HR Today 3/23: Worktech

Eine Glaskugel für die Zukunft der Arbeit

Wer würde nicht gerne eine Glaskugel haben, um einen Blick in die Zukunft der Arbeit zu werfen? Finanziert von Innosuisse ist ein Projekt namens «Future of Work» im Gange, das genau das ermöglichen soll. Zumindest den Blick mit einem Auge.

Vor rund drei Jahren, mitten in der Corona-Pandemie, erschien der «Future of Jobs Report 2020», herausgegeben vom World Economic Forum (WEF). Darin wurden Vorhersagen zur Zukunft der Arbeit bis ins Jahr 2025 getroffen. So war etwa zu lesen:

  • Das Tempo, mit der Technologien wie Big Data, Cloud Computing, Roboter oder künstliche Intelligenz in Arbeitsprozesse integriert werden, hält unvermindert an und wird sich in einigen Bereichen beschleunigen.
  • Die neuen Technologien werden Tasks, Jobs und Skills verändern; die Maschinen werden aufholen und bis zum Jahr 2025 gleich viel an Arbeitszeit leisten wie die Menschen.
  • Technologie wird sich auch auf Arbeitsorte, Wertschöpfungsketten und die Grösse der Workforce von Unternehmen auswirken; die meisten Arbeitgebenden werden Arbeitsprozesse zügig digitalisieren.
  • Zunehmend werden neue Skills nachgefragt und Skillgaps müssen geschlossen werden; fast die Hälfte aller Arbeitnehmenden wird eine Umschulung benötigen.

Als der WEF-Report damals erschien, lag der gesellschaftliche Fokus noch stark auf der Pandemie und den Möglichkeiten von Remote Work sowie, damit verbunden, auf Cloud, Kollaborationssoftware oder Videochat. Derartige Technologien und Tools hatten es möglich gemacht, dass sich der Anteil an Homeoffice stark erhöhen konnte: In der Schweiz arbeiteten laut einer ­Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) im Sommer 2020 ca. 48 Prozent der gesamten nationalen Workforce zumindest gelegentlich in den eigenen vier Wänden, im Gegensatz zu 38 Prozent vier Jahre davor. Heute, drei Jahre später, beherrschen ChatGPT und Co. die Diskussion – laut dem neusten WEF-«Future of Jobs Report 2023» werden die aktuellen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt von technologischen Durchbrüchen im Bereich der generativen künstlichen Intelligenz bestimmt.

Doch wie genau sehen diese Veränderungen aus? Welche Jobs werden dadurch entstehen? Welche verschwinden? Wenn neue Technologien auftauchen, machen sich immer auch Sorgen breit – so wird das Auftauchen von ChatGPT respektive künstlicher Intelligenz allgemein von Jobängsten aufseiten der Arbeitnehmenden begleitet. Auf der anderen Seite fragen sich die Unternehmen: Werden wir es schaffen, geeignete Leute für die technologische Transformation zu finden? Welche Skillgaps gibt es, welche werden noch entstehen und wie können wir sie schliessen?

Denn trotz der Angst der Arbeitnehmenden vor dem Jobverlust: Laut aktuellem WEF-Report wird davon ausgegangen, dass die Technologisierung unter dem Strich mehr Jobs schaffen als zum Verschwinden bringen wird; allerdings wird es zu Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt kommen. In der Folge könnten Skillgaps und die Schwierigkeit, geeignete Arbeits- und Fachkräfte anzuziehen, für die Unternehmen die Haupthindernisse auf dem Weg zur Weiterentwicklung werden.

Ein schlaues Vorhersagesystem für die zukünftige Arbeitswelt

Auch wenn vieles unklar ist: Die Geschwindigkeit der technologischen Veränderung ist hoch und die Herausforderungen sind entsprechend gross – auch in der Schweiz. «Man spürt deutlich die Verunsicherung auf allen Seiten», bestätigt Felix Busch. Er leitet das Projekt «Future of Work – Vorhersagesystem für die zukünftige Arbeitswelt», das von Innosuisse während der zweijährigen Projektlaufzeit finanziert wird. Busch ist Data Engineer und promovierter Arbeitsmarktsoziologe. Auf der einen Seite wollen die Arbeitnehmenden wissen, worauf sie sich einstellen können, sagt er: «Ist das, was wir heute lernen, morgen schon wieder obsolet? Wird mein Job noch gebraucht?» Auf der anderen Seite wäre es verheerend, hätte man eine hohe Arbeitslosigkeit bei einem gleichzeitig hohen Arbeits- und Fachkräftemangel, weil man es verpasst hat, Arbeitnehmende nach- oder umzuschulen.

Hier möchte das Projekt «Future of Work» sowohl Unternehmen als auch Arbeitnehmenden Hand bieten, sich auf die Zukunft der Arbeit einzustellen. Denn Prognosen wie die des WEF würden zwar ein Bewusstsein für die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt schaffen, zeigten jedoch nicht, wie damit umgegangen werden soll, so die Fachhochschule Graubünden (FHGR), einer der Partner im Projekt: «Zielführend wäre zu wissen, wer in Zukunft noch welche Tätigkeiten erledigen wird – und zwar nicht nur, ob Mensch oder Maschine, sondern auch, ob die Wertschöpfung hier in der Schweiz oder anderswo stattfinden wird.» In Kooperation mit der x28 AG, in der Projektleiter Felix Busch zu Hause ist, sowie mit jobchannel ag und Scrambl. AG soll ein «disruptives Vorhersagesystem» gebaut werden, das «die Relevanz von Arbeitstätigkeiten in Bezug auf Automatisierung und Offshoring bestimmt und Möglichkeiten zur Verbesserung der Bereitschaft von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden in der Schweiz aufzeigt», heisst es bei der Fachhochschule Graubünden.

