation oder der Agilität einen Versuch wagen, Erfahrungen zu reflektieren und das Vorgehen neu zu definieren oder zu verbessern. Ohne Dialog mit den Führungskräften besteht die Gefahr, dass diese angesichts der vielen Anforderungen das Gefühl bekommen, beim Entwickeln dieser Kompetenzen alleingelassen zu werden und dass somit keine neue gemeinsame Führungskultur entsteht.

Zur Studie

Untersucht wurden für die Metastudie 2019 «Führungskompetenzen im digitalen Zeitalter» Studien und Befragungen zum Themenkomplex Führung, an denen insgesamt über 100'000 Personen teilnahmen – meist Führungskräfte, teilweise auch Mitarbeitende und Wissenschaftler. Die kleinste Befragungsgruppe umfasste acht und die grösste 28'358 Personen.
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Barbara Liebermeister leitet das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Frankfurt (www.ifidz.de). Im August 2020 erschien das neuste Buch der Managementberaterin und Vortragsrednerin «Die Führungskraft als Influencer: In Zukunft führt, wer Follower gewinnt».

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Patrick Merke ist Mitglied der Institutsleitung des IFIDZ. Er verantwortet den Bereich Business Development und ist zuständig für Strategie- und Organisationsfragen. Ausserdem begleitet er die IFIDZ-Studien.

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