Freiwilliges Engagement ist Gold wert
Das politische System der Schweiz wird vom Milizgedanken getragen. Viele der über 2200 Gemeinden in der Schweiz haben jedoch zunehmend Mühe, Freiwillige für politische Ämter zu finden. Zudem unterstützen nur wenige Arbeitgebende das Engagement ihrer Mitarbeitenden. Fünf Unternehmen über den Mehrwert der Milizarbeit.
Bild: iStock.
«Das Milizsystem ist Ausdruck der gelebten direkten Demokratie», sagt Dominik Marbet, Leiter Public Affairs & Sustainability bei der Baloise Group. Das garantiere eine Gesetzgebung, die nahe bei den Menschen und ihren realen Bedürfnissen sei. Dadurch trage der Milizdienst auch massgebend zum Wirtschaftserfolg der Schweiz bei. «Unser Land lebt von diesem politischen System», findet auch CEO Fiona Trachsel vom Ingenieur- und Planungsunternehmen ewp. «Freiwilligenarbeit ist bereichernd, sinnstiftend und lehrreich und nicht zuletzt auch eine psychosoziale Ressource, die eigenen Werten, Haltungen und Einstellungen Ausdruck verleiht.» Ähnlich sieht das Thomas Frick, Leiter Personal und Organisation bei Siemens Schweiz: «Menschen, die nebst ihrer politischen Tätigkeit in der Privatwirtschaft beschäftigt sind, haben ein Gespür für die Anliegen der Bevölkerung und bringen wichtige Aspekte aus dem Geschäftsalltag in die Diskussion und Entscheidungsfindung ein.»
Als bundesnahes Unternehmen setzt sich die Schweizerische Post aus Pflichtbewusstsein für das Milizsystem ein. «Alle Mitarbeitenden können sich im Gemeinwesen engagieren», sagt Stephanie Jutzi, Leiterin Politik national. Das sind nicht nur hehre Worte: 2020 übten rund 300 Postangestellte ein öffentliches Amt aus. Auch die ewp fördert die Freiwilligenarbeit: Dort haben rund 68 Prozent der Beschäftigten ein Nebenamt inne. Bei der Baloise Group finden sich ebenfalls zahlreiche Ehrenamtliche. In kantonalen Parlamenten beispielsweise derzeit sechs Personen: «Davon fünf im Aussen- und eine im Innendienst», sagt Marbet. Auf Gemeindeebene seien es rund hundert, aus unterschiedlichsten Abteilungen im Innen- sowie im Aussendienst.
Leisten Mitarbeitende einen nebenberuflichen Einsatz, profitieren auch Unternehmen, findet Thomas Frick von Siemens Schweiz: «Beschäftigte erwerben eine hohe Sozialkompetenz und erweitern ihr Netzwerk. Das nützt auch einem Unternehmen.» Prozesse und Strukturen zu gestalten, Aufgaben zu verteilen, zu kommunizieren oder Führungsaufgaben zu übernehmen sei in Unternehmen gefragt. Diesen Mehrwert transferieren viele Ehrenamtliche in den beruflichen Alltag. «Ein enormer Gewinn für Unternehmen», sagt Frick.
«PoliWork»-Studie der Fachhochschule Graubünden
Die Rolle der Unternehmen als Arbeitgebende und ihr Einfluss auf das politische Engagement der Mitarbeitenden in Milizämtern wurde bisher kaum wissenschaftlich analysiert. Das Forschungsprojekt «PoliWork» der Fachhochschule Graubünden untersucht die Vereinbarkeit von Beruf und Milizengagement und entwickelt eine empirisch-evidenzbasierte Auswahl an Fördermassnahmen. Die Ergebnisse sind auf der Online-Plattform poliwork.fhgr.ch veröffentlicht. Diese richtet sich an Unternehmensvertreterinnen und -vertreter und an politisch interessierte Mitarbeitende.