Felix Busch erklärt, wie im Projekt vorgegangen wird: «In einem ersten Schritt haben wir das Problem quantifiziert: Was wird in der Schweizer Arbeitswelt überhaupt gemacht?» Und zwar nicht auf der Stufe Job, was zu generisch und zu wenig aussagekräftig wäre, sondern die einzelnen Tätigkeiten wurden identifiziert, die einen Job ausmachen. «Eine Journalistin zum Beispiel schreibt nicht nur Artikel, sondern recherchiert, interviewt oder erledigt administrative Aufgaben.» So sei es auch in anderen Jobs. Herausgekommen ist ein Katalog von rund 100 000 «uniquen», also eindeutigen Tätigkeiten, die gleichzeitig in mehreren Berufen vorkommen können – wie etwa «Gemüse rüsten» oder «Protokolle schreiben».

Wirtschaft bleibt hinter dem technisch Möglichen

Daraufhin habe sich das Projektteam laut Busch gefragt: Ist die Tätigkeit nach dem heutigen Stand der Technik automatisierbar? Und: Ist sie von der Ferne aus, also bei kompletter örtlicher Abwesenheit, ausführbar und damit offshorebar? Meetings etwa lassen sich aus der Ferne per Videocall abhalten. Hingegen kann ein Friseur einem Kunden die Haare nicht von einem anderen Ort aus schneiden. Indem die Frage nach Automatisierbarkeit respektive Offshorability mit einem klaren Ja oder Nein beantwortet werde, lassen sich Eindeutigkeit und eine «extreme Schärfe» in den Daten herstellen, erklärt der Projektleiter. «Wir kombinieren die identifizierten Tätigkeiten mit den derzeitigen technologischen Möglichkeiten und beziehen alles in die Überlegungen mit ein: von Robotern, die in Lagerhäusern eingesetzt werden, über autonomes Fahren bis zur generativen KI.» Wenn man wisse, was automatisierbar sei und was remote gemacht werden könne, habe man ein besseres Bild darüber, was in Zukunft noch in der Schweiz und was möglicherweise nicht mehr hier gemacht werde. Das aufzuzeigen, sei das Ziel des Projekts.

Mit dem Output des Projekts lässt sich somit für jede einzelne Tätigkeit die Frage beantworten, ob «zum jetzigen Zeitpunkt diese von einem Roboter, einem prädiktiven System, von einem Algorithmus oder von einer Soft- oder Hardware erledigt werden kann», sagt Felix Busch. «Und auch, ob sie jemand anders ausführen könnte, remote oder von einem anderen Land aus.»

Die Daten können jedoch nicht beantworten, was tatsächlich passieren werde: «Oft erwartet man von intelligenten Systemen Voraussagen zur Zukunft», sagt Busch. «Aber auch wir mit unseren Arbeitsmarktdaten, die uns sehr tiefe Einblicke ermöglichen, haben keine Glaskugel. Ob etwas definitiv automatisiert wird, wissen wir nicht. Wir können nur sagen, ob eine Tätigkeit nach dem heutigen Stand automatisierbar wäre.» Komme hinzu, dass Gesellschaft und Wirtschaft den technischen Möglichkeiten immer etwas hinterherhinken – sprich, selbst heute ist noch längst nicht alles automatisiert, was es nach dem Stand der Technik sein könnte.

Nichtsdestotrotz lässt sich mit den Daten aus dem «Future of Work»-Projekt – zumindest mit einem Auge – in die Zukunft schauen respektive neues Wissen gewinnen, um sich als Unternehmen und als Einzelne und Einzelner besser auf die Zukunft einstellen zu können:

  • Firmen können ihre Wertschöpfungsprozesse analysieren und herausfinden, wie gross das aktuelle Potenzial für Automatisierung respektive Offshoring ist. Damit lässt sich einerseits die Strategie neu ausrichten und andererseits den Lücken, die aus dem Arbeits- und Fachkräftemangel entstehen, anders begegnen.
  • Arbeitnehmende wiederum können sich ein Bild dahingehend machen, wie sehr sich ihre Tätigkeiten potenziell verändern werden, und mit Weiterbildungen oder Umschulungen ihre Arbeitsmarktfähigkeit erhalten.
  • Auch die Unternehmen können mit Up- und Reskilling-Massnahmen ihre Workforce in eine neue Richtung lenken, sobald sie sich ein Bild dahingehend gemacht haben, welche Skills sie in Zukunft benötigen werden.

Nachschlagen wird man diese Daten in einer «schlauen Webapplikation» können, sagt Projektleiter Felix Busch. Diese soll sowohl Unternehmen wie auch Arbeitnehmende ansprechen und zu weiten Teilen für alle frei zugänglich sein. «Die Leute sollen nach ihren eigenen Berufsprofilen suchen können, während die Unternehmen in der Webapplikation die Möglichkeit erhalten, eigene Wertschöpfungsprozesse und die darin enthaltenen Skills zu analysieren. Eine recht spannende Sache also», sagt Felix Busch. «So wollen wir mit dem Projekt einen Nutzen für die Gesellschaft stiften.» Das Projekt soll bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein.

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Jelena Martinelli hat als Abteilungsleiterin für SwissRe und Swisscom gearbeitet. Heute ist sie selbstständige Texterin, freie Journalistin und Autorin, und berät KMU zu Kommunikationsfragen. www.martinellitext.com

Jelena Martinelli hat als Abteilungsleiterin für SwissRe und Swisscom gearbeitet. Heute ist sie selbstständige Texterin, freie Journalistin und Autorin, und berät KMU zu Kommunikationsfragen. www.martinellitext.com

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