HR Today Nr. 12/2016: Arbeit und Recht

Mensch bleibt Mensch – auch im Zeitalter der digitalen Transformation

Die Frage, ob eine Toilettenpause zur Arbeitszeit zählt, ist juristisch nicht einfach zu beantworten. Oft lohnt es sich, wenn wir über zwischenmenschliche Beziehungen in der Arbeitswelt sprechen, zurückzuschauen in eine Zeit, die jeder kennt: den Klassenverband in der Primarschule. Die Primarschule ist eine Gemeinschaft von jungen Menschen, in der fast alle Themen anstehen, die es auch in der Zusammenarbeit in einem Unternehmen zu lösen gilt.

Auch in einem Klassenverband kann es vorkommen, dass ein «Mitarbeiter» relativ häufig zur Toilette muss. In der Regel fragt der Lehrer bei einer Verhaltensauffälligkeit nach. Im normalen Rahmen toleriert er die Kurzabsenzen während des Unterrichts. In Ausnahmefällen verweist der Lehrer darauf, dass ein Toilettenbesuch in der Regel auch auf die üblichen Pausen fallen könnte. Sie spüren es: Der Lehrer ist die Führungskraft im Klassenzimmer. Was der Jurist hier beschreibt, ist ein Thema, das man vermutlich nicht in ein Gesetz verpacken kann. Ein Gesetz oder ein Arbeitszeitreglement beschreibt Regeln. Und jede Regel kennt Ausnahmen. Und diese Ausnahmen müssen in einer menschenzentrierten Arbeitswelt der Beurteilung einer Führungskraft überlassen bleiben. Würde der Gesetzgeber versuchen, den Unternehmen vorzuschreiben, wie sie ihre Toilettenpausen und Rauchpausen handhaben müssen, dann würde er in meinem Freiheitsverständnis seine Kompetenzen überschreiten. Wie sollte ein Richter besser beurteilen können als eine Führungskraft, ob ein Mitarbeiter seine Pausen exzessiv ausnutzt? Wer einmal in der Primarschule war, könnte wissen, wie provokativ sich ein Schüler gegenüber seinem Lehrer verhalten kann. Natürlich sollte weder ein Lehrer noch eine Führungskraft parteilich sein. Aber wenn wir in unserem Rechtsverständnis nicht dazu übergehen, den einzelnen Unternehmen und den einzelnen Führungskräften in unserer Gesellschaft genügend Ermessenspielraum zu geben, um so einfache Führungssituationen wie die Toilettenpause selbst zu regeln, dann leben wir nicht in einem liberalen Staat. Es herrschte dann die Diktatur des Gesetzes über die zwischenmenschliche Beziehung.

Als Zeitforscher fällt mir ganz generell auf, dass wir verwirrt sind bei der Regelung und Lösung von Zeitproblemen, weil wir die Zeit mit der Uhr verwechseln und in der Tiefe nicht mehr verstehen, warum Zeit Geld ist. Viele Themen, die wir heute in Sachen Arbeitszeiten diskutieren, lassen sich nur beantworten, wenn wir ein tieferes Verständnis von Uhrenzeit, Lebenszeit und der Zeit-ist-Geld-Mechanik haben. Juristen, die sich mit Arbeitszeitfragen befassen, sei deshalb empfohlen, sich zuerst darüber klar zu werden, was die Zeit überhaupt ist. Und erst dann Gesetze zu formulieren, die uns Menschen vorschreiben, wie wir in der Arbeitswelt mit der Zeit umgehen sollen. Das Buch «Die drei Arten von Zeit» oder die Website «Zeitzeichen.ch» könnten hierzu eine wertvolle Grundlage sein.

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Text: Ivo Muri

Ivo Muri ist Zeitforscher im luzernischen Sursee und beschäftigt sich mit Gesellschaftsfragen. Er gibt sein Wissen in Seminaren und Referaten weiter. www.ivomuri.ch

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