Flexibilisierung der Arbeitszeit
Oft werden die geltenden Arbeits- und Ruhezeitenvorschriften als starr, realitätsfern und untauglich für flexible Arbeitsmodelle bezeichnet. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit lässt sich aber schon heute gesetzeskonform realisieren.
Arbeiten wann und wo ich will: Das wünschen sich viele Arbeitnehmende. Unsere Expertin sagt, wie Unternehmen ihren Mitarbeitenden entgegenkommen können. (Bild: iStock)
Beide Vertragsparteien, Arbeitgebende und Arbeitnehmende, fordern mehr Flexibilität hinsichtlich der Arbeitszeit. Sehr verschieden ist aber ihr Verständnis, was Flexibilität überhaupt bedeutet. Und ja, der Gesetzgeber hat sich mit dem Arbeitsgesetz (ArG) für den Schutz der Mitarbeitenden ausgesprochen. Daher lässt er eine grenzenlose Freiheit nicht zu. Die Arbeits- und Ruhezeitenvorschriften sind zwingend einzuhalten, hier besteht keine Wahlfreiheit und keine Vertragsautonomie – selbst wenn die Parteien es anders handhaben möchten.
Arbeiten, wann wir es brauchen
Von Gesetzes wegen ist nur eine wöchentliche Höchstarbeitszeit vorgegeben. Je nach Tätigkeit liegt diese bei 45 Stunden pro Woche und gilt für alle industriellen Betriebe, für das Büropersonal, für die Angestellten oder für das Verkaufspersonal in Grossbetrieben. Für alle anderen Arbeitnehmenden beträgt die wöchentliche Höchstarbeitszeit 50 Stunden.
Die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit kann, muss aber nicht unter der Höchstarbeitszeit liegen. So schreibt das Gesetz beispielsweise nicht vor, auf wie viele Tage die wöchentliche Arbeit zu verteilen ist. Aber es stellt die Regel auf, dass Sonntagsarbeit grundsätzlich verboten ist (Art. 18 ArG) und zusätzlich ein freier Halbtag zu gewähren ist, falls die Arbeitszeit auf mehr als fünf Tage verteilt wird. Maximal darf die Arbeitszeit somit regulär 5.5 Tage pro Woche betragen. Ausnahmen sind jedoch vorbehalten. Wird die Arbeitszeit auf weniger Tage verteilt, gibt es nur Einschränkung durch die täglich einzuhaltenden Ruhezeiten.
Einer 4-Tage-Woche steht somit prinzipiell nichts im Weg, wenn Pausen gewährt und der maximale Rahmen der Tages- und der Abendarbeit respektiert werden. Ausgehend vom Grundsatz, dass die Tages- und Abendarbeit innerhalb von 14 Stunden liegen muss, sind eine Pause von 60 Minuten sowie maximal zwei Pausen von je 15 Minuten erforderlich. Das, sofern der Teil vor und nach der grossen Pause mehr als 5.5 Stunden beträgt. Deshalb beläuft sich die täglich zulässige Arbeitszeit auf maximal 12.5 Stunden. Es wäre daher zulässig, Mitarbeitende an vier Tagen in der Woche bei einer vertraglich vereinbarten Arbeitszeit von 50 Stunden (4 Tage x 12.5 Stunden) arbeiten zu lassen.
Ob das sinnvoll und für die Mitarbeitenden tragbar ist, sei dahingestellt. Dieses Rechenbeispiel soll aber aufzeigen, dass solche Modelle aus gesetzlicher Sicht durchaus möglich sind. Denkbar ist auch, eine deutlich längere mittlere Pause von über einer Stunde einzuplanen. Ein Mitarbeitender würde dann in zwei Blöcken mit einer einzigen Pause zwischen den Blöcken arbeiten. Dieses Modell kann helfen, tägliche Spitzenzeiten zu bewältigen, für Mitarbeitende ist das dagegen eher wenig attraktiv. Aber auch hier gilt, von Gesetzes wegen ist auch das zulässig.
