Management-Training

Führungskräfte-Entwicklung: Die Welt der Gauner, Gangster & Ganoven

Der Management-Trainer und PE-Berater Rolf Th. Stiefel geht mit der Gilde der Führungskräfte-Entwickler nicht eben zimperlich um. In der Branche tummeln sich zahlreiche Scharlatane, die Unternehmen über das Einfallstor HR heimsuchen und skrupellos ausnehmen. Stiefel hat ein Buch über die kleinen und grossen Gaunereien und Fehler in der Führungskräfte-Entwicklung herausgegeben: «Führungskräfte-Entwicklung – Die andere Wirklichkeit». Im Interview erklärt er, wo es am meisten hapert. 

Rolf Stiefel, Sie haben in Ihrem Buch eine ganze Reihe an Mythen rund um die Führungskräfte-Entwicklung (FKE) zusammengestellt. Welches sind die wichtigsten?

Rolf Th. Stiefel: Ich nenne Ihnen drei. Der wichtigste Mythos ist die Kompetenz des langjährigen FKE-Abteilungsleiters. Man geht davon aus, dass jemand, der sich lange mit dieser Materie beschäftigt hat, automatisch hervorragende FKE-Arbeit leistet. 

Und das ist nicht der Fall?

Nein. Ich habe die vorhandene Literatur dazu angeschaut. Der langjährige Leiter ist überhaupt nicht mehr beweglich. Er hat seine Philosophie, was gute FKE ist – wissenschaftlich steht diese Philosophie meist auf tönernen Füssen und kostet viel Geld. Auch kommt es oft zur Abhängigkeit von externen Anbietern. Der Nutzen dieser FKE ist also sehr fragwürdig, aber er wird vom Controlling nicht untersucht.   

Welches sind die beiden anderen Mythen?

Der zweite wichtige Mythos ist, dass ein attraktives Leadership Development-Programm – also ein gut ausgebautes «Kürslisystem» – ein Indikator für gute FKE-Arbeit ist. 

Aber?

Diese ganze Seminaritis lenkt davon ab, dass das eigentliche Lernen nicht in Kursen stattfindet, sondern am Arbeitsplatz. Ein gezieltes Lernen vor Ort bringt den Führungskräften viel mehr als ein Seminar. Anstatt also eine externe Person zu engagieren, die im Seminar Leadership als Fachkompetenz vermitteln soll, setzt man lieber Vorbilder aus der eigenen Organisation als Lernquelle ein. Man lässt die Führungskräfte solche «Modellathleten» in Aktion erleben, zum Beispiel in Projektgruppen. Externe Seminarleiter können das Unternehmen nicht in diesem Sinne als Lernquellen für die Kursteilnehmer verwenden. Statt dessen nützen sie es als Netzwerk für sich selbst, um neue Aufträge zu generieren – auch wenn gar kein Bedarf besteht. Damit hängt der dritte Mythos zusammen.  

Und der lautet?

Man muss an den Bedarfen der Organisation arbeiten. Dafür gibt es in manchen Unternehmen eigens Bedarfserfassungssysteme – ein himmelschreiender Unsinn. 

Warum?

Weil diese Systeme nicht zwischen nötig und unnötig unterscheiden. Organisationen sind nun einmal Ansammlungen von Unvollkommenheiten. Die Frage ist: Mit welchen Unvollkommenheiten kann das Unternehmen leben? Man muss nicht jede Lücke von Führungskräften oder von Teams bearbeiten, sondern nur jene Bedarfe, die für die Marktposition der Firma strategisch wichtig sind. Aber holen Sie einmal einen externen Berater herein. Er wird viele Schwächen entdecken, weil er ja vom Idealprofil einer Firma ausgeht, und Ihnen weismachen wollen, dass das alles bearbeitet werden muss.  

Externe Anbieter kommen bei Ihnen schlecht weg. Sie nennen sie Gauner, Ganoven und Gangster.

Gaunereien kommen oft vor. Wenn sich diese bei einer Person kumulieren, spreche ich von einem Ganoven oder auch Gangster. Gaunereien manifestieren sich in täuschendem Verhalten in der Marktbearbeitung, in Fehlverhalten bei der Anbahnung von Klientenbeziehungen, in Tricks bei der Durchführung von Trainings und in Abzockerei, also in «kreativen» Formen der Leistungsabrechnung. 

Was ist eine klassische Gaunerei?

