«Führungskräfte wissen oft nicht, was ihre Mitarbeitenden alles wissen»
Will sich ein Unternehmen neu ausrichten, holt die Geschäftsleitung oft für teures Geld externe Berater. Dabei müssten sie nur ihre eigenen Mitarbeiter fragen, zeigt sich Strategieberater Ignaz Furger überzeugt. Warum Führungskräfte dieses interne Wissen nicht anzapfen und was dabei herauskommt, wenn sie es dann doch tun, erzählt Furger im Interview.
Ignaz Furger: «Wenn der Kunde überzeugt ist, dass es seine Idee war, die umgesetzt wurde, dann hat der Berater einen guten Job gemacht.» (Foto: Christine Bärlocher)
Es scheint, als ob immer mehr Berater ihre Dienste anbieten und von den Unternehmen auch immer mehr Beratung in Anspruch genommen wird. Warum ist das so?
Einerseits übernehmen so genannte Berater immer mehr Arbeiten, die von den Unternehmen ausgelagert wurden, beispielsweise in der IT. Da ist die Grenze zwischen einem externen Spezialisten, der seine Dienste anbietet, und einem Berater manchmal fliessend. Und dann ist es tatsächlich so, dass sich immer mehr Leute einfach Berater nennen.
Und was verstehen Sie unter einem «richtigen» Berater?
Ich möchte hier vor allem von Strategieberatung reden. Wenn ein Unternehmen eine neue Strategie entwickelt oder die alte überarbeitet, sehe ich den Berater als Begleiter, als Sparringpartner, der die richtigen Fragen stellt, Feedback gibt und die systematische Durchführung des Strategieprozesses organisiert und moderiert. Wenn der Berater dann aus dem Haus geht und der Kunde überzeugt ist, dass es seine Idee war, die umgesetzt wurde, dann hat der Berater seine Arbeit gut gemacht.
Nun könnte man sich fragen, weshalb hochbezahlte Manager nicht in der Lage sind, so etwas ohne fremde Unterstützung durchzuführen. Wird da nicht Verantwortung an den Berater abgeschoben, die sie eigentlich selbst übernehmen müssten?
Das ist tatsächlich ein heikler Punkt. Oft weiss das oberste Management nicht, was die Mitarbeitenden eigentlich alles wissen. Deshalb holen sie externe Berater, statt das intern vorhandene Wissen selbst aufzubereiten. Denn es ist heute relativ einfach, grosse Beratungsfirmen anzuheuern, die Marktstudien und -analysen machen und dann dem Management sagen, wie es da draussen aussieht und was es nun zu tun hat. Geht eine Unternehmensleitung so vor, gibt sie einen grossen Teil der Verantwortung ab.
Was sind die Folgen?
Die extern erarbeiteten Strategien werden von den Mitarbeitenden meist mit wenig Begeisterung oder gar nicht umgesetzt. Denn sie spüren aufgrund ihrer Erfahrungen, die sie täglich an der Front machen, dass diese Strategien oft nicht wirklich funktionieren. Also warten die Mitarbeitenden einfach mal ab, bis der Sturm vorüber ist. Denn die externen Berater gehen schliesslich irgendwann wieder. Das Resultat aber sind teuer eingekaufte Ordner, die im Schrank verstauben, oder Datenleichen, die für immer auf den Festplatten gespeichert bleiben. Oft versucht die Unternehmensleitung, die Strategie mit Change Management und Change Agents aber doch noch irgendwie durchzudrücken. Ein Aufwand, den sich ein Unternehmen eigentlich gar nicht leisten kann.
Warum kommt es dann doch immer wieder vor, dass versucht wird, Strategien auf diese Weise umzusetzen?
Weil ab einer gewissen Führungsebene die Beziehung zu den Mitarbeitenden, zur Basis, oft nicht mehr da ist. Die Führungskräfte wissen gar nicht, über welches Know-how ihre Mitarbeiter verfügen und dass sie oft auch sehr gute Inputs für eine Strategie geben können. In meinen Seminaren arbeite ich jeweils mit konkreten Fällen aus dem jeweiligen Unternehmen. In einem Fall erzählte ein Teilnehmer von einer Idee, die die Gruppe dann bearbeitete. Zwei Monate später ging der junge Mann nach Südafrika und begann dort diese Idee mit dem Landesmanager umzusetzen.
Heisst das, dass Manager, die das Wissen ihrer Mitarbeitenden nicht nutzen, sich irgendwo auch selbst überschätzen?
Von Selbstüberschätzung würde ich nicht reden, sonst würden sie keine externe Bertung holen. Vielmehr stelle ich mancherorts eine gewisse Hilflosigkeit fest.
