Erfahrung und Wissen – der Austausch muss in alle Richtungen erfolgen
Die Demografiekurve zeigt es unerbittlich: Bald werden viele erfahrene Mitarbeitende in Pension gehen. Ihr Wissen für die Firma zu erhalten, ist eine grosse Herausforderung. Nicht die einzige, denn es zeigt sich: Alle können von allen lernen. Aber nur wenn der Bauch mitspielt.
Fünf gestandene Manager der Swisscom zwischen 56 und 58 Jahren werden ab Januar ihre Chefbüros räumen und stattdessen Inhouse Consulting anbieten. Ein System, das auch bei anderen Unternehmen praktiziert wird, ABB oder SBB etwa. Eine Lösung, bei der die Swisscom «Föifer und Weggli» behalten kann: Sie profitiert vom Wissen der erfahrenen Kaderleute und verjüngt die Führungsebene. Ruedi Berger, 56, hat Einheiten mit bis zu 1600 Mitarbeitenden im IT-Bereich geführt. Er ist einer der fünf und freut sich sehr auf die neue Aufgabe. Die operative Hektik fällt weg, zudem kann er gut damit leben, nicht mehr selbst im Rampenlicht zu stehen. Berger: «Wir alle hatten das Gefühl, das meiste schon erlebt zu haben. Der Reiz lässt nach. Jetzt kann ich junge Führungskräfte befähigen, rasch Wirkung zu erzielen. Eine spannende Herausforderung.» Zudem, so ist er sicher, könnten sie ihre Erfahrungen beratend einbringen und helfen, Undenkbares zu denken und verfahrene Situationen aufzubrechen. Sie kennen das Unternehmen besser als jeder externe Coach, stecken nicht mehr im Daily Business und haben so die Möglichkeit, aus der Distanz neue Facetten zu erkennen.
Wissenstransfer ist eine Sache der Emotionen
Das Inhouse Consulting der Swisscom, altersgemischte Teams oder Tandems Alt/Jung in anderen Firmen sollen dasselbe Problem lösen: Die veränderte Demografie macht sich bemerkbar. Kein Unternehmen kommt um das Thema herum. Die Älteren sollen ihr Wissen rechtzeitig an die Jüngeren weitergeben, damit es dem Unternehmen erhalten bleibt.
Manchmal ist diese Betrachtung der Dinge zu einfach. Oft scheitern die mit viel Aufwand aufgesetzten Programme zum Wissenstransfer an allzu Menschlichem. Nicht immer kann man einfach einen erfahrenen Mitarbeiter mit seiner potenziellen Nachfolgerin ins gleiche Büro setzen und darauf vertrauen, dass das Wissen dann schon fliesst.
Der Generationenexperte und Coach Ralf Overbeck befasst sich intensiv mit dem Thema intergenerativer Wissenstransfer und stellt in seinen Wirtschaftsberatungen immer wieder fest: «Es wird vergessen, dass da Menschen zusammensitzen. An das Wissen in den Köpfen kommt man nur über den Bauch.» Kurz: Wenn zwei nicht zusammenpassen, wird das nichts.
Kein Grosskonzern, der nicht mittlerweile entsprechende Programme aufsetzt. Mit schnell ein paar teuren Seminartagen ist nichts gewonnen. Overbeck: «Der Wissenstransfer muss emotional gelernt werden. Vor allem muss transportiert werden, dass beide Generationen schon etwas geleistet haben.» Solange nur die Älteren ihr Wissen an die Jüngeren weitergeben sollen und das Gefühl haben, das würde nicht geschätzt, sehen sie wenig Grund dazu, ihren vermeintlichen Erfahrungsvorsprung aufzugeben.
Das Wissen verdoppelt sich alle fünf Jahre
Stattdessen muss allen klar werden, dass beide Generationen wichtige Erfahrungen mitbringen. Die Älteren haben einen klaren Vorsprung im Erfahrungswissen, haben gelernt, dass Wissen entsteht, indem Menschen miteinander reden, Beziehungen entwickeln und Lösungen finden. Sie blicken auf eine Lebensleistung zurück.
Aber: Das Wissen der Menschheit hat sich jahrhundertelang alle 50 Jahre verdoppelt. Overbeck: «Wir müssen weg von der Chronologie des Alters, von der Annahme, dass ein Sechzigjähriger mehr weiss als ein Dreissigjähriger. Heute verdoppelt sich das Wissen alle fünf Jahre.» Es braucht ganz andere Methoden, um da Schritt zu halten. Die Generation Y hat sie. Davon können die Älteren profitieren. Die nach 1980 Geborenen sind es gewohnt, sich permanent mit neuen Technologien auseinanderzusetzen. Tritt ein Problem auf, holen sie die Lösung über Google, Xing oder Facebook und greifen dazu auf ein weltweites Netzwerk zurück. «Sie sind es gewohnt, sich Wissen in ganz anderem Tempo anzueignen, als es die Älteren mussten. Und sie können es auch umsetzen», so Overbeck. Eine Fähigkeit, die es nicht zu unterschätzen gilt.
Der Ansatz im intergenerativen Wissensmanagement darf sich nicht darin erschöpfen das Wissen der Älteren im Unternehmen zu dokumentieren, um es auch nach deren Ausscheiden nutzbar zu halten. Stattdessen braucht es Workshops, die beiden Generationen die gegenseitige Wertschätzung vermitteln. Dann spielt auch der Bauch mit. Ein solch grundlegender Bewusstseinswandel braucht Zeit.
Die aktuell hochgehandelten Stichworte Talent-Management, Change-Management oder Demografie-Management sind nicht neu. Seit Jahrhunderten muss sich jedes Unternehmen mit diesen immergleichen Themen – in weniger trendige Begriffe gekleidet – auseinandersetzen. Es braucht keine grossen Budgets. Es braucht Konzepte, die dafür sorgen, dass sich die Menschen gerne austauschen. Schon allein wegen der Arbeitsplatzsicherheit. Overbeck resümiert: «Wir brauchen ein Grundrauschen, das vom Topmanagement bis zur Sachbearbeiterebene gelebt wird.»