Im Gespräch

«Es herrscht der pure Wahnsinn»

Dirk Müller, bekannt als «Mister Dax», war am 20. Berner Wirtschafts- und HR-Forum als ­Impulsreferent zum brisanten Thema «Geld und Geist» geladen. Im Gespräch mit HR Today beklagt der Euro-Skeptiker die verloren gegangene Kaufmannsehre, bekundet seine Sympathie für die 1:12-Initiative und reflektiert selbstkritisch die Perversion exzessiver Boni.

Herr Müller, was verbindet Sie eigentlich mit der Schweiz?

Dirk Müller: Ich habe in Grindelwald geheiratet. Einen besonderen Draht habe ich zur Region um Biel, weil ich mit dem Uhren-Handwerkmeister Armin Strom einen faszinierenden Vertreter seiner Zunft kennenlernen durfte, mit typisch traditionsbewusstem Handwerk, Zuverlässigkeit und Präzision.

Sie haben am Berner Wirtschafts- und HR-Forum zum Thema «Geld und Geist» referiert – ein Widerspruch?

Ethik und Kaufmannsehre gehören zwingend zusammen. Leider verabschieden sich diese Werte zunehmend aus dem Wirtschaftsalltag, weil sie dem angelsächsischen Modell des Rechts des Stärkeren geopfert werden. Damit wird auch die Fairness geopfert. Das ist für die Wirtschaft gefährlich. Die Frage lautet: Wollen wir das Modell einer solidarischen oder egoistischen Gesellschaft?

Zur Person

Nach einer Lehre bei der Deutschen Bank wechselte Dirk Müller (46) als Kursmakler an die Frankfurter Börse. Dort arbeitete er direkt unter der Anzeigetafel des Dax, was ihm den Spitznamen «Mister Dax» einbrachte. Seine Popularität weiss Müller zu nutzen: sei es als scharfzüngiger Talkshow-Gast, Buchautor oder Keynote-Speaker. Am 20. Berner Wirtschafts- und HR-Forum hielt er ein Impulsreferat zum Thema «Geld und Geist».

Sie gelten als Euro-Skeptiker und es ist auch bekannt, dass Sie den Austritt Griechenlands aus dem Euro begrüssen. Hört bei Griechenland die europäische Solidarität auf?

Keine Frage, das europäische Projekt ist ein Jahrhundertprojekt. Aber: Europa ist unglaublich facettenreich. Mit zahlreichen Regionen und all ihren Stärken und Schwächen, die man richtig kombinieren muss. Wenn deutsche oder Schweizer Präzision zum Beispiel auf italienisches Design trifft, ist das eine super Sache. Europa ist eben keine Monokultur. Wir sollten die Unterschiede wertschätzen. Ein gesunder euro­päischer Organismus bedingt deshalb auch, die Griechen Griechen sein zu lassen und sie nicht zu Preussen umerziehen zu wollen. Die Frage ist einfach: Will man in Europa a) unterschiedliche Landeswährungen akzeptieren oder b) die Währungseinheit weiterhin mit immer grösseren Unterstützungszahlungen fortführen?

Was antworten Sie?

Ich habe da auf den ersten Blick eine vielleicht etwas verrückt klingende Idee: den Euro zwar zu behalten, parallel dazu aber auch Landeswährungen zu akzeptieren. Der Euro wäre damit keine gesetzliche Währung mehr. Aber man bräuchte ihn selbstverständlich für europäische Steuern und als Währung der Europäischen Zentralbank. Die EZB würde sowohl den Euro als auch die nationalen Währungen bewirtschaften. Dieses Modell hatten wir in Europa schon einmal viele Jahre erfolgreich im Einsatz. Man nannte die Währung damals «Ecu». Meine Aufgabe ist es aber nicht, Politik zu machen.

Sind Sie als Deutscher manchmal neidisch auf die Schweiz und ihre eigenständige Währung?

Neidisch nicht. Aber ich habe grossen Res­pekt davor, wie die Schweiz wirtschaftet. Gerade die jüngste Entwicklung zeigt, wie begehrt der Schweizer Franken in aller Welt ist. Dass diese Begeisterung auch zu massiven Problemen in der Exportwirtschaft und beim Tourismus führt, ist die Kehrseite der Medaille. Aber die direkte Demokratie ist ein Erfolgsmodell. In Europa dagegen herrscht de facto eine Scheindemokratie mit nationalen Monarchen.

Wenn man Sie so reden hört, müsste eigentlich Europa der Schweiz beitreten?

