Ferienprozente: Vermeidbares Risiko
Die fortlaufende Auszahlung des Ferienlohns durch Lohnzuschläge ist vor allem bei Anstellungen im Stundenlohn weit verbreitet. Was Arbeitgeber oft nicht wissen: Ob solche «Ferienprozente» zulässig sind, ist unklar. Es könnten schmerzhafte Nachzahlungen drohen. Arbeitgeber sind daher gut beraten, auf eine andere Methode zur Auszahlung des Ferienlohns zu wechseln.
Durch «Ferienprozente» könnten schmerzhafte Nachzahlungen drohen. (Bild: Jonas Raeber)
Bezieht der Arbeitnehmer die ihm zustehenden Ferien, hat er auch für diese Zeit Anspruch auf Lohn. Dieser sogenannte Ferienlohn ist so zu bemessen, dass der Arbeitnehmer nicht schlechter gestellt wird, als wenn er während dieser Zeit gearbeitet hätte (vgl. Art. 329d Abs. 1 OR). Bei einer Anstellung im Monatslohn birgt das Thema Ferienlohn kaum Probleme. Bezieht der Arbeitnehmer in einem gegebenen Monat Ferien, stellt sich der betreffende Monatslohn im entsprechenden Umfang als Ferienlohn dar. Bei Anstellungen im Stundenlohn dagegen wird die Berechnung des Ferienlohns oft als schwierig empfunden. Deshalb statuiert der Arbeitsvertrag in solchen Fällen häufig, dass mit jeder Lohnzahlung auch ein bestimmter Zuschlag für den Ferienlohn ausbezahlt wird. Konkret wird ein entsprechender Zuschlag zum Grundlohn festgelegt. Dieser Zuschlag wird auf Basis des Ferienanspruchs berechnet, der dem Arbeitnehmer gemäss Arbeitsvertrag zusteht. Beispiele: Bei einem Ferienanspruch von vier Wochen im Jahr beträgt der Zuschlag normalerweise 8,33 Prozent, bei einem Anspruch auf fünf Wochen Ferien 10,63 Prozent.¹
Die fortlaufende Abgeltung des Ferienlohns in Form solcher Ferienprozente wird aus rechtlicher Sicht kritisch gesehen. Man befürchtet, dass der Arbeitnehmer den Ferienlohn schon vor dem Bezug der Ferien verbraucht und somit faktisch zum Arbeiten gezwungen wird. Verwiesen wird dabei auf Art. 329d Abs. 2 OR. Nach dieser absolut zwingenden Bestimmung dürfen Ferien während der Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht durch Geldleistungen oder andere Vergünstigungen abgegolten werden.
Ferienprozente bergen zahlreiche Risiken
Vor diesem Hintergrund toleriert das Bundesgericht die fortlaufende Auszahlung des Ferienlohns nur im Sinne einer Ausnahme und unter strengen Voraussetzungen. Zum einen muss eine sehr kurze oder sehr unregelmässige Beschäftigung vorliegen, welche die Berechnung des Ferienlohns als schwierig erscheinen lässt. Zum anderen muss der auf den Ferienlohn entfallende Anteil (das heisst die Ferienprozente) sowohl im Arbeitsvertrag als auch auf den Lohnabrechnungen explizit aufgeführt sein. Mangelt es an einer dieser Voraussetzungen, erweist sich die fortlaufende Abgeltung des Ferienlohns als unzulässig und der Arbeitnehmer kann – unter Vorbehalt besonderer Konstellationen – die nochmalige Auszahlung der Ferienprozente verlangen. Das heisst nichts anderes, als dass der Arbeitgeber die Ferienprozente im Ergebnis doppelt zahlen muss. Schon diese bisherige Rechtsprechung bedeutet, dass Ferienprozente für Arbeitgeber sehr oft ein Risiko darstellen. Man wird nämlich in vielen Fällen darüber streiten können, ob die Voraussetzung der sehr kurzen oder sehr unregelmässigen Beschäftigung erfüllt ist. Es gibt aber noch ein weiteres Risiko: Es besteht die Gefahr, dass das Bundesgericht seine Rechtsprechung verschärfen und die fortlaufende Auszahlung des Ferienlohns für generell unzulässig erklären könnte. Ein Teil der Rechtslehre fordert dies schon seit längerem. Dabei wird unter anderem argumentiert, dass die zur Rechtfertigung angeführten Schwierigkeiten bei der Berechnung des Ferienlohns im heutigen Computerzeitalter kaum mehr ins Feld geführt werden können. Das Bundesgericht selbst hat schon mehrmals auf diese Lehrmeinung Bezug genommen. Dabei hat es die Frage nach der generellen Unzulässigkeit ausdrücklich offen gelassen (siehe zum Beispiel das Urteil des Bundesgerichts 4A_435/2015 vom 14. Januar 2016 und den in HR Today Nr. 1/2 2017 diskutierten Entscheid).