Anbieter verweisen oft auf Qualitätsmerkmale, die gar keine sind. Zum Beispiel soll ihre Mitgliedschaft in einem bestimmten Verband Qualität suggerieren. Oder sie verweisen auf lange Referenzlisten, die für sich genommen nichts bedeuten, da ja keine genaueren Hinweise auf das jeweilige Projekt geliefert werden. In Deutschland gibt es auch Auszeichnungen und Preise, auf die man sich beruft, die aber völlig bedeutungslos sind.   

Die Kunden werden also bewusst getäuscht?

Ja. Am krassesten sind jene Fälle, wo Berater, Trainer oder Trainergruppen angeblich wissenschaftliche Studien herausgeben und PR-Agenturen beauftragen, diese – und natürlich auch ihren Namen – in den Medien zu streuen. Doch das sind keine wissenschaftlichen Studien, sondern Marktbearbeitungsprojekte. Manche haben für den Zweck der Namensstreuung in den Medien auch freie Journalisten auf der Payroll. Je öfter der Name fällt, desto besser erscheint die Anbieterautorität eines Beraters. 

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass die Gaunereien von den FKE-Fachleuten bewusst oder unbewusst unterstützt werden. 

Den Leuten in den Unternehmen fehlt oft die Übersicht im Markt. Und es mangelt an kritischem Mitdenken. Wenn das obere HR die FK-Entwickler anweist, einen bestimmten Coach, zu dem Connections bestehen, zu engagieren – statt solche Aufträge systematisch auszuschreiben–, dann wird das meist ohne Widerstand ausgeführt. Diese Ausführenden sind häufig junge Psychologinnen frisch ab der Universität, die dankbar für ihren FKE-Job sind und sich nicht mit Höhergestellten anlegen wollen. Daneben gibt es auch an Korruption grenzende Handlungen, etwa PE-Leiter, die Kickbacks für Vermittlungen erhalten. 

 

 

 

Wie lässt sich dagegegen vorgehen?

Ab einer bestimmten Honorarhöhe braucht es eine Second Opinion. Dazu gehören klare Kriterien und eine saubere Dokumentation.

Sie sind gegen die Psychologisierung der FKE, also gegen Psychologen in diesem Bereich. Warum?

Weil das zur Überbewertung des Assessment-Gedankens geführt hat: Junge Psychologen können mittels Assessments ihr Uniwissen umsetzen, aber mit Entwicklung haben sie wenig Erfahrung. 

Gegen Assessments per se haben Sie aber nichts?

Nein, insbesondere Development Assessments sind sinnvoll. Aber insgesamt werden Assessments überbetont, gerade die selektierenden Assessments: Da prüft man die Kandidaten auf Herz und Niere, und hat dann ein Profil. Das Problem ist, dass aufgrund von solchen Profilen Leute neue Positionen erhalten, ohne wirklich Entwicklungsschritte gemacht zu haben. Führungskräfteentwicklung heisst aber nicht einfach nur Assessment, sondern Assessment plus Development. Das, was schon da ist, soll veredelt werden – zum Beispiel durch einen Auslandaufenthalt. Assessment ohne Entwicklung ist keine wertschöpfende FKE. Wobei man dazu sagen muss, dass diese Ideologie häufig von oben kommt.

Nämlich?

Jemand aus der GL fragt zum Beispiel bei der FKE-Abteilung nach einer Liste mit den Leuten, die sich in Assessments ausgezeichnet haben. Nach Lernfortschritten wird da nicht gefragt. Häufig favorisiert die betreffende Person ja auch schon einen bestimmten Kandidaten. 

Soweit die Schwächen und Schwierigkeiten. Was ist denn nun ein guter Führungskräfte-Entwickler?

Das ist jemand, der das Business kennengelernt hat, bevor er in die FKE wechselte. Einer, der weiss, wo im Unternehmen das Geld gemacht wird, und der Managementerfahrung hat. Gruppen moderiert zu haben reicht nicht. 

Was raten Sie dem HR? 

Es soll sich öffnen für ein systematisches Qualitätsmanagement in der FKE, soll die FKE jährlich auf den Prüfstand stellen. Da wird man sich eventuell auch gegen die obersten Führungskräfte durchsetzen müssen. Nicht selten wollen diese kein Qualitätsmanagement, sondern möchten sich den Freiraum offenhalten, mitzuentscheiden, für wen im Unternehmen etwas getan werden soll, wer in die Pipeline für obere Führungspositionen soll. Sich hier durchzusetzen wäre also auch der Aufbau einer Machtposition des HR. 

