«Eine Vakanz ist ein Produkt»
Willi Bollhalder rekrutiert seit über 35 Jahren. Seine Laufbahn begann er bei Hewlett-Packard (HP). Heute ist er selbständig. Ein Rückblick und eine Vorausschau.
Recruiting muss unterhaltsamer werden, findet Recruiting-Urgestein Willi Bollhalder. (Bild: zvg)
Sie begannen Ihre HR-Karriere bei HP. Wie war das damals?
Willi Bollhalder: Es war eine spezielle Zeit, als ich 1985 bei HP anfing: Damals lernte ich sogar noch deren Gründer Bill Hewlett und David Packard kennen. Das waren Unternehmer der alten Schule und sehr nahbar. HP war wie eine Familie, die in allen Hochs und Tiefs zusammenhielt. Diese Verbindung hält bis heute: An Alumni-Events treffe ich immer noch viele meiner ehemaligen Kolleginnen und Kollegen. Was HP auszeichnete, war, dass man interne Talente förderte und versuchte, so viele Führungskräfte wie möglich im Betrieb heranzuziehen. Mussten wir dennoch extern rekrutieren, durfte ich meiner Kreativität freien Lauf lassen. So schaltete ich einmal ein Zeitungsinserat, in dem ich explizit im Titel nach einer Servicetechnikerin suchte und im Kleingedruckten schrieb «auch Männer dürfen sich bewerben». Das gab damals einen Aufschrei: Es meldeten sich unzählige Bewerber, die sich diskriminiert fühlten. Auch in Bewerbungsgesprächen schlug ich oft andere Wege ein. Gegenüber Kandidatinnen und Kandidaten verhielt ich mich aber immer wertschätzend. Auch dann, wenn wir als Arbeitgeberin in einer «stärkeren» Position waren. Führte ein Bewerbungsgespräch beispielsweise ins Nichts, teilte ich den Bewerbenden mit, weshalb es nicht geklappt hatte. Das war mir wichtig, weil sie ja auch Botschafter der Firma sind. Sie sollten mit der Einstellung aus dem Gespräch gehen: «Ich habe zwar die Stelle nicht erhalten, finde das Unternehmen aber trotzdem top!»
Willi Bollhalder
Willi Bollhalder hat 35 Jahre HR-Erfahrung gesammelt: vom KMU bis zum globalen Konzern, als Recruiter über einen HR-Projektleiter bis hin zum HR Director. Heute begleitet Bollhalder ambitionierte und innovative HR-Fachleute bei der Neugestaltung ihres Recruitings durch Mentoring, Business Coaching und mit seiner «Academy for Talent Attraction».
Das Programm beinhaltet ein 10-wöchiges modular aufgebautes Online-Training. Die Module vermitteln moderne Recruiting-Lösungsansätze mit Videos, Handbuch und Recruiting-Hacks. Das Programm richtet sich an Personalfachleute, Recruiter sowie Geschäftsführende von KMU mit «Innovationsdrang». Die Teilnehmenden erhalten einen persönlichen Zugang zur Lernplattform und profitieren von wöchentlichen «Q&A»-Live-Calls. Die nächste Academy startet am Montag, den 20. November 2023. willibollhalder.ch
Sie arbeiten seit 30 Jahren im HR. Was hat sich in dieser Zeit im Recruiting geändert?
Früher konnten Firmen ihre Mitarbeitenden auswählen, heute wählen Kandidatinnen und Kandidaten ihre Arbeitsplätze. Bewerbende sind selbstbewusster geworden. Sie wissen, welchen Wert sie auf dem Arbeitsmarkt haben, und fragen vermehrt nach dem Sinn ihrer Tätigkeit und ob die Philosophie des Unternehmens zu ihrer Einstellung und ihren Werten passt. Firmen können ihnen keine Hochglanzbroschüren mehr unter die Nase halten und sich damit «gut» verkaufen.
Was heisst das für Recruiter?
