Tipp

Ein neues Projekt schlägt eine Brücke 
zwischen Behinderung und Arbeitswelt

«Eingliederung vor Rente» heisst die Devise der jüngsten IV-Revision. Genau dies will das neue Projekt Job-Passerelle 
erreichen und setzt dafür bei den Ängsten der Arbeitgeber an. Gleichzeitig bekommen die an dem Projekt teilnehmenden Arbeitgeber damit auch die Chance, ihre Social Responsibility aktiv zu leben.

Seit dem 1. Januar 2008 ist die 5. IV-Revision in Kraft. Sie will unter anderem die Eingliederungsmassnahmen ausbauen und die Anreize für Arbeitgeber so verstärken, dass diese vermehrt Behinderte beschäftigen. Genau an diesem Punkt setzt das Projekt «Job-Passerelle» an: Das Ziel, Menschen mit verminderter Arbeits- und Leistungsfähigkeit in den ersten Arbeitmarkt zu integrieren, soll erreicht werden, indem der Arbeitgeber finanziell wie auch emotional entlastet beziehungsweise unterstützt wird.

Das im Sommer 2007 lancierte Projekt ist eine Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, privaten Behindertenorganisationen und der Invalidenversicherung (IV). Das Modell ist einfach: Job-Passerelle fungiert als Personalvermittler und leiht die behinderte Person dem Arbeitgeber. Wie bei den privaten Personalvermittlern besteht der Vertrag zwischen der Firma und der Verleihagentur. Der Vertrag läuft für ein Jahr und lässt dem Arbeitgeber so Zeit, anhand des Arbeitsalltags zu beurteilen, ob die Zusammenarbeit funktioniert und in eine Festanstellung übergehen kann oder nicht. Während dieses Jahres übernimmt die IV sämtliche behinderungsbeding-ten Mehrkosten des Arbeitgebers. Zusätzlich wird der Arbeitgeber, wie auch der behinderte Angestellte, von einem Job-Coach unterstützt, der Ansprechpartner bei Problemen ist.

Mit diesem Ansatz nimmt Job-Passerelle dem Arbeitgeber seine grössten Ängste: «In den Augen vieler Arbeitgeber bedeutet die Anstellung eines Behinderten einen Wettbewerbsnachteil, weil die Versicherungsprämien sowie der Betreuungsaufwand tendenziell steigen. Zudem ist oft ungewiss, wie sich eine Leistungseinschränkung entwickelt  – im schlechtesten Fall kommt es zu einer Rente. Drittens spielt die soziale Komponente eine Rolle, denn die Teamarbeit mit dem behinderten Kollegen muss klappen.» So fasst Jürg Sigrist die Bedenken der Arbeitgeber zusammen. Er ist Geschäftsführer der Behindertenorganisation Profil – Arbeit & Handicap, einer Stiftung von Pro Infirmis. Profil ist zusammen mit IPT (Intégration pour tous) für den Personalverleih zuständig.

Diese beiden Organisationen sind sozusagen der operative Teil von Job-Passerelle. Unabhängig vom Personalverleih vermitteln Profil wie auch die in anderen geografischen Regionen tätige IPT seit Jahren behinderte Menschen in die freie Wirtschaft. Diese langjährige Erfahrung in der Vermittlung sei auch der Grund dafür, dass man diese beiden Organisationen mit dem Aufbau beziehungsweise Ausbau eines Personalverleihs beauftragt habe, sagt Angela Fürer, Verantwortliche für das Projekt Job-Passerelle beim Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV). «Wir sind jedoch dabei, auch andere mögliche Verleiher zu prüfen.»

Umfassende Information der Kollegen erforderlich

«Ohne Job-Passerelle hätte ich es nicht gewagt, einen Behinderten einzustellen», erklärt Res Bernardinis. Er ist Geschäftsführer von Rovitec GmbH, einem KMU, das Maschinen und Messgeräte herstellt. «Für ein Unternehmen mit nur fünf Leuten ist ein Halbinvalider mit unsicherer Lage ein grosses Risiko: Wird er krank, steigt nicht nur die Krankenkassenprämie, sondern seine Arbeit muss von den Kollegen erledigt werden.» Der «Halbinvalide mit unsicherer Lage» ist Johannes Tschritter. Er wurde aufgrund eines Bandscheibenvorfalls bei seinem früheren Arbeitgeber arbeitslos. Ein Mitarbeiter der Rovitec kannte Tschritter und vermittelte ihn an seinen Chef Bernardinis. «Kollegen im regionalen Arbeitgeberverband rieten mir davon ab, einen Behinderten einzustellen. Und wenn, dann nur mit Job-Passerelle», sagt Bernardinis. Es folgten eingehende Gespräche mit Verantwortlichen der Verleihagentur Profil sowie mit seinem Team. «Ich informierte meine Leute sehr genau, was die Anstellung eines Behinderten auch für sie bedeuten kann.»

