Flexible Arbeitswelt, flexibles BGM
New Work hat Sonnen-, aber auch Schattenseiten. Sven Goebel, Leiter Entwicklung BGM bei Gesundheitsförderung Schweiz über das Stressempfinden
«Wer sich gestresst fühlt, erlebt jedoch mehr Zeitdruck, hat mehr Arbeitsplatzkonflikte, weniger Handlungsspielraum oder erhält weniger Wertschätzung»: Sven Goebel, Leiter Entwicklung BGM bei Gesundheitsförderung Schweiz (Bild: zVg)
Die Arbeitswelt verändert sich rasant und sehr dynamisch. Digitalisierung, Beschleunigung und Verdichtung zwingen die meisten Unternehmen und Organisationen aller Branchen dazu, sich laufend anzupassen. Dazu eignen sich altbekannte Strukturen nicht mehr. Wie müssen sich Firmen künftig aufstellen?
Sven Goebel: Die Veränderungen der Arbeitswelt betreffen nicht alle Unternehmen im gleichen Mass. Somit ist es wichtig, zu analysieren, in welchen Arbeitsbereichen sich die Bedingungen gewandelt haben. Zudem ist zu prüfen, wie das Zusammenspiel von Organisation, Technologien sowie Menschen angepasst werden muss. Erfordert mobil-flexibles Arbeiten eine funktionierende Technologie, die auch den Datenschutz gewährleistet, sind aus Sicht der Mitarbeitenden Kompetenzen gefragt, die ihnen helfen, das Berufs- und das Privatleben zu trennen. Vielleicht braucht es aus organisatorischer Sicht aber auch ein Reglement, das die wichtigsten Elemente des «mobil-flexiblen» Arbeitens bestimmt.
Tendenziell scheinen Menschen trotz höherer Autonomie vermehrt unter Stress zu leiden. Wie erklären Sie sich das?
Das entspricht nicht dem, was der Job-Stress-Index von Gesundheitsförderung Schweiz aufzeigt. Gemäss diesem «Stress-Mittelwert», der das durchschnittliche Verhältnis von arbeitsbezogenen Belastungen und Bewältigungsmöglichkeiten der Erwerbstätigen in der Schweiz beleuchtet, ist das Stressniveau der arbeitenden Bevölkerung seit 2018 stabil geblieben, liegt jedoch deutlich höher als noch 2014 und 2016. Während in der Befragung von 2020 rund 29,6 Prozent der Befragten über deutlich mehr Belastungen als Ressourcen klagten, taten das in der aktuellen Befragung noch 28,2 Prozent. Das Stressempfinden hat sich also leicht verbessert. Wer sich gestresst fühlt, erlebt jedoch mehr Zeitdruck, hat mehr Arbeitsplatzkonflikte, weniger Handlungsspielraum oder erhält weniger Wertschätzung. Natürlich kann New Work hier eine Rolle spielen, ist aber sicherlich nicht alleine für das Stressempfinden verantwortlich.
Wie kann man Stressempfinden in den Unternehmen begegnen?
Da die Ursachen sehr vielfältig und unterschiedlich sind, müssen Ressourcen und Belastungen in der Firma analysiert werden. Aufgrund von Befragungen gilt es, zusammen mit den Mitarbeitenden Massnahmen zu definieren, die ihre Ressourcen stärken und Belastungen reduzieren. Dafür stellt Gesundheitsförderung Schweiz mit dem Job- Stress-Analysis-Tool ein Instrument zur Verfügung, das hilft, Ressourcen, Belastungen und das Befinden der Beschäftigten valide zu analysieren.
Inwiefern erhöhen Remote Work und Homeoffice den Stress von Mitarbeitenden?
Mit der Flexibilität des Homeoffice können sich Mitarbeitenden zwar besser organisieren und ihre beruflichen, persönlichen und familiären Bedürfnisse unter einen Hut bringen. Durch die Möglichkeit, immer und überall zu arbeiten, verschwimmt jedoch die Trennung zwischen Privatem und Beruflichem. Diese Vermischung hat nicht nur Auswirkungen auf die Erholung, sondern auch auf das soziale und familiäre Leben. Seit Juni dieses Jahres unterstützen wir KMU mit der «HR Toolbox» für HR-Verantwortliche und dem «Leadership Kit» für Führungskräfte und Geschäftsführer, sich für die New Work der Zukunft fit zu machen und diesen Sachverhalt im Betrieb zu thematisieren. Beispielsweise mit Informationen, Argumenten, Tools, Checklisten und Vorlagen zum Homeoffice.
Nicht nur Firmenstrukturen und -prozesse sind starr. Auch das betriebliche Gesundheitsmanagement muss flexibler werden. Wo sehen Sie Hebel dafür?
Ändert sich die Arbeitswelt durch neue Arbeitsformen, ist es notwendig, das BGM dort anzupassen, wo sich Veränderungen im Arbeitsumfeld negativ auf die Gesundheit der Mitarbeitenden auswirken. Entwicklungsbedarf sehen wir im BGM aktuell in folgenden Bereichen: Bei der Führung und den Entscheidungsprozessen, der Sozialen Gesundheit, der Kompetenzentwicklung für neue Arbeitsformen, der Gestaltung von Arbeitsprozessen sowie der Datenauswertung von BGM. Als sinnvoll könnte sich zudem erweisen, BGM künftig agil nach dem Modell von Organisationen auszurichten, die zwar weiterhin hierarchisch organisiert sind, aber auch damit konfrontiert werden, dass sich die Organisation und die Teams ständig verändern. Planung muss diesen neuen Prinzipien folgen. Auch die Orientierung an Zielgruppen wird immer wichtiger.
BGM Tagung 2023: Gesunde neue Arbeitswelt?»
Mittwoch, 20. September 2023, Kursaal Bern
Mehr Infos: bgm-tagung.ch