Mit dem «PoliWork – Check für Unternehmen» stellt das Portal einen Test zur Verfügung, der basierend auf 24 Fragen ermittelt, wie umfassend ein Unternehmen das politische Engagement der Mitarbeitenden fördert und wie es im Vergleich zu anderen Unternehmen dasteht. Die «PoliWork-Toolbox» gibt zudem mit über 50 konkreten Praxisbeispielen Hinweise, welche Massnahmen in den Bereichen «Unternehmenskultur», «Strategie & Rolle», «Attraktive Rahmenbedingungen», «Wertschätzung» sowie «Commitment & Kommunikation» und «Regularien & Compliance» erfolgversprechend sind. Daraus sollen neue Initiativen entstehen, die der Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft frische Impulse in der Förderung des politischen und freiwilligen Engagements verleihen. poliwork.fhgr.ch
Mitarbeitende unterstützen
Um ein politisches Amt auszuüben, erhalten die rund 120 ZKB-Beschäftigten bis zu vier Wochen lang bezahlte Absenztage, erzählt Johanna Stauffer, Senior Media Relations Manager. Keine finanzielle Entschädigung, dafür volle Flexibilität bietet die ewp: «Wir haben Jahresarbeitszeiten und flexible Arbeitszeitmodelle», sagt Fiona Trachsel. «So können sich Mitarbeitende ihre Arbeitszeit frei einteilen.» Um sie für Freiwilligen-Engagements zu motivieren, macht die ewb-Geschäftsleitung ihre Ehrenämter in den Firmen-Terminkalendern publik und porträtierte im aktuellen Kundenmagazin ehrenamtlich tätige Mitarbeitende.
Flexible Arbeitszeiten und eine breite Anerkennung der ehrenamtlichen Arbeit bestimmen auch für Dominik Marbet von der Baloise, ob sich Mitarbeitende ehrenamtlich engagieren. Um die Freiwilligentätigkeit zu fördern, organisiert der Versicherer Anlässe, kommuniziert intern und schafft Netzwerke sowie Austauschmöglichkeiten. «Wir finden für Mitarbeitende, die sich auf eidgenössischer oder kantonaler Ebene engagieren und die zeitlich stärker eingebunden sind, individuelle Lösungen», sagt Marbet. Bei Siemens kommen vor allem Teilzeitmodelle, Jahresarbeitszeit oder temporären Arbeitsreduktionen zum Zug. «Daneben profitieren Mitarbeitende jährlich von acht bezahlten Arbeitstagen», ergänzt Frick. Am grosszügigsten gibt sich die Schweizerische Post: «Mitarbeitende erhalten jährlich bis zu 15 bezahlte Arbeitstage, um ein öffentlichen Amts auszuüben, und können meist flexibel arbeiten», sagt Stephanie Jutzi. Zudem bietet die Post Ehrenamtlichen eine Plattform: So berichteten politisch engagierte Postmitarbeitende am «Internationalen Tag der Demokratie» über ihre Erfahrungen. Beispielsweise eine Gemeinderätin und Kundenberaterin aus dem Jura oder ein Gemeinderat und Postauto-Mitarbeiter aus dem Tessin.
Staatliche Unterstützung und Zukunft
Der Rundumblick zeigt: Viele Firmen fördern ehrenamtliche Tätigkeiten, doch sollte der Staat Freiwillige entschädigen? Für Stephanie Jutzi von der Post und Thomas Frick von Siemens Schweiz wie auch für Dominik Marbet von der Baloise ist dieses Ansinnen wenig zielführend. «Der Wert der Milizarbeit sollte gesellschaftlich mehr in den Vordergrund treten», fordert Marbet. «Unternehmen und die Gesellschaft müssen die Milizarbeit mehr wertschätzen.» Einzig Fiona Trachsel von der ewp befürwortet ein staatliches Entschädigungssystem. «Das allein genügt jedoch nicht: Es braucht auch andere Hilfen.»
Das Milizsystem in der Schweiz hat trotz zahlreicher Herausforderung nicht ausgedient, meint Dominik Marbet: «Es braucht aber eine Modernisierung.» Beispielsweise bei der fachlichen Anerkennung von Milizämtern. «Da besteht noch Potenzial. Auch eine Amtsausübung ist eine praktische Weiterbildung.»
