HR Today Nr. 12/2016: Arbeit und Recht

Wie lange darf eine Toilettenpause dauern?

Wie viel Zeit verbringen Sie bei der Arbeit auf der Toilette oder in der Rauchpause? Stempeln Sie dafür aus? Hat Ihr Arbeitgeber diese Fragen geregelt? Soweit kommt’s noch, denken Sie? Gerichte haben sich mit diesen Fragen öfters zu befassen, als man annehmen würde.

2009 klagte ein angestellter Junganwalt gegen seine Anwaltskanzlei. Denn die Kölner Anwaltskanzlei hatte ihm rund 700 Euro vom Mai-Lohn 2009 abgezogen. Und zwar weil er in diesem Monat über das übliche Mass hinaus «pflicht- und vertragswidrig» erhebliche Arbeitszeit auf der Toilette verbracht habe. Gemäss  protokollierten «Stichproben» habe der Junganwalt «zusätzlich zu den üblichen Mittags- und Toilettenpausen» zwischen dem 8. Mai 2009 und dem 26. Mai 2009 (15 Werktage) insgesamt 384 Minuten auf der Toilette verbracht. Das ergebe – hochgerechnet auf den gesamten Monat Mai 2009 – eine über­mässige Toilettenzeit von rund einer halben Stunde pro Tag. Dafür sei der Junganwalt am 27. Mai 2009 auch abgemahnt worden. Im Prozess bestritt der Junganwalt die behaupteten Toilettenzeiten, gab aber dennoch zu bedenken, er hätte in der fraglichen Zeit «an Verdauungsstörungen gelitten und deshalb vermehrt die Toilette aufsuchen müssen.»

Hinter diesem amüsanten Fall lauern einige knifflige Fragen zur Arbeitszeit: Selbstverständlich haben Arbeitgeber die Grundbedürfnisse von Mitarbeitenden zu respektieren. Das ergibt sich aus der Fürsorgepflicht (Art. 328 OR). Was aber ist ein Grundbedürfnis? Gehört die gesundheitsschädliche Rauchpause dazu? Wie lange dauert das «übliche» Toilettenpausen-Soll pro Tag? Und muss man dafür ausstempeln?

Legitimierte Rauchpause

1994 hatte das Bezirksgericht Zürich zu prüfen, ob Rauchen als Grundbedürfnis von Rauchern zu qualifizieren sei. Das Gericht urteilte, von einem Arbeitnehmer zu verlangen, «seine diesbezüglichen Bedürfnisse entgegen langjährigen Gewohnheiten oder gar einer als Krankheit zu bezeichnenden Sucht (...) aufzugeben, muss (...) als unnötige Härte angesehen werden. Auch im Militär (...) wird das Rauchen mit der Gewährung von ‹Rauchpausen› geradezu als Grundrecht behandelt.»¹ Zudem regelt die Passivrauchschutzverordnung das Rauchen am Arbeitsplatz – insbesondere in Fumoirs – und legitimiert damit zugleich die Rauchpause. 2010 berichtete der Tages Anzeiger online über ein interessantes «Raucher-Konzept» beim Unternehmen Stadler Stahlguss AG: Während der Arbeitszeit soll grundsätzlich nicht geraucht werden. Wer sich trotzdem Rauchpausen herausnimmt, muss die Zeit am Abend nacharbeiten. Das Unternehmen bietet den Rauchern aber an, sie ärztlich zu begleiten, damit sie den Ausstieg schaffen.² Ich halte diese Lösung für rechtlich zulässig.

Besteht der Arbeitgeber darauf, sind Toiletten- und Rauchpausen grundsätzlich in die ordentlichen, also vertraglichen Pausen zu verlegen. Andererseits kann die Dauer, die Arbeitnehmer auf der Toilette verbringen (müssen), von ihrem Gesundheitszustand abhängen. Bei Rauchern dürfte ihr (allfälliger) Suchtgrad massgebend sein. Bevor man aber – wie die Kölner Anwaltskanzlei – Lohnabzüge für «irreguläre» ausserordentliche Toilettenpausen vornimmt, sollte man das Thema ansprechen und allenfalls ein Arztzeugnis verlangen.

