Eine Rachekündigung kann sich teuer rächen
Macht ein Mitarbeiter einen berechtigten Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis geltend und wird ihm in der Folge gekündigt, so ist die Kündigung missbräuchlich.
Anna L. leistete während Monaten viele Überstunden, weil die Abteilung unterbesetzt war. Eine vertragliche Regelung über die Abgeltung dieser Mehrzeit gab es nicht. Also sprach sie ihren Vorgesetzten darauf an und bat um Auszahlung dieser Stunden. Schliesslich wollte sie sich nun schöne Ferien leisten, um sich von all den zusätzlichen Strapazen der vergangenen Monate zu erholen. Ihr Vorgesetzter fand ihre Forderung jedoch unverschämt und verwies auf die nicht ganz rosige Auftragslage des Unternehmens. Die Forderung nach Auszahlung der Stunden sei deshalb nicht angebracht und zeige ihre fehlende Loyalität dem Unternehmen gegenüber.
Eine Woche später wurde Anna L. gekündigt. Eine Begründung wurde ihr trotz mehrmaligem Nachfragen verweigert. Eine Kollegin riet ihr, gegen den Arbeitgeber vorzugehen. Es sei naheliegend, dass dieser ihr aus Rache gekündigt habe, weil sie ein ihr zustehendes Recht geltend gemacht habe und ihm das nicht passte. Dies sei missbräuchlich.
Kündigung bleibt gültig, auch wenn sie missbräuchlich war
In der Schweiz besteht grundsätzlich Kündigungsfreiheit. Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber sind frei, ohne besonderen Grund eine Arbeitsstelle zu kündigen. Nebst gewissen zeitlichen Einschränkungen, sogenannten Sperrfristen, gibt es auch sachliche Einschränkungen, sogenannte missbräuchliche Kündigungsgründe. Diese sind in Artikel 336 OR geregelt, wobei die Aufzählung nicht abschliessend ist.
Einer dieser missbräuchlichen Gründe liegt vor, wenn einem Mitarbeiter gekündigt wird, weil er nach Treu und Glauben einen Anspruch geltend macht, welcher ihm aus dem Arbeitsverhältnis zusteht. Man spricht dann von einer sogenannten Rachekündigung (Art. 336 Abs. 1 lit. d OR). Im vorliegenden Fall hat Anna L. einen solchen Anspruch geltend gemacht, nämlich die Auszahlung von geleisteten Überstunden, wie sie Art. 321c Abs. 3 OR vorsieht.
In der Praxis sind Rachekündigungen die häufigsten missbräuchlichen Kündigungen und beschäftigen die Gerichte immer wieder. Missbräuchlich sind zum Beispiel Kündigungen, die ausgesprochen werden, weil der Arbeitnehmer sich weigert, vertraglich nicht geschuldete Aufgaben auszuführen, oder Kündigungen, die ausgesprochen werden, nachdem der Arbeitnehmer berechtigte Kritik an einer Reorganisierung übt. Auch sogenannte «Whistleblower» sollen durch das Verbot der Rachekündigung geschützt werden. Ihr oftmals mutiges Vorgehen soll nicht mit einer Kündigung bestraft werden können, sofern die von ihnen ergriffenen Mittel verhältnismässig waren.
Die Gründe, die einen Arbeitgeber zur Rachekündigung verleiten, sind mannigfaltig. Fakt ist aber, dass eine solche Kündigung zwar eigentlich verboten ist, sie jedoch als Gestaltungsrecht einmal ausgesprochen trotzdem gültig bleibt. Das heisst, selbst wenn der Richter entscheidet, dass die Kündigung aus Rache erfolgte und sie dadurch missbräuchlich war, bleibt sie dennoch bestehen und der Arbeitnehmer ist seine Stelle los. Er kann nur gestützt auf die Geltendmachung der Missbräuchlichkeit auf eine Entschädigung für den erlittenen Ärger hoffen.
