Einsatzpotenziale denkender Maschinen

Viele Unternehmen werden künftig beim Gestalten ihrer Geschäftsprozesse auch auf künstliche Intelligenz setzen. Damit einher geht ein grosser Change-Management-Bedarf in den Unternehmen, aber auch die Beraterbranche muss sich darauf einstellen.

Es wirkt etwas verrückt, was uns der Regisseur Spike Jonze in seinem 2013 produzierten Film «Her» zum Thema künstliche Intelligenz erzählt: Theodore Twombly, der Hauptcharakter des Films, verliebt sich in Samantha, ein Betriebssystem auf seinem Rechner, mit dem er via Headset und Videokamera kommuniziert. Samantha ist eine künstliche Intelligenz. Sie lernt über die soziale Interaktion mit Theodore und ihr Verhalten wird immer menschlicher. Am Ende beginnt Theodore sogar, eine intime Beziehung mit Samantha aufzubauen.

Schon klar, wir sprechen hier von einem Film, der nicht den Anspruch erhebt, in allen Punkten der Realität zu entsprechen. Doch wie weit sind wir von einem solchen Szenario entfernt? Man bedenke nur, dass in Japan 2018 ein Mann ein Hologramm heiratete. Wie intelligent ist heute bereits die künstliche Intelligenz und wie gut kann sie mit uns kommunizieren?

Lernende Maschinen und Systeme

Maschinen lernen im Prinzip ähnlich wie Menschen. So kann ein Computerprogramm beispielsweise lernen, bestimmte Objekte zu erkennen. Dazu wird es zunächst mit Daten gefüttert und trainiert. Ihm wird zum Beispiel gesagt, welches Objekt ein Pferd ist und welches nicht. Danach erhält das Programm regelmässig eine Rückmeldung vom Programmierer, ob es die Unterscheidung «Pferd» und «kein Pferd» richtig traf. Dieses Feedback nutzt der Algorithmus, um sich selbst so lange zu verbessern, bis er am Ende sichere die Unterscheidung «Pferd» und «kein Pferd» trifft.

Die Machine Learning Systeme bestehen in der Regel aus drei Komponenten:

  1. aus einem Modell, das Vorhersagen und Identifikationen trifft,
  2. aus Parametern, also Signalen oder Faktoren, die vom System genutzt werden, um Entscheidungen zu treffen, und
  3. aus dem lernenden System.

Das lernende System passt die Parameter und somit auch das Modell an, indem es sich die Unterschiede zwischen der Vorhersage und dem tatsächlichen Ergebnis anschaut.

Zu Beginn des Modells wird häufig eine Prognose aufgestellt, die für eine bestimmte Situation gilt. Anfangs weichen die Ergebnisse noch oft von der Prognose ab. Das System muss also lernen. Dazu überprüft es die eingespeisten Daten kontinuierlich und lernt aus ihnen. Hierzu werden mit Hilfe mathematischer Algorithmen die ursprünglichen Annahmen angepasst und so das Modell immer weiter optimiert.

KI in Unternehmen

Insbesondere Dienstleistungsunternehmen wie Banken und Versicherungen investieren heute bereits viel Zeit und Geld in künstliche Intelligenz. Sie setzen beispielsweise auf KI-Disziplinen wie Robotic Process Automation (RPA), Knowledge-Management-Software, digitale Assistenten und Predictive Analytics. Dabei sehen sie den künftigen Nutzen der künstlichen Intelligenz vor allem im Kontakt mit den Kunden.

Google stellte auf der Developer Conference 2018 mit Google Duplex eine Technologie vor, mit der es möglich ist, natürliche Gespräche zu führen und echte Aufgaben über das Telefon ausführen zu lassen. Das Video, in dem Google Duplex vorgestellt wird, erzielte bei YouTube über 2,5 Millionen Aufrufe*. Beim Anschauen wird schnell klar: Menschen können die Computerstimme nicht von der Stimme eines echten Menschen unterscheiden, und das System versteht echte menschliche Sprache und reagiert passend hierauf. Es vereinbart beispielsweise für seinen Gesprächspartner einen Friseurtermin oder bestellt einen Restauranttisch.

Deshalb ist es vorstellbar, dass das System in Zukunft auch von Unternehmen – nicht nur Banken und Versicherungen – eingesetzt wird, beispielsweise um telefonisch Bestellungen, Beschwerden oder Schadensmeldungen aufzunehmen und zu be- oder verarbeiten. Dabei lernt das System ständig durch das Feedback der Anrufer hinzu.