Arbeiten, wann ich will
Kommt der Ruf nach Flexibilität von der Arbeitnehmerseite, wird darunter oft die Freiheit verstanden im Sinne von: «ich arbeite, wann und wo ich will.» Auch hier gilt: Selbst wenn ein Arbeitgebender das zulassen möchte, kann, beziehungsweise darf er in der Arbeitszeiteinteilung keine vollumfängliche Freiheit gewähren. Er muss die Einhaltung der Arbeits- und Ruhzeitvorschriften überwachen. Zwar kann er die Mitarbeitenden einbeziehen, aber die Einhaltung nicht auf sie übertragen. Daran ändert Homeoffice nichts. Auch hier sind Nachtarbeit und Sonntagsarbeit verboten. Auch dann, wenn der Mitarbeitende lieber in der Nacht oder am Sonntag tätig ist, weil er dann ungestört arbeiten kann. Das darf er von Gesetzes wegen nicht. Arbeitgebende müssen deshalb intervenieren, wenn sie auf der Zeiterfassung bemerken, dass jemand zwischen 23 und 6 Uhr oder sonntags arbeitet.
Gleiches gilt, wenn der Mitarbeitende über mehrere Tage zu viel arbeitet. Beispielsweise bei Arbeitszeiten von 14 Stunden. Obwohl die gesetzliche Höchstarbeitszeit (45 oder 50 Stunden) überschritten werden darf, kann die Überzeit pro Tag nicht mehr als zwei Stunden betragen. Pro Kalenderjahr sind nicht mehr als 170 Stunden bei einer Höchstarbeitszeit von 45 Stunden oder von 140 Stunden bei einer gesetzlichen Höchstarbeitszeit von 50 Stunden erlaubt. Die tägliche Begrenzung der zulässigen (Überzeit-)Arbeit stellt eine der grössten Einschränkung dar, denn damit sind regelmässige Arbeitstage von 14 Stunden abgesehen von Notfällen gemäss dem oben aufgeführten Beispiel nicht zulässig.
Was ich nicht weiss
Flexibilisierung wird gelegentlich aber auch so verstanden, dass deutlich mehr Arbeit erwartet wird, als vertraglich vereinbart wurde. Manch ein Arbeitgebender begegnet diesem Dilemma, indem er Vertrauensarbeitszeit einführt und die Arbeitszeit der Mitarbeitenden nicht erfasst. Arbeitszeiterfassung ist aber eine gesetzliche Pflicht. Sie muss grundsätzlich detailliert erfolgen und mit genauen Uhrzeiten dokumentiert sein.
Nur in Absprache mit den Mitarbeitenden kann die Zeiterfassung vereinfacht erfolgen, indem lediglich die Dauer der täglich geleisteten Arbeitszeit und nicht die genaue Uhrzeit festgehalten wird. Auch der Verzicht der Arbeitszeiterfassung ist von Gesetzes wegen möglich, aber nur jenen Arbeitgebenden vorbehalten, die dazu eine gesamtarbeitsvertragliche Vereinbarung abgeschlossen haben oder einer solchen angeschlossen sind. Schliesslich gibt es höher leitende Angestellte, die dem Arbeitsgesetz gar nicht unterstehen – sie müssen ihre Arbeitszeit nicht erfassen. Doch aufgepasst, nicht jede Kaderposition erfüllt diese Kriterien. Sehr oft besteht erst ab Stufe Geschäftsleitung keine Pflicht zur Zeiterfassung.
Verzichten Arbeitgebende auf die Arbeitszeiterfassung, dämmen sie damit das Risiko hoher Mehrstundenforderungen ein, auch wenn sie es nicht verhindern. Doch müssen sie sich bewusst sein, dass das in der Regel nur für die Mitarbeitenden der obersten Kaderstufe gilt. Arbeitgebende laufen deshalb Gefahr, die Zeiterfassung durch die kontrollierende Behörde (Arbeitsinspektorat) verordnet zu erhalten, meist mit einer kurzen Fristansetzung.
Fazit
Die Flexibilisierung der Arbeitszeit ist möglich, unerheblich davon, ob Arbeitgebende oder Mitarbeitende die Treiber für die Flexibilisierung sind. Neue Modelle können auch im Rahmen des geltenden Arbeits- und Ruhezeitenvorschriften erarbeitet werden. Hohen Mehrstundenforderungen sollte man jedoch durch eine klare vertragliche Regelung begegnen, statt auf die Arbeitszeiterfassung zu verzichten.