Und woher kommt diese Hilflosigkeit?
Viele Unternehmen sind funktional gegliedert. Der Finanzleiter beispielsweise ist Experte in seinem Gebiet, weiss aber nicht, was draussen im Vertrieb los ist. In den einzelnen Bereichen passiert jeweils so viel – an der Front, bei der Produktion, bei der Logistik usw. –, dass gar nicht mehr alle Veränderungen nach oben weitergegeben werden können. Das Wissen ist heute so breit, das kann man gar nicht mehr alles überblicken.
Der Manger versteht sein Geschäft nicht mehr ...?
Er versteht nicht mehr alle Einzelheiten des Geschäfts – und das ist auch nicht seine vordergründig wichtigste Aufgabe. Vielmehr muss er das Unternehmen so führen, dass es Ergebnisse liefert und somit als System lebensfähig ist. Dazu muss er die richtigen Ziele setzen, das Unternehmen optimal organisieren und die Stärken seiner Mitarbeiter kennen und ihnen den Raum geben, damit sie diese entfalten können. Denn die Mitarbeier sind in unserer Wissensgesellschaft das Kapital. Wenn der Manager da einen Berater als Katalysator, als Sparringpartner holt, der die richtigen Fragen stellt, dann ist das sinnvoll und richtig. Manager sind oft sehr einsam. Wichtig ist aber, dass die Verantwortung, Entscheide zu fällen, immer bei ihnen liegt.
Wie kann ein inhaltlicher Beitrag eines Beraters in der Praxis aussehen?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Bei einem Kunden aus dem Maschinenbau ging es darum, dass für die Strategieentwicklung eine internationale Marktanalyse nötig war, die intern zu erarbeiten aber zu aufwändig gewesen wäre. Also liessen wir sie von einer externen Beratungsfirma machen. Statt von ihnen aber auch die Strategie entwickeln zu lassen, integrierten die Mitarbeitenden die Analyse in ihre Strategiearbeit, denn sie sind schliesslich die Experten des täglichen Geschäfts.
Das heisst also, dass die Mitarbeitenden die Strategie entwickeln.
Nun, es ist nicht so, dass das oberste Management sagen kann: «Entwickelt eine Strategie und setzt sie dann um.» Es muss nicht alles von unten kommen, aber man muss das, was von unten kommt, mitnehmen. Das, was in den Köpfen der Mitarbeitenden ist, muss genutzt werden. Dank ihrer Arbeit an der Front kommen sie zu Ideen, wie man neue Produkte entwickeln könnte usw.
Vor nicht allzu langer Zeit schlug ich einem Kunden vor, für die Strategieentwicklung die eigenen Mitarbeiter beizuziehen. Als ein Bereichsleiter der Geschäftsleitung von einer Idee erzählte, die ihn schon lange beschäftigte, hörte ich von einem der Geschäftsleitungsmitglieder nur ein erstauntes «Wow, das ist aber spannend, ich wusste gar nicht, dass man das so machen könnte.»
Der Berater ist also auch ein Mittler zwischen den Mitarbeitern und der obersten Führung?
Ja, das gehört auch zu seinen Aufgaben. Ein Schlüsselerlebnis meiner Beratertätigkeit war die Beobachtung, dass die Mitarbeiter das, was sie selber entwickeln, auch tatsächlich umsetzen. Weil sie sich mit ihren Ideen identifizieren und ihr Verständnis vom Geschäft einbringen können. Solche Mitarbeiter arbeiten mit viel mehr Freude, und ich brauche Ihnen nicht weiter zu erklären, welchen Einfluss dies auf die Produktivität des Unternehmens hat.
Sie haben gesagt, was ein guter Berater ist. Was aber darf er auf keinen Fall tun?
Sich in das Geschäft einmischen geht gar nicht. Das ist – so meinte mal ein Kollege von mir – wie bei der Eheberatung. Ein guter Therapeut stellt lediglich die richtigen Fragen, aber er sagt den Ehepartnern nicht, ob sie zusammenbleiben oder sich vielleicht nicht doch besser trennen sollten.
Ignaz Furger
unterstützt seit über 20 Jahren Unternehmen bei der Entwicklung und Umsetzung von Strategien. Er hat an der ETH Zürich Mathematik studiert und in St. Gallen einen Executive MBA absolviert. Bevor er in die Beratung eingestiegen ist, war Ignaz Furger im internationalen Tourismus tätig und hat als Projektmanager bei General Electric garbeitet. Heute ist er Inhaber der Firma Furger und Partner AG Strategieentwicklung in Zürch.