Tschritter kann nicht mit dem Auto zu den Kunden fahren, er darf keine schweren Dinge tragen – alles Arbeiten, die zum Alltag  bei Rovitec gehören. Er müsse daher im Innendienst und nur 80 Prozent tätig sein. Nach der Information über Tschritter stimmten die Mitarbeitenden von Rovitec ab: «Sie waren einstimmig für Tschritter», erklärt Bernardinis. Wie wichtig eine umfassende Information der Arbeitskollegen ist, betont auch Jürg Sigrist von Profil: «Wenn die Kollegen nicht wissen, wieso jemand davon verschont bleibt, die schwersten Lasten zu schleppen, kommt schnell schlechte Stimmung auf. Sehr oft übernehmen es unsere Job-Coaches, dem Team die Behinderung und die daraus folgenden Konsequenzen zu erklären.

Manche Arbeitgeber kommunizieren schlecht, weil sie unsicher sind, was sie sagen dürfen und was zu sehr den Privatbereich des Behinderten tangiert. Der Einbezug eines unbeteiligten Dritten ist dann hilfreich.» Res Bernardinis hält das Modell Job-Passerelle «für eine gute Sache». Allerdings kritisiert er die Dauer des «Probejahres», gerade für Fälle wie den seines Mitarbeiters: «Johannes Tschritter arbeitet seit fünf Monaten bei uns. Nun muss er sich bald einer Operation unterziehen, vielleicht folgt noch eine Rehabilitation – wenn das nur schon zwei bis drei Monate dauert, ist das Probejahr bald um.»

Kein Verständnis für zurückhaltende Konzerne

Bisher seien KMU eher bereit gewesen, Behinderte einzustellen, sagt Sigrist. Die kürzeren Entscheidungswege seien sicherlich förderlich. Warum aber grössere Firmen – oft mit geeigneteren Strukturen wie einem  Gesundheitsmanagement – weniger engagiert sind, kann sich Sigrist kaum erklären. «Vielleicht spielen Berührungsängste in einer Grossfirma eine dominantere Rolle. Viele Arbeitgeber müssen diese zuerst überwinden. Wenn sie dann sehen, dass auch eine behinderte Person gute Leistung bringt und sich integrieren kann, sind sie sehr zufrieden». Einen weiteren Grund sieht Sigrist darin, dass die Arbeitgeber noch zu wenig informiert sind über das Projekt. Der Bekanntheitsgrad wie auch die Zugangsmöglichkeiten dürften sich demnächst verbessern: Job-Passerelle strebt eine Zusammenarbeit mit dem Online-Stellenportal JobScout 24 an, das seine Technologie und die Programmierleistung gratis zur Verfügung stellt. «Unternehmen werden Stellen für Behinderte gratis ausschreiben können, sind aber anonymisiert, damit die Personalverantwortlichen nicht überhäuft werden mit Angeboten»,  erklärt Jörg Sennrich,  designierter Geschäftsführer des Fördervereins Job-Passerelle. «Ebenfalls anonymisiert sind die Angebote von Behinderten.

Der interessierte Personalchef wird auf den zuständigen Job-Coach, die betreffende IV-Stelle oder Profil/IPT verwiesen.» Ob mit der zusätzlichen Hilfe des Stellenportals sich mehr Arbeitgeber melden, wird sich zeigen. Für die zurzeit noch unbefriedigende Anzahl Angebote sieht jedoch Angela Fürer vom BSV noch einen anderen Grund. «Der gute Wille des Arbeitgebers, einem Behinderten eine Stelle zu bieten bringt allein noch nichts. Diejenigen Leute, die direkt und jeden Tag mit einem Behinderten zusammenarbeiten, müssen besser informiert und auch involviert werden – sie sind es, die massgeblich zum Erfolg oder Misserfolg des Anstellungsverhältnisses beitragen.»

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