(Lacht) Die Schweiz ist definitiv in vielem ein Vorbild. Man muss die heimische Wirtschaft schützen, solange auf der Welt völlig unterschiedliche Spielregeln gelten. Das könnte künftig verstärkt über Importzölle geschehen, die auf Produkte mit zweifelhafter ethischer oder öko­logischer Provenienz und Reputation erhoben werden, wenn ihre geringen Preise etwa auf Kinderarbeit oder Umweltzerstörung zurückgehen. Die Schweizer pflegen einen verantwortungs­bewussten Umgang mit der direkten Demokratie. Das haben sie etwa bewiesen, als sich eine Mehrheit gegen eine Erhöhung der gesetzlich vor­geschriebenen Ferientage aussprach. Ich hatte auch Sympathien für die 1:12-Initiative, weil sie eine wertvolle Diskussion entfachte – auch wenn der Faktor aus meiner Sicht zu tief gewählt war.

Was wäre für Sie denn ein akzeptables Lohnverhältnis?

Vielleicht 1:30 oder 1:50. So hätte ein CEO automatisch ein Interesse, die niedrigsten Löhne seiner Mitarbeiter zu steigern, statt diese zu drücken. Europa hatte bis vor wenigen Jahren tra­ditionell einen gesunden Lohnkonsens. Doch wenn der Lohnfaktor in einer Organisation das 500-Fache oder sogar mehr beträgt, ist das eine Perversion. Eine Ungerechtigkeit, die aus dem angelsächsischen Raum nach Europa hinüberschwappte, womit die Selbstreinigungsfunktion verloren ging.

Es erstaunt ein wenig, dies aus dem Munde eines Börsenmaklers zu hören …

Die Finanzwelt hatte immer viele Facetten. Einst hatte der amtliche Börsenmakler eine Art Schiedsrichterrolle inne. Dass auf dem Börsenparkett Boni bezahlt wurden, die sich in keinem Verhältnis zur eigentlichen Leistung verhielten, steht aber ausser Frage. Auch unter meinen Kollegen von früher bestand und besteht darin auch heute noch Konsens. Aber klar nimmt man das Geld an, wenn es einem geboten wird.

Von welchen Summen sprechen wir?

Wir haben keine Millionen verdient. Es bewegte sich alles noch im sechsstelligen Bereich. Aber es ist keine Frage, dass wir an der Börse gegenüber der Realwirtschaft unanständig viel – viel zu viel – verdient haben. Und es hält bis heute an. Auch wenn es die Sache nicht besser macht, muss ich hier erwähnen, dass diese bereits sehr hohen Summen nur einen Bruchteil der Kompensationen darstellen, die gewisse Exponenten des Investmentbankings beziehen.

Bei den Top-Löhnen ist also etwas in Schieflage geraten?

Es herrscht der pure Wahnsinn. Wenn Sie jene Löhne in ein Verhältnis zum Nutzen für Markt und Gesellschaft setzen und dann sehen, dass eine Bundeskanzlerin gerade mal 300 000 Euro verdient, stimmt etwas nicht.

Wie sehen Sie in diesem Kontext die Rolle von HR-Verantwortlichen?

Sie sollten deutlich machen, dass Unternehmen nicht zum Selbstzweck existieren, und deshalb in aller Deutlichkeit für langfristige Incentivierungskonzepte eintreten. Weil davon einerseits ihre Unternehmen profitieren, andererseits aber auch die Mitarbeitenden, die sie vertreten. Deshalb finde ich es auch grässlich, wenn Personalabteilungen die Mitarbeitenden nur als «Humankapital» betrachten. Es geht in ihrem Job um Menschen und damit auch um das verantwortungsvolle Zusammenspiel von Gesellschaft und Wirtschaft.

Also ein Statement für Longterm-Incentives.

Ja, auch aus eigener Erfahrung. Weil ich gesehen habe, wie unheimlich schwachsinnig und kontraproduktiv Boni auf Menschen wirken. Ihre Wirkung stumpft auch irrsinnig schnell ab. Wehe, ich krieg einmal weniger. Demotivation ist somit vorprogrammiert.

Wo sehen Sie die wichtigsten Stellschrauben?

Man muss den Mitarbeitenden langfris­tige Perspektiven aufzeigen. Menschen suchen Verlässlichkeit und Planungssicherheit. Wirksame Incentives bestehen aus Anerkennung, gemeinsamen Aktivitäten und flexibel auf die Lebens­situation abgestimmten Arbeitsmodellen.

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Ehemaliger Chefredaktor HR Today.

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