Einsprache beim Arbeitgeber, Klage bei Gericht: Fristen beachten
Die Kündigung ist also gültig, ob missbräuchlich erfolgt oder nicht, sofern sie nicht aus einem anderen gesetzlichen Grund (zum Beispiel bei Verletzung der Sperrfristen) nichtig ist. Die kündigende Partei kann aber bei Missbräuchlichkeit zu einer Entschädigung von bis zu sechs Monatslöhnen verpflichtet werden (Art. 336a OR). Die Partei, welche sich auf die missbräuchliche Kündigung beruft, muss spätestens bis zum Ende der Kündigungsfrist schriftlich beim Arbeitgeber Einsprache erheben. Darin muss sie klar zum Ausdruck bringen, dass sie mit der Kündigung nicht einverstanden ist. Schliesslich muss innert 180 Tagen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Klage bei Gericht eingereicht werden (Art. 336b OR). Werden diese Fristen nicht eingehalten, ist ein allenfalls bestehender Anspruch verwirkt. Die Fristen können nicht erstreckt werden.
Beweislast – eine hohe Wahrscheinlichkeit genügt
Derjenige, der gekündigt worden ist, muss grundsätzlich beweisen, dass die Kündigung missbräuchlich erfolgte. Zu beweisen, dass der Kündigung ein missbräuchliches Motiv zugrunde lag, ist in der Praxis oft sehr schwierig. Der Gekündigte hat zwar einen Anspruch darauf, dass die Kündigung schriftlich begründet wird, nennt der Kündigende jedoch einen anderen als den vom Gekündigten behaupteten Grund, muss Letzterer beweisen, dass der genannte Grund nur vorgeschoben und unwahr ist und der eigentliche Grund der missbräuchliche ist.
Da jedoch nur die kündigende Partei mit Sicherheit weiss, warum sie gekündigt hat, gelten in der Praxis gewisse Beweislasterleichterungen. So sind lediglich die Umstände zu beweisen, die den Schluss zulassen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit das Arbeitsverhältnis aus dem behaupteten missbräuchlichen Grund gekündigt worden ist. Es gelten also insbesondere bei der Rachekündigung gewisse natürliche Vermutungen, die sich aus der Erfahrung ableiten.
Somit genügt es dem Richter, dass ein Grund sehr wahrscheinlich vorgeschoben ist, um den wahren Grund zu vertuschen. Bezogen auf das einleitende Beispiel würde es dem Arbeitgeber somit wenig nutzen, wenn er als Kündigungsgrund «wirtschaftliche Gründe» angibt, die Stelle aber sofort wieder besetzt. Da liegt der Verdacht nahe, dass es sich hier um einen vorgeschobenen Grund handelt und in Tat und Wahrheit die kürzlich geltend gemachte Überstundenforderung die Kündigung verursacht hat.
Die vom Gesetz vorgesehene Entschädigung hat einen doppelten Zweck: Einerseits dient sie der «Bestrafung» des Kündigenden und andererseits soll sie die erlittene Unbill beim Gekündigten wiedergutmachen. Sie ist kein eigentlicher Schadenersatz, denn sie kann auch dann zugesprochen werden, wenn dem «Opfer» kein eigentlicher Schaden entstanden ist.
Für Höhe der Entschädigung werden alle Umstände miteinbezogen
Der Richter entscheidet über die Höhe nach eigenem Ermessen und unter Würdigung aller Umstände, wobei er die vom Gesetz festgelegte Höhe nicht überschreiten darf. Namentlich berücksichtigt er bei seiner Entscheidungsfindung die Schwere des Verschuldens des Kündigenden und ein allfälliges Mitverschulden beim Gekündigten. Auch die Art, wie die Kündigung ausgesprochen wurde, die Dauer des Arbeitsverhältnisses, die wirtschaftlichen Folgen für den Entlassenen, das Alter, die Situation auf dem Arbeitsmarkt, die wirtschaftliche Lage beider Parteien und nicht zuletzt die Schwere des Eingriffs in die Persönlichkeit des Gekündigten wird er in die Waagschale werfen, um am Ende die Höhe der Entschädigung festzulegen.
Image- und Motivationseinbussen fürs Unternehmen
Der Kündigungsschutz in der Schweiz geht weit weniger weit als in unseren Nachbarländern. Insbesondere was die Kündigungsgründe betrifft, ist der Arbeitgeber recht flexibel, sich einer nicht mehr so geschätzten Person zu entledigen. Umso wichtiger erscheint es, wenigstens die wenigen Normen, die den Arbeitnehmer vor der Willkür des Arbeitgebers schützen, auch zu beachten. Missbräuchliche Kündigungen schaden nicht nur dem einzelnen Mitarbeiter, sondern dem Image des Unternehmens und der Motivation aller Angestellten.