Interview mit einem Rebell

«Es lohnt sich, Regeln kritisch zu hinterfragen»

Viele Menschen tun, was Autoritäten vorgeben. Das geschieht auch in Unternehmen. Wie wir aus dieser Bequemlichkeit herausfinden und dadurch flexibler und innovativer werden, verrät Autor Markus Czerner.

Sie machen sich in Ihrem Buch «Ignore the rules» für den Regelbruch stark und vertreten die Meinung, dass Regeln vornehmlich dazu dienen, Verantwortung abzugeben. Man kann sich also hinter ihnen verstecken à la «Ich habe nur getan, was mir gesagt wurde» …

Markus Czerner: Ganz genau. Menschen lieben Regeln, weil sie sich damit der Verantwortung entledigen. Dabei meine ich vor allem jene für das eigene Leben und Lebensglück.

Regeln nehmen uns zudem das Denken ab. Ist unsere Gesellschaft denkfaul geworden?

Ja, leider schon. Viele hinterfragen nicht mehr, ob etwas so sein sollte wie es ist, es Sinn macht oder uns im Leben voranbringt.

Wie äussert sich das?

Das fängt damit an, dass viele Menschen den ungeschriebenen Gesetzen der Gesellschaft folgen. Beispielsweise mit Anfang 30 eine Familie zu gründen oder zu studieren, um einen guten Job zu haben. Am Ende sind solche Regeln totaler Blödsinn. Man macht das, was die breite Masse vorlebt. Nur geht dabei oft vergessen: Die breite Masse ist unglücklich.

Wie befreien wir uns aus dieser Situation?

Es lohnt sich, Regeln kritisch zu hinterfragen. Viel zu schnell wird akzeptiert, was der Staat oder andere Autoritäten vorgeben und die Gesellschaft vorlebt. Wir sollten es uns bei jeder Regel zur Gewohnheit machen, zu fragen: «Warum ist das so?» Wir sind, was diese Frage angeht, fauler und bequemer als es uns gut tut. Oft wollen wir die Antwort aber gar nicht wissen. Sie könnte unbequem sein. Stattdessen machen viele Menschen blindlings, was ihnen vorgegeben wird, nach dem Motto: «Die werden schon wissen, was gut für mich ist.» Nur: Wenn sie es nicht wissen? Was, wenn die Regeln von Menschen kommen, die eigene Interessen verfolgen?

Wäre ein Betrieb noch überlebensfähig, wenn alle Mitarbeitenden tun, was ihnen in den Sinn kommt?

Ja, aber nur, wenn die richtigen Mitarbeitenden im Unternehmen sind, die das gleiche Ziel verfolgen: Das Unternehmen wachsen zu lassen. Nicht jeder kommt jedoch ohne Regeln aus und kann frei und kreativ arbeiten. Die meisten brauchen jemanden, der ihnen sagt, was zu tun ist. Damit geben sie wiederum die Verantwortung an Vorgesetzte und Chefs ab.

… oder im Gegenteil sogar resilient, wenn sich Gruppen selbst organisieren?

Absolut. Resilienz entsteht durch Selbstorganisation und der Gewissheit, Probleme selbst lösen zu können. Unternehmen sind nur so resilient wie die eigenen Mitarbeitenden. Warten Gruppen darauf, von Führungskräften Problemlösungen vorgesetzt zu bekommen, entsteht keine Widerstandskraft.

Kämen Firmen sogar ohne Regeln aus?

Theoretisch schon. Das machen viele amerikanischen Firmen vor. Allerdings passt es nicht so recht zu unserer Mentalität. Wir versuchen so gut wie alle Prozesse zu regulieren und hätten am Liebsten schon eine Regel für ein Problem, das noch gar nicht existiert. So berauben wir uns jedoch unserer Flexibilität. Zudem kommen so keine Innovationen zustande.

Wie sähe eine Arbeitswelt mit gezähmten Regeln aus?

Wir hätten nicht nur eine andere Arbeitswelt, sondern ein ganz anderes Leben. Stellen Sie sich vor, Sie könnten am Strand in der Sonne besser und kreativer arbeiten und Ihr Arbeitgeber gibt Ihnen die Freiheit, das zu tun. Sie machen einen hervorragenden Job, das Unternehmen kommt weiter und Sie haben die Chance so zu arbeiten, wie sie wollen. Letztlich gewinnen so alle Parteien. ­Mitarbeitende, die dagegen nur Regeln befolgen und ihr Gehirn morgens vor dem Büro am Empfang abgeben, werden nicht leistungsfähig, sondern ­unglücklich.

Buchtipp: Markus Czerner, Ignore the rules, Business Village, 2021, 258 Seiten.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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