Heft Nr. 11/2015: HR-Debatte

Frauen an die Waffen?

Vielerorts sind Männer und Frauen gleichermassen wehrpflichtig, während in der Schweiz noch 
darüber diskutiert wird. Helena Trachsel, die Gleichstellungsbeauftragte des Kantons Zürich, plädiert 
für  eine Verpflichtung der Frauen, Nationalrätin Yvonne Feri setzt hingegen auf Freiwilligkeit.

Helena Trachsel

Laut Gleichstellungsgesetz darf es keine Diskriminierung zwischen den Geschlechtern geben, in keinem Bereich – auch nicht in der Wehrpflicht. Jahrhundertelang war das Militärhandwerk reine Männersache. Der Fortschritt in der Gleichstellung der Frauen hat das verändert: Am 1. Januar 2004 startete die Schweizer Armee mit ihrem grössten Umbau. Brigadier Doris Portmann wünschte sich damals für die dienstleistenden Frauen, dass ihr Einsatz immer selbstverständlicher und völlig akzeptiert wird. Von freiwilligem Einsatz war damals die Rede, nicht von Pflicht. Mittlerweile leisten in vielen Ländern Frauen Wehrdienst mit der Waffe. Damit wird die Frage, wodurch sich die Wehrpflicht nur für Männer rechtfertigt, immer dringlicher.

Sollte es bei einer obligatorischen Wehrpflicht bleiben, führt kein Weg daran vorbei, dass auch die Frauen Militärdienst leisten müssen. Dabei wird sich die Rolle der Frau in der Armee weiterhin verändern: Frauen werden hohe Offizierinnen und sind in der Infanterie oder in Panzer- und Spezialeinheiten tätig. Dass Frauen Kinder bekommen, ist kein Argument für ihre Untauglichkeit oder für die Freiwilligkeit des Militärdienstes. Lösungen wie Kindergeld  für die Kinderbetreuung, modulmässiger oder teilzeitlicher Einsatz wie es viele Unternehmen anbieten, können an die Ansprüche der Armee angepasst werden. Die Wehrpflicht für Frauen besteht schon in vielen Ländern wie Israel, China oder Malaysia. Dieses Jahr soll in Norwegen die geschlechtsneutrale Wehrpflicht eingeführt werden. Die Verteidigungsministerin Anne-Grette Ström-Erichsen sprach nach der Entscheidung durch das Parlament von einem historischen Tag: «Norwegen begeht das Hundertjahrjubiläum des Frauenstimmrechts. Da wird es höchste Zeit, dass Frauen auch beim Militär gleiche Rechte, Pflichten und Möglichkeiten bekommen.»

Anders handhabt dies Schweden. Die Schweden wollen, analog zur Schweiz, eine kleine und attraktive Armee. Schweden hat als erstes skandinavisches Land seit 2010 keine Wehrpflicht mehr. Eine Aushebung findet nicht mehr statt. Wer Interesse an einer militärischen Laufbahn hat, kann sich bei der Armee anmelden und bei Eignung eine zwölfwöchige grundlegende Militärausbildung machen. Das schwedische Militär hat seinen Auftrag verändert: Herrschte noch bis vor zehn Jahren das Credo, Neutralitätspolitik sei nur mit einer starken Armee glaubhaft, ist seither die Einsatzkraft von über 600 000 Soldaten und Soldatinnen auf 32 000 Wehrdienstleistende geschrumpft und die Armee zu einer professionellen Truppe aufgebaut. Für Frauen scheint das Militär in Schweden attraktiv geworden zu sein: 20 Prozent aller Personen, die sich dieses Jahr für die militärische Grundausbildung anmeldeten, waren weiblichen Geschlechts. Ich bin zuversichtlich, dass mittelfristig in fünf bis zehn Jahren auch die Schweizer Armee ihren Charakter und ihren Auftrag grundlegend ändert und der geschlechtsneutrale Militärdienst selbstverständlich sein wird.

 

Yvonne Feri

Als Pazifistin wäre es mir lieber, wir könnten gänzlich auf eine Armee verzichten, doch die Bedrohungsängste und das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung wie auch die angespannte Weltlage lassen eine Schweiz ohne Armee utopisch erscheinen.

Die allgemeine Wehrpflicht für Männer hat viele negative Folgen, die auch Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft haben: Sie erschwert Männern beispielsweise ein soziales und familiäres Engagement und zementiert patriarchale Geschlechterrollen, bei denen der Mann das Vaterland verteidigen muss. Fakt ist aber: Familienrealitäten haben sich in den letzten Jahren stark verändert – es gibt Ein- und Doppelverdienerfamilien, Eineltern- und Patchworkfamilien und unterschiedliche intergenerationelle Be
treuungsmodelle. Die Betreuung von Kindern oder älteren Angehörigen ist nicht mehr einfach eine Frauenangelegenheit, sondern auch Männer engagieren sich vermehrt.

Die Absenz eines Familienmitglieds – sei es während der militärischen Grundausbildung oder der Wiederholungskurse – stellt für Familien, die jetzt schon einen  Betreuungsmarathon leisten, eine weitere Belastung dar. Die allgemeine Wehrpflicht zementiert die Idee, dass sich ein Paar die Zeit so aufteilen kann, dass ein Teil vollständig und über längere Zeit abwesend sein kann. Die Vorstellung, dass immer jemand verfügbar ist, um unbezahlte Betreuungsarbeit zu leisten, findet nur noch bei knapp einem Fünftel der Familien in der Schweiz statt, die ein traditionelles Familienmodell leben. Das zeigt sich auch in der steigenden Zahl Männer, die Teilzeit arbeiten, weil sie sich um die Familie kümmern wollen. Die Armee muss sich dem Zeitgeist anpassen und die veralteten Geschlechterrollen über Bord werfen. Ich will deshalb keine allgemeine Wehrpflicht für Frauen, sondern einen freiwilligen Dienst für beide Geschlechter und am liebsten wählbar zwischen Armee und Zivildienst.

Freiwilligkeit ist aber ein zu weit gefasster Begriff, denn es wird eine Art «Zwang» brauchen in Form der heutigen Militärersatzsteuer oder anderer ähnlicher Modelle. Die Armee muss sich verändern, wenn sie beide Geschlechter anziehen will. Sie braucht ein neues Konzept, sowohl in der Bedrohungseinschätzung als auch in ihrem Gesellschaftsbild und ihren Strukturen. Heute ist sie mehrheitlich ein Hort veralteter Männerbilder, sowohl in der Sprache als auch in den Aufgaben und im geförderten Verhalten. Und sie impft jungen Männern Gesellschaftsbilder ein, die vor Stereotypsierungen keinen Halt machen. Investieren wir darum lieber in eine kleine, effiziente und qualifizierte Armee und in einen Zivildienst, in denen Frauen und Männer gleichgestellt sind. Militärdienstleistende Frauen und Männer müssen über gute psychologische und technische Fähigkeiten verfügen, gesellschaftliche Prozesse verstehen und eine entsprechende Ausbildung durchlaufen. Diese hohen Anforderungen setzen aber auch eine grosse intrinsische Motivation voraus.

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Helena Trachsel ist Leiterin der Fachstelle für Gleichstellung von Frau und Mann des Kantons Zürich und war zuvor über 13 Jahre lang für das Diversity Management des Rückversicherers Swiss Re verantwortlich.

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Yvonne Feri ist ­Nationalrätin und Präsidentin der SP Frauen Schweiz und hat Einsitz in verschiedenen ­Stiftungen wie der Swissaid in Bern.

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