«Wir müssen alles dafür tun, das Milizsystem zu erhalten»
Ohne Freiwilligenarbeit wäre die Feuerwehr in der Schweiz nicht lebensfähig, weiss Markus Feltscher, Direktor der Gebäudeversicherung Graubünden (GVG), die für die Ausbildung und Ausstattung der Feuerwehren im Kanton Graubünden verantwortlich ist. wie die GVG qualifizierte Freiwillige findet, sie «gluschtig» macht und warum es das Milizsystem auch künftig braucht.
Warum braucht die Feuerwehr das Milizsystem?
Markus Feltscher: Der Milizgedanke ist besonders in der Gemeindepolitik ein tragendes Element. Er ermöglicht Bürgerinnen und Bürger, in einem politischen Teilbereich Verantwortung zu übernehmen und politisch mitzugestalten. Ohne das Engagement der 100'000 Freiwilligen wäre die Feuerwehr nicht lebensfähig, denn in weniger dicht besiedelten Gebieten gäbe es für eine Berufsfeuerwehr viel zu wenig Einsätze. Das wäre auch nicht finanzierbar. Zudem lebt das weitmaschige politische System der Schweiz von der aktiven Mitarbeit der Bürgerinnen und Bürger.
Wie schwierig ist es qualifizierte Freiwillige für die Feuerwehr zu finden?
Bis dato funktioniert das gut. Die Feuerwehrleistenden (AdF) geniessen in der Bevölkerung ein hohes Ansehen. Das macht diese Nebenbeschäftigung entsprechend attraktiv. Infolge der Landflucht und des demografischen Wandels wird die Rekrutierung in peripheren Gebieten des Kantons Graubünden jedoch schwieriger. Dort sind nur wenige ehrenamtliche Feuerwehrleute im richtigen Alter zu finden. Aufgrund mangelhafter Kommunikation und PR gibt es manchmal aber auch in grösseren Gemeinden Rekrutierungsschwierigkeiten.
Was sind weitere Gründe dafür?
Aufgrund der Abwanderung, infolge fehlender Arbeitsplätze in der Region oder der Mechanisierung der Landwirtschaft fehlen im Feuerwehrwesen Personen im Alter von 20 bis 50 Jahren. Zudem werden Milizämter professionalisiert. Das erfordert einen höheren Zeitaufwand und ein grösseres Know-how. Zum anderen ist die Wertschätzung für Personen gesunken, die ein öffentliches Amt bekleiden. Der Umgangston ist rauer geworden. Deshalb stellen sich besonders auf lokaler Ebene kaum mehr Leute zur Verfügung. Hinzu kommen gesamtgesellschaftliche Entwicklungen wie der individualisierte Lebensstil und die gesteigerte Mobilität: Man arbeitet nicht mehr in der Gemeinde, in der man lebt. Nicht zu vergessen sind die steigenden Anforderungen im Berufsleben.
Hat das Milizsystem eine Zukunft?
Das Feuerwehrwesen funktioniert im Kanton Graubünden nur mit Freiwilligen. Deshalb müssen wir alles dafür tun, das Milizsystem zu erhalten. Bei politischen Ämtern ist es noch schwieriger, Beruf und politisches Engagement miteinander zu vereinbaren. Damit das gelingt, sind nicht nur Bekenntnisse gefragt. Es muss ein Konsens gefunden werden, wer die Kosten für die zunehmende zeitliche Belastung Ehrenamtlicher trägt. Handelt es sich um ein Hobby, müssen die Miliztätigen die Kosten selbst tragen. Besteht ein öffentliches Interesse, sollte die Gesellschaft respektive die Steuerzahlenden dafür aufkommen. Damit es genügend Feuerwehrleute gibt, müssen Arbeitgebende bereit sein, Mitarbeitende diesen Dienst leisten zu lassen. Daher müssen wir Firmen vom Sinn und vom Nutzen der Milizarbeit überzeugen. Beispielsweise damit, dass sie von den Führungs- und Facherfahrungen ihrer feuerwehrdienstleistenden Mitarbeitenden profitieren.