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Fehler im System
Frauen sind im Arbeitsmarkt gut vertreten. Bei Schlüssel- und Führungspositionen besteht jedoch Aufholbedarf. Drei Expertinnen geben Auskunft, wie es um die Diversität von Frau und Mann in Unternehmen steht, welche Aspekte Frauen am Aufstieg hindern und was Unternehmen tun müssten, um Hand zu bieten.
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«Frauen sind an der Führungsspitze unterrepräsentiert», sagt Patricia Widmer, Programmdirektorin für Diversity und Management Programme an der Universität St. Gallen. «Gemäss aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen nimmt der Frauenanteil mit jeder weiteren Führungsstufe sogar ab.» Dieser betrage auf der niedrigsten Führungsstufe 38 Prozent, auf der mittleren 23, auf der höchsten 18 Prozent und auf Geschäftsleitungsebene lediglich 6,8 Prozent. Auch weibliche CEOs liessen sich in der Schweiz an einer Hand abzählen: Gerade mal 1,7 Prozent aller Firmen besetzen eine CEO-Stelle mit einer Frau.
Eine ernüchternde Bilanz, bestätigen die Coaches Angela Huser und Elsbeth Kirchhofer. Damit der Frauenanteil auf Führungsebenen rascher zunimmt, befürwortet Kirchhofer die Einführung einer Frauenquote. Diese sehe vor, dass mindestens 20 Prozent Frauen in Geschäftsleitungen und 30 Prozent in Verwaltungsräten Einsitz nehmen. «Seit Jahren wehrt sich die Wirtschaft dagegen», sagt sie. «Ohne Quote verläuft die Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen jedoch zu schleppend, auch wenn Frauen heute mehr Selbstbewusstsein an den Tag legen, eher Führungspositionen anstreben und besser vernetzt sind als noch vor ein paar Jahren.»
Unbewusste Vorurteile
Sollte es nicht eher eine «freiwillige» Frauenförderung geben? «Frauen müssen nicht speziell gefördert werden», sagt Patricia Widmer. «Mit ihnen ist alles in Ordnung. Es sind die Systeme und Prozesse in den Unternehmen, die angepasst werden müssen.» Stehe beispielsweise die Beförderung einer Frau im Raum, sei oft folgender Satz zu hören: «Geben wir ihr noch ein Jahr, dann ist sie soweit.» Bei Männern hiesse es stattdessen: «Befördern wir ihn, sonst verlässt er uns.» Frauen werden also aufgrund ihrer Leistungen befördert und Männer aufgrund ihres Potenzials. Diese unbewussten Vorurteile hielten sich hartnäckig. «Sie führen dazu, dass Frauen keine Perspektive im Unternehmen sehen und kündigen.»
Vom Ideal abweichende Lebensläufe würden im HR-Alltag ausserdem zu wenig gewürdigt, ergänzt Widmer. «Durch Stereotypisierungen komme es zu ungerechten Entscheidungen.» Daneben behindere die Gesellschaft junge Frauen bei Karriereschritten durch ein wenig familienfreundliches Steuersystem und oft fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten. «Das ist weniger ein Frauen- als vielmehr ein Gesellschaftsthema.»
Ein weiteres systemisches Problem? «Dass sich Firmen auf Frauen in Toppositionen fokussieren», sagt Coach Angela Huser. «Dadurch optimieren sie einen kleinen Talentpool von Frauen, statt diesen zu vergrössern.» Die grösste Hürde für Frauen liege im Übertritt zur ersten Führungsposition. «Dieses Segment erhält aber am wenigsten Aufmerksamkeit. Firmen ist oft nicht bewusst, wie viele weibliche Talente sie dort verlieren.»
Daneben verhindern Frauen gemäss Elsbeth Kirchhofer und Angela Huser ihren beruflichen Aufstieg auch selbst. «Sie fokussieren sich oft auf das, was noch zu verbessern ist, statt Erfolge zu feiern und sichtbar zu machen», sagt Huser. Sich selbst zu vertrauen und seine Ambitionen klar zu kommunizieren, sei jedoch wichtig, um beruflich voranzukommen. «Besonders junge Frauen sind bescheiden oder haben falsche Vorstellungen von Führung, weshalb sie ihre Bestrebungen zunächst verneinen», sagt Huser. So bleiben ihre Talente im Betrieb vielfach unentdeckt. «Bietet ein Unternehmen einer jungen Frau jedoch keine Karriereperspektiven, ist es durchaus angebracht, wenn sie kündigt und sich eine neue Stelle sucht», meinen beide.
Vorbild Finnland
Um Frauen in Führungspositionen zu befördern, brauche es in den Unternehmen ein umfassenderes Verständnis für Diversität und eine grundlegende Bewusstseinsveränderung. «Wenn wir von einem CEO, Arzt oder Chef reden und gleichermassen eine Frau wie einen Mann vor unserem geistigen Auge sehen, haben wir es geschafft», sagt Coach Angela Huser. Vorbilder gäbe es genug. Etwa Länder wie Finnland, findet Widmer. «Diese haben keine spezielle Talentförderung für Frauen. Beide Geschlechter haben die gleichen Karrierechancen. Die Gesellschaft akzeptiert das und unterstützt junge Familien durch eine bezahlbare Kinderbetreuung und ein faires Steuersystem.»
Die Protagonistinnen
Patricia Widmer, Programmdirektorin für Diversity und Management Programme an der Universität St. Gallen.
Elsbeth Kirchhofer, Gründerin und Inhaberin der Portfolia GmbH.