Bedeutung für das Change-Management

Der Einsatz künstlicher Intelligenz bedingt zwangsläufig einen Veränderungsprozess in den Unternehmen. Denn bisher von Menschen verrichtete Arbeiten werden von Maschinen übernommen und Menschen werden nur noch zu Beginn benötigt, um das System zu trainieren.

Damit einher geht ausserdem ein Wandel der Unternehmenskultur. Allein deshalb müssen die betroffenen Arbeitnehmenden am Prozess beteiligt sein – wie stark muss im Einzelfall entschieden werden. Ein Patentrezept für die Begleitung eines solchen Wandels gibt es nicht. Umso wichtiger ist es, sich dessen bewusst zu werden, dass die Einführung von künstlicher Intelligenz zwangsläufig ein zielgerichtetes Change-Management erfordert. In einem solchen Wandel steckt aktuell bereits die Finanzbranche.

Ebenfalls betroffen ist die Consultingbranche: Sie muss sich Gedanken über den Einsatz künstlicher Intelligenz machen, denn auch in ihr spielt die Schnittstelle zum Kunden eine zentrale Rolle. Angenommen ein Beratungsunternehmen wird für einen Veränderungsprozess angefragt. Dann gilt es zunächst, das Kundenanliegen zu verstehen. Dafür sind Telefonate und eine gute Analyse der Situation erforderlich. Bislang werden solche Telefonate entweder von einem Backoffice oder den Beratern selbst geführt. Diese vereinbaren Termine vor Ort, um sich die Situation genauer anzuschauen und sich ein konkretes Bild zu machen.

Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Sie als Kunde rufen an und fragen nach einer Change-Management-Beratung. Ihre Anfrage wird von einer künstlichen Intelligenz aufgenommen, die Ihnen bereits die wichtigsten Fragen stellt, um Ihr Anliegen zu klären. Danach verbindet Sie das System unmittelbar mit einem Experten. Das spart Zeit und Analyse-Kosten – selbst, wenn anschliessend nochmals eine Detailanalyse durch den Experten bzw. Berater erfolgt.

Sich jetzt bereits für die Zukunft wappnen

Der aktuelle Entwicklungsstand der KI lässt noch keine abschliessenden Anwendungsszenarien zu. Er offenbart jedoch zahlreiche Möglichkeiten, Geschäftsprozesse künftig zu beschleunigen und effizienter zu machen. Sich jetzt bereits mit den Möglichkeiten und Anforderungen eines Einsatzes KI-gestützter Systeme vertraut zu machen, ist wichtig, um mögliche Einsatzgebiete früh zu identifizieren und deren operativen Einsatz vorzubereiten. Diese strategische Vorbereitung kann darüber entscheiden, welche Player in der immer dynamischer werdenden Unternehmensumwelt künftig zu den Gewinnern zählen und welche aufgrund der technologischen Disruption vom Markt verschwinden werden.

Ob wir Menschen uns in Zukunft so gut mit der künstlichen Intelligenz verstehen, dass wir uns wie im Film «Her» in sie verlieben, bleibt dabei offen und vor allem jedem selbst überlassen. Sicher ist aber: Sie wird uns in Zukunft noch intensiver begleiten als sie es bereits tut.

Was ist künstliche Intelligenz?

Der Begriff künstliche Intelligenz, kurz KI, ist nicht einheitlich definiert – auch weil die KI-Forschung, seit ihren Anfängen in den 1950er Jahren, eine interdisziplinäre ist. Für die praktische Anwendung hat sich jedoch folgende Definition als sinnvoll erwiesen: «Künstliche Intelligenz ist die Eigenschaft eines IT-Systems, menschenähnliche, intelligente Verhaltensweisen zu zeigen.»

KI steht also für Informatikanwendungen, die das Zeigen intelligenter Verhaltensweisen zum Ziel haben. Dies setzt folgende vier Kernfähigkeiten voraus: wahrnehmen, verstehen, handeln und lernen. Sie erweitern das Grundprinzip «Eingabe, Verarbeitung, Ausgabe» aller EDV-Systeme. Künstliche Intelligenz soll Menschen beim Erreichen ihrer Ziele unterstützen – nicht überflüssig machen. Das wirklich neue an den heutigen KI-Systemen ist das Lernen und damit verbunden das Verstehen.

Quelle*:

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Florian Weber ist Changeberater bei der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal. Dort ist er als Experte für den Bereich Digital Solutions unter anderem für die Konzeption innovativer Lernsysteme, digitaler Kommunikationsanwendungen und die Einbindung künstlicher Intelligenz in laufende Geschäftsprozesse zuständig.

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