Interview mit Leiter des Projekts «Future of Work»

«Heute Physiotherapeutin, morgen Zirkusdompteurin»

Dass neue Technologien Angst machen, war schon immer so. Doch seit dem Auftauchen von ChatGPT respektive der generativen künstlichen Intelligenz wird die Debatte besonders aufgeregt geführt – von «wir werden in Zukunft alle arbeitslos sein» bis «KI wird die Menschheit auslöschen» kommen sämtliche Untergangsszenarien aufs Tapet. Felix Busch, Leiter des Projekts «Future of Work», Data Engineer und promovierter Arbeitsmarktsoziologe, ordnet ein.

Sollten wir uns darauf gefasst machen, dass wir uns immer öfter weiterbilden müssen, weil KI ganze Berufsfelder umpflügen wird?

Felix Busch: Tatsächlich findet mit den neuen Technologien eine Beschleunigung statt und Weiterbildung ist heute wichtiger als noch vor beispielsweise zehn Jahren. Es ist jedoch nicht so, dass nun Schlag auf Schlag Neuerungen folgen und wir ständig auf der Hut sein müssen im Sinne von: Heute bin ich Physiotherapeutin, morgen werde ich mich zur Zirkusdompteurin umschulen lassen müssen. Viele Ängste werden medial geschürt, mit Schlagzeilen, die sich gut verkaufen. Ich plädiere dafür, reisserischen Prognosen mit Vorsicht zu begegnen. Denn so wie wir, haben auch andere die Glaskugel nicht. Vieles ist übertrieben. Ich würde die jetzigen Entwicklungen nicht als etwas ansehen, wobei plötzlich alles auf den Kopf gestellt wird, sondern eher als einen Prozess, bei dem wir uns nach und nach darauf einstellen sollten, was kommt.

Felix Busch

Felix Busch leitet das Projekt «Future of Work – Vorhersagesystem für die zukünftige Arbeitswelt» und arbeitet als Data Engineer bei der x28 AG. Er promovierte bis 2018 an der Universität Oxford in Arbeitsmarktsoziologie und wurde für seine Dissertation mit dem Preis des European Consortium for Sociological Research ausgezeichnet. Anschliessend arbeitete Busch beim Stellenmarkt-Monitor Schweiz der Universität Zürich, wo er Studien zu Arbeitsmarktdynamiken mit den richtigen Daten versorgte. Als «Techie» mit wissenschaftlichem Background versucht Felix insbesondere komplexe gesellschaftliche Prozesse für ein breites Publikum zugänglich zu machen.

 

Wie steht es mit Voraussagen, wonach ganze Berufsbilder aussterben werden?

In der Geschichte der wirtschaftlichen Tätigkeit hat sich bislang eines bewahrheitet: Wenn technologische Neuerungen erscheinen, fallen nicht nur Tätigkeiten weg, sondern es kommen auch andere hinzu. Wenn man jedoch den Blick in die Zukunft richtet, ist es einfacher, sich vorzustellen, was verschwinden könnte, als die Fantasie anzuregen und sich zu überlegen, welche Berufsfelder möglicherweise entstehen. Etwas, das noch nicht existiert, kann man schlecht in die Diskussion einbeziehen. Doch selbst bei der Einschätzung, was wegfallen könnte, machen wir es uns meiner Meinung nach oft zu einfach. Diesem Umstand möchten wir mit dem Projekt «Future of Work»-Projekt und den detaillierten Analysen darin begegnen.

Trotzdem: Werden neue Technologien nicht hauptsächlich deswegen eingesetzt, um den Menschen im Arbeitsprozess überflüssig zu machen?

Man darf nicht vergessen: In manchen Branchen wurde ein grosser Teil der Arbeit bereits automatisiert. In der Industrie gibt es Fertigungsprozesse, die komplett automatisch laufen – dennoch haben wir in der Schweiz eine rekordtiefe Arbeitslosigkeit. Haben wir uns mit dem technologischen Fortschritt selbst ins Bein geschossen? Nein. Es geht uns wirtschaftlich gut, es gibt interessante Arbeit und wir bewegen uns vielmehr in die Richtung, dass die Arbeitnehmenden aufgrund des Arbeits- und Fachkräftemangels immer bessere Bedingungen geboten bekommen. Letztlich zeigt unser Projekt aber vor allem auch: Menschen sind keine Lebewesen, die einfach passiv abwarten – sondern wir sind willens und fähig, unsere Zukunft in die eigene Hand zu nehmen. Genau hier liegt vor allem heute die Chance: Weil wir intelligente Daten haben, sind wir nicht mehr blind, sondern in der Lage, ein Stück weit in die Zukunft zu schauen und die Richtung mitzubestimmen.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos
Jelena Martinelli hat als Abteilungsleiterin für SwissRe und Swisscom gearbeitet. Heute ist sie selbstständige Texterin, freie Journalistin und Autorin, und berät KMU zu Kommunikationsfragen. www.martinellitext.com

Jelena Martinelli hat als Abteilungsleiterin für SwissRe und Swisscom gearbeitet. Heute ist sie selbstständige Texterin, freie Journalistin und Autorin, und berät KMU zu Kommunikationsfragen. www.martinellitext.com

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