Muss man für ausserordentliche Toiletten- und Rauchpausen ausstempeln? Nach Arbeitsgesetz nicht, denn Pausenzeiten unter einer halben Stunde müssen nicht erfasst werden.³ Kann es der Arbeitgeber trotzdem verlangen? Oder führt das zu einer flächendeckenden und
damit unzulässigen Überwachung des «Toilettenverhaltens» der Mitarbeitenden (Persönlichkeitsverletzung)? Ich bin nicht dieser Ansicht. Denn grundsätzlich gibt es keine Mindestdauer von Arbeitsunterbrüchen, die Arbeitgeber ohne Arbeitszeiterfassung akzeptieren müssen. Und solange zu Arbeitsunterbrüchen nicht angegeben werden muss, wozu der Arbeitsunterbruch diente, erkenne ich keine Persönlichkeitsverletzung.

Zudem müssen Pausen nicht bezahlt werden. Denn Arbeitszeit ist nur die Zeit, während der man sich zur Verfügung des Arbeitgebers hält.⁴ Folglich sind Pausen keine Arbeitszeit, auch wenn sie nur fünf Minuten dauern. Pausen qualifizieren sich allerdings trotzdem als Arbeitszeit, wenn man den Arbeitsplatz nicht verlassen darf.⁵  Als «Arbeitsplatz» in diesem Sinn gilt der Ort, an dem sich Arbeitnehmer zur Ausführung der ihnen zugewiesenen Arbeit aufzuhalten haben.⁶ Der «Klassiker» hierzu: Telefonhütedienst während «Pausen». Aber weder die Toilette noch das unternehmenseigene Fumoir gilt als Arbeitsplatz.

Übermässige Toilettenbesuche

Doch zurück zu unserem Kölner Junganwalt. Welches Tages-Soll zulässiger Toilettenpausen hat ihm das Arbeitsgericht Köln zugestanden? Sie ahnen es, das Arbeitsgericht Köln wich der Frage aus – mit einem nicht sehr eleganten Kunstgriff: Die geltend gemachten übermässigen Toilettenzeiten beruhten (angeblich) lediglich auf Hochrechnungen, nicht auf bewiesenen Fakten. Das sei rechtsungenüglich. Was die Kölner Anwaltskanzlei oder das Arbeitsgericht unter einer «üblich» lange dauernden Toilettenpause verstehen, lässt das Urteil offen. Das US-Unternehmen Water Saver kennt die Antwort: Es sind sechs Minuten. Bei Water Saver erhält man nur Zugang zur Toilette, wenn man eine personalisierte Plastikkarte durch den Kartenleser neben der Toilettentür zieht. Bei mehr als sechs Minuten Toilettenzeit pro Tag während der Arbeitszeit erfolgt eine Abmahnung. Water Saver rechtfertigt: Allein im Mai 2014 habe man 120 Produktionsstunden wegen übermässiger Toilettenbesuche verloren. Die Verdachtslage: Auf der Toilette werde zu viel telefoniert. Die gute Nachricht: Wer nur während der ordentlichen Pausen, nicht aber während der Arbeitszeit die Toilette benutzt, bekommt von Water Saver einen Bonus von 20 US-Dollar pro Monat.⁷

HR Today-Serie Arbeitszeiterfassung: Teil 11

Innerhalb der Rubrik «Arbeit und Recht» beleuchtet HR Today in ­jeder dritten Ausgabe das kontroverse Thema Arbeitszeiterfassung. Der Hauptbeitrag von Dr. Heinz Heller, der juris­tische Aspekte der Arbeitszeiterfassung beleuchtet, wird von Ivo Muri durch eine Replik aus der Pers­pektive der Zeitwirtschafts­system-Praxis ergänzt.

Quellen

  • ¹ Bezirksgericht Zürich, Entscheid vom 03.02.1994, ZR 93/1994 S. 270 ff.
  • ² Tages Anzeiger online (www.tagesanzeiger.ch), Artikel vom 11.06.2010, 17:46 Uhr: «Firmen ziehen Raucherpausen von Arbeitszeit ab».
  • ³ Art. 73 Abs. 1 Bst. e der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz, ArgV1.
  • Art. 13 Abs. 1 Satz 1 ArGV 1.
  • Art. 15 Abs. 2 des Arbeitsgesetzes, ArG.
  • Art. 18 Abs. 5 ArgV 1.
  • CNN Money online (www.money.cnn.com), Artikel vom 05.08.2014, 05:07 Uhr: «Company limits bathroom breaks to 6 minutes a day».
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Dr. Heinz Heller 
praktiziert als Fachanwalt SAV Arbeitsrecht. Er berät überwiegend Arbeitgeber und Manager.

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