HR Today Nr. 3/2022: Kultur I – Betriebliches Politisieren

«Erst die Mission, dann das Team, dann ich»

Seine Talente in ein gutes Licht zu rücken und sich verkaufen zu können, waren Voraussetzungen, um in einem Unternehmen vorwärtszukommen. Doch ist das noch zeitgemäss? Zwei provokante Ansichten zum Sinn und Unsinn des betrieblichen Politisierens.

Wer Karriere machen will, muss netzwerken und mächtige Förderer finden, wurde vielen Berufsanfängern eingebläut. Das hat für Kolumnistin, Mentorin, HR-Dozentin und HR-Fachbuchautorin Diana Roth nicht an Aktualität eingebüsst. Geändert habe sich lediglich die Begrifflichkeit: «Heute nennt man das Sichtbarkeit.» Das bedeute, sich auf Linkedin mit Kommentaren und einem passenden Profil bemerkbar zu machen. «Plumpe Selbstbeweihräucherung vor Ort ist dagegen von gestern.» Für Xing-Autor, Redner und Unternehmer Matthias Kolbusa ­findet das Netzwerken und Politisieren hingegen noch immer vor allem im Unternehmen statt und hat «leider» nicht ausgedient. Mit den ­Folgen: «Meist setzen sich eher laut verkündete statt die besten Lösungen durch.»

Ob Politisieren eine «Zeitverschwendung» sei, hänge von der Begriffsdefinition ab, sagt Kolbusa. «Bilden Menschen Interessengemeinschaften, um Ziele zu erreichen oder Vorgehensweisen abzusprechen, muss man zwischen positiver und negativer Politik unterscheiden.» Handeln Menschen dagegen im Sinne eines Unternehmens oder eines Teams, sei das anders zu werten, als wenn sie es aus Eigeninteresse oder Eigennutz tun. Ungesund sei zudem, wenn sich jemand mit fremden Federn schmücke oder aus Profilierungssucht ständig im Rampenlicht stehen wolle. So seien «echte» Seilschaften die Ausprägung einer kränkelnden Unternehmenspolitik.

Mangelndes Selbstbewusstsein

Hinter dem Glauben, «sich gut verkaufen zu müssen», verberge sich oft eine grosse Unsicherheit, sagt Kolbusa. Daneben aber auch Emotionen wie Neid, Niedertracht und Missgunst. Für Diana Roth liegen weitere Ursachen für ein ­solches Verhalten auch in der Vergangenheit: «Beispielsweise, weil eine Kaderfachkraft ihren erfolgreichen Vater nachahmt oder sich ­ständig lautstark meldet, weil der Bruder in der Kindheit bevorzugt wurde.»

Also wenig reife Persönlichkeiten? «Natürlich», sagt Kolbusa. «Reife bedeutet, bei einem emotionalen Auslöser nicht gleich darauf zu reagieren und stattdessen innezuhalten.» Löse eine Kritik Scham- oder Schuldgefühle aus, brauche es eine gewisse Distanz, um daraus Erkenntnisse zu gewinnen und nicht sofort mit einer Rechtfertigung oder Vergeltung darauf zu reagieren. Gelinge das ­Führungskräften nur unzureichend, könne sich das gemäss Roth als verheerend erweisen: «Toxischen Arbeitsbeziehungen und Fluktuationen können die Folge sein.» Die Gefahr für solche Zerfallserscheinungen sind für Kolbusa gross: «Die meisten ­Menschen sind, bleiben und sterben unreif.» 

Ich will doch nur spielen

Ob unbeteiligtes Publikum oder aktive Mitspielende: Politik im Unternehmen lässt kaum jemanden kalt. Welche Seite man wählt, ist für Kolbusa eine Frage der Ethik: «Halte ich als Unbeteiligter das Ziel oder die Vorgehensweise für klug und richtig, umso besser.» An negativen Spielen sollte man sich jedoch nicht beteiligen und das klar kommunizieren. Diana Roth plädiert ungeachtet der Umstände für mehr Selbstsicherheit: «Wer eine gefestigte Meinung hat, soll sie auch konstruktiv vertreten.» Um sich aus der Affäre zu ziehen, könne man aber auch sagen: «Dazu muss ich mir erst eine Meinung bilden.» Die Gefahr, dass Sachverhalte um des Gefallens willen jedoch nicht mehr angesprochen werden, erachtet Diana Roth als gross: «In Unternehmen treffe ich immer wieder auf eine Kultur des Schweigens und Duldens.»

Unhinterfragte Regeln

In agilen Unternehmen wird eher Kooperation als Konkurrenz gepflegt. Auch arbeiten dort eher jüngere Mitarbeitende. Doch sind sie deshalb vor politischen Spielen gefeit? «Nein», sagt Kolbusa. «Das Alter bringt nicht automatisch Reife mit sich, genauso wie Jugend kein Garant für Innovation ist.» Im Gegenteil: «Jüngere werden von negativer Politik eher beeinflusst, weil ihnen die Motive ihrer Kolleginnen und Kollegen unklar sind.» Das konstatierte auch Diana Roth: «Junge Menschen hinterfragen die Unternehmenspolitik häufig nicht und erleben eines Tages ein bitteres Erwachen.» 

Innerbetriebliche Politik kann gesteuert ­werden. Sie entsteht nicht von allein. Doch wer ist dafür zuständig, sie in vernünftige Bahnen zu lenken? «Die Unternehmensleitung», stellt Diana Roth klar: «Sie muss Regeln aufstellen und die Konsequenzen eines unerwünschten Verhaltens aufzeigen.» Für Kolbusa steht dabei das Motto «Erst die Mission, dann das Team, dann ich» im Vordergrund. Wer so handle, verfolge keine egoistischen Einzelinteressen oder die Politik anderer. «So verstanden ist Unternehmenspolitik frei von Nebenwirkungen.»

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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