Qualitätsmanagement in der Führungskräfte-Entwicklung

  • Auswahl eines externen Bedarfsbearbeiters (zum Beispiel Führungstrainer, FKE-Berater, Coach) immer durch zwei interne FKE-Mitarbeiter mit sequenzieller Evaluierung, konsensualer Entscheidungsfindung und schriftlicher Dokumentation der Evaluierung anhand expliziter Kriterien. 
     
  • Einbindung des Probleminhabers in der Linie in den Auswahlprozess von Bedarfsbearbeitern. 
     
  • Vergabe eines Auftrags ab einer bestimmten Auftragshöhe (zum Beispiel 35'000 Franken) nur unter Hinzuziehung einer externen Zweitmeinung. 
     
  • Unterjährige Erörterung der gesamten FKE-Arbeit mit einem hochrangig aus dem OFK besetzten Steuerkreis, um Evidenzen aus den Klientenkreisen zu erhalten. (OFK: Oberer Führungskreis, direkt der Geschäftsführung unterstellte Führungskräfte.)
     
  • Jährliches Audit der FKE-Arbeit mit einer externen, unabhängigen FKE-Fachperson, die keine Projekte im Unternehmen durchführt. 
     
  • Durchführung sämtlicher FKE-Massnahmen mit einem Evaluierungsstrang. 
     
  • Begrenzte Verweildauer des Positionsinhabers in der FKE-Leitung, damit der Nachfolger jeweils die Fragen an die FKE-Arbeit stellt, die der langjährige FKE-Leiter nicht mehr stellt. 
     
  • Periodische Durchführung eines Treffens mit allen externen Trainern und Coaches, die in der FKE-Arbeit während einer Planperiode zum Einsatz kommen, um Feedback zu erhalten, das mit allen eingesetzten Experten diskutiert wird. 
     
  • Jährliches Audit der FKE-Mitarbeiter auf der Basis von FKE-strategiekonformen Kompetenzen, um die fachliche Qualifizierung an den Anforderungen der Abteilung auszurichten. 
  • Fachliche Qualifizierung der FKE-Mitarbeiter auf der Basis der Umsetzung der FKE-Strategie.
     
  • Verfolgung konkreter Know-how-Transferprojekte, die entsprechend der formulierten FKE-Strategie beinhalten, dass der Einsatz externer Trainer und FKE-Berater auch dem Wissenserwerb der eigenen Mitarbeiter dient.

    Quelle: Rolf Th. Stiefel

Zur Person

Rolf Th. Stiefel, Dr. rer. comm., hat die FKE-Abteilungen grosser deutscher und Schweizer Firmen beraten (Pharma, Banken etc.). Seit 1975 ist er selbständiger Management-Trainer und PE-Berater. 1986 gründete er die Dr. Rolf Th. Stiefel & Partner AG in St. Gallen, die sich auf die Entwicklung und Realisierung von strategieumsetzenden Lernsystemen spezialisiert hat.

Rolf Th. Stiefel ist Autor von über 20 Büchern, zum Beispiel «Führungskräfte-Entwicklung als Beruf und Leidenschaft» (Linde Verlag).

Seit 1979 gibt er vierteljährlich das Fachorgan «MAO» (Management-Andragogik und Organisationsentwicklung) heraus.  

Literatur:

Rolf Th. Stiefel: Führungskräfte-Entwicklung – Die andere Wirklichkeit. Mythen, Kunstfehler und Trainingsgauner. Das Buch kann hier bestellt werden.  

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Franziska Meier ist Redaktorin und Produzentin mit langjähriger Erfahrung im Zeitungs- und Zeitschriftenbereich. Als Chefredaktorin des Magazins «fit im job» sowie als Fachredaktorin der Zeitschrift «HR Today» hat sie sich auf das Thema «Mensch, Arbeit & Gesundheit» spezialisiert. Zu ihren journalistischen Schwerpunkten gehören insbesondere Persönlichkeitsentwicklung, Coaching, Stressprävention und betriebliches Gesundheitsmanagement. Achtsamkeit praktiziert sie manchmal im Schneidersitz, öfter jedoch auf ihren Spaziergängen rund um den Türlersee.

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