Solche Urteilserwägungen könnten die Vorboten einer Praxisänderung sein. Würde eine solche Verschärfung der Rechtsprechung Wirklichkeit werden, könnte dies jeden Arbeitgeber treffen, der Ferienprozente auszahlt. Die finanziellen Folgen wären schmerzhaft, zumal für den Anspruch auf Ferienlohn aus einem gegebenen Jahr eine Verjährungsfrist von fünf Jahren angenommen wird. Zur Illustration ein vereinfachtes Beispiel: Ein Arbeitgeber beschäftigt seit fünf Jahren einen Angestellten, bei dem der Ferienlohn angesichts seiner unregelmässigen Beschäftigung in Form von Ferienprozenten (zu 8,33 Prozent) ausbezahlt wird. Verdiente der Arbeitnehmer pro Jahr im Durchschnitt 50 000 Franken netto, wurden jährlich im Mittel 4166 Franken als Ferienprozente ausbezahlt. Wird der Arbeitgeber auf Klage des Arbeitnehmers hin verpflichtet, den Ferienlohn für die gesamten fünf Jahre erneut zu zahlen, weil sich die fortlaufende Auszahlung des Ferienlohns als unzulässig erweist, resultiert eine Verpflichtung von 20 833 Franken. Treffen diese Annahmen bei neun weiteren Angestellten zu, verzehnfacht sich der Betrag auf 208 333 Franken.
Arbeitgeber, die heute noch Ferienprozente auszahlen, sind deshalb gut beraten, für die Bezahlung des Ferienlohns so rasch als möglich auf einen anderen Modus umzustellen. Alternativen sind vorhanden und müssen auch nicht notwendigerweise einen nennenswerten Mehraufwand mit sich bringen, sofern eine Methode gewählt wird, die für den konkreten Betrieb passend und rechtlich korrekt ist. Erwähnt werden kann etwa diejenige Alternative, bei der die Ferienprozente insofern beibehalten werden, als dass sie weiterhin auf jeder Lohnabrechnung ausgewiesen werden. Die betreffenden Geldbeträge werden dem Arbeitnehmer aber zunächst nicht ausbezahlt, sondern bloss gutgeschrieben. Erst wenn der Arbeitnehmer Ferien bezieht, wird ihm sein Guthaben anlässlich der betreffenden Lohnzahlung ausbezahlt. Anschliessend wird wieder von Neuem Guthaben angespart, das beim folgenden Ferienbezug zur Auszahlung kommt.
Wird der Modus zur Auszahlung des Ferienlohns abgeändert, bedeutet dies im Regelfall eine Änderung des Arbeitsvertrags, die eine Zustimmung des Arbeitnehmers erfordert. Die Einholung der Zustimmung wird meist keine Probleme bereiten, zumal die Änderung ja einen besseren Schutz des Arbeitnehmers bezweckt. Zum Mittel der Änderungskündigung wird der Arbeitgeber daher kaum je greifen müssen, um die betreffende Vertragsänderung umzusetzen.
¹ Annahme: Ein Jahr hat 52 Wochen. 8,33% = 4/48; der Ferienlohn für 4 Ferienwochen wird durch Zuschläge während 48 (=52-4) Arbeitswochen ausbezahlt. 10,63% = 5/47; der Ferienlohn für 5 Ferienwochen wird durch Zuschläge während 47 (=52-5) Arbeitswochen ausbezahlt.