Eine Vakanz ist ein Produkt, das Recruiter wie ein Konsumgut auf dem Markt positionieren und verkaufen müssen. Dazu sollten sie ihre «Kunden» und deren Bedürfnisse kennen. Um zu erfahren, wo sich diese aufhalten und wie man sie ansprechen muss, braucht es Marktforschung. Wichtig ist zudem, welche Persönlichkeiten, welches Wissen und welche Fähigkeiten eine bestimmte Stelle in einem bestimmten Team erfordert. Das bedingt eine ausführliche Vorabklärung mit der Fachabteilung und bedeutet, Anforderungs- und Stellenprofile zu schärfen. Wer das tut, spart am Ende Zeit, weil daraus weniger, dafür besser passende Bewerbungen resultieren.
Sollte man HR dafür an einen Verkaufskurs schicken?
HR muss ein Bewusstsein und Verständnis für die Vermarktung von Stellen entwickeln. Dazu kann HR bei den Marketingabteilungen um Rat fragen und Weiterbildungen besuchen.
Sie plädieren für ungewöhnliche Methoden. Etwa, dass sich HR auf Fachkongressen blicken lässt …
HR könnte sich an einem Ingenieurkongress mit den anwesenden Fachkräften unterhalten. Von 100 Arbeitskräften sind rund 15 aktiv auf Stellensuche und 70 Prozent wechselwillig. Das trifft auch auf die Teilnehmenden solcher Anlässe zu. Wer diese Kontaktmöglichkeiten nicht nutzt, verpasst eine Chance. Besonders deshalb, weil nur wenige im passiven Stellenmarkt fischen, obwohl die Erfolgschancen dort am höchsten wären.
Sie fordern zudem mehr «Recruitainment». Was heisst das?
Information mit Entertainment aufzubereiten, sodass sie wahrgenommen wird. Recruiting mit Entertainment angereichert heisst, mehr Bewegtbilder einzusetzen, denn ein Video, das eine Stelle bewirbt, wird bedeutend häufiger angeschaut als ein Textinserat. Egal ob Video oder Blog: Firmen müssen sich überlegen, wie ihre Vakanz aus der Menge der offenen Stellen heraussticht.
Was, wenn das HR nebenbei läuft und für solche Aktionen nicht so viel Zeit bleibt?
HR müsste dann den Eigentümern oder der Geschäftsführung klarmachen, was eine unbesetzte Stelle kostet. Bei Kapazitätsengpässen sollten KMU deshalb mit externen Experten zusammenarbeiten. Das Argument «wir haben dafür kein Budget» kann durch eine Vollkostenrechnung mit einem Cost-of-Vacancy-Rechner leicht entkräftet werden.
Hat ein Unternehmen einen Bewerbenden an der Angel, heisst das nicht, dass es zum Stellenantritt kommt. Nicht einmal dann, wenn der Vertrag bereits unterschrieben wurde. Wie verhindert man das?
Der Kontakt zur neuen Kollegin oder zum neuen Kollegen darf nie unterbrochen werden. Dafür braucht es eine ständige Interaktion, denn bis zum Stellenantritt kann viel passieren. Ein gutes Pre-Boarding macht zudem viele Schritte im Onboarding überflüssig. Beispielsweise, weil die Neuen ihre Kolleginnen und Kollegen bereits an einem Anlass kennengelernt haben. Es zeugt zudem von Wertschätzung, wenn man neue Mitarbeitende früh involviert. In der Praxis wird dieser Austausch jedoch sträflich vernachlässigt.
Inwiefern ist der Rekrutierungsprozess mit der Unterschrift auf dem Vertrag abgeschlossen?
Für mich ist dieser Prozess erst mit der Integration der neuen Mitarbeitenden abgeschlossen. Also nach der Probezeit. Bei HP wurde ich unter anderem daran gemessen, wie viele Mitarbeitende das Unternehmen in den ersten zwölf Monaten verliessen. Das, weil Neue in den ersten Monaten viel kosten und wenig zur Wertschöpfung beitragen. Eigentlich müsste man diese Kennzahl überall einführen, dann hätte das HR ein Interesse daran, sich verstärkt damit auseinanderzusetzen, wie man neue Mitarbeitende in der Firma eingliedert.