Entlöhnung

Gerechtigkeit beim Lohn der GL

Die «Abzocker»-Volksinitiative und der 
Parlamentarische Gegenvorschlag haben 
Auswirkungen auf das HR-Management. 
Diese betreffen vor allem Fragen der 
Vergütung für die Unternehmensleitung: 
ein betriebswirtschaftlicher Kommentar.

Volksinitiative und Gegenvorschlag stimmen dahingehend überein, dass die Generalversammlung (GV) bindend über die Vergütung des Verwaltungsrates (VR) abstimmt. Für diese Entscheidung braucht es gut aufbereitete Informationen darüber, welche VR-Vergütung angemessen ist. Dies hängt von der Grösse und Komplexität des Unternehmens sowie von der Intensität der Arbeit von VR-Mitgliedern im Gesamtgremium und in den einzelnen Ausschüssen ab. Betriebswirtschaftlich ist auf eine GV-Entscheidung im Interesse der weiteren positiven wirtschaftlichen Entwicklung zu hoffen. Vergütungsspezialisten aus dem HR-Management oder externe Berater können für die Entscheidung der GV nützliche Informationen zur Verfügung stellen.

Teilgerechtigkeiten konsensfähig machen

Einen erheblichen Unterschied zwischen Volksinitiative und Gegenvorschlag gibt es hinsichtlich der Vergütung für Geschäftsleitungs(GL-)Mitglieder. Während die Volksinitiative bei der GL wie beim VR eine bindende GV-Abstimmung festschreibt, lässt der Gegenvorschlag hier Spielraum. Die unternehmensindividuellen Statuten legen fest, ob die GV bindend oder konsultativ abstimmt.

Damit besteht beim Gegenvorschlag die Herausforderung, dass der VR ein Vergütungsreglement erlässt, über welches die GV abstimmen kann. Dies ist zugleich eine Chance für HR-Spezialisten. Es wird nicht allein über die absoluten Vergütungen in Geldeinheiten abgestimmt, sondern die Systematik des Lohnsystems kann Gegenstand einer GV-Abstimmung sein. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist das begrüssenswert. Eine Abstimmung über einen bestimmten Geldbetrag unterstellt in gewisser Weise, dass es ein absolutes Mass für den richtigen und gerechten Lohn gibt. Von einer absoluten Lohngerechtigkeit kann jedoch nicht die Rede sein.

Hingegen lässt sich ein Vergütungssystem so konstruieren, dass es verschiedene Teilgerechtigkeiten konsensfähig macht. So wäre es auch möglich, von der Systematik der Vergütung ausgehend, exzessive Höhen von GL-Vergütungen zu verhindern, was ein Grund für die Volksinitiative und den von ihr inspirierten Gegenvorschlag war.

Zunächst könnte über das Prinzip der Anforderungsgerechtigkeit ein Anhaltspunkt gefunden werden. Hier wäre unter anderem zu berücksichtigen, welche Ausbildungsstufe und berufliche Erfahrung für die GL-Funktionen anforderungsprofilgerecht sind. Weiterhin ist die zu tragende Verantwortung zu berücksichtigen. Dabei ist keineswegs nur an die Zahl und die Qualifikationsstufe der unterstellten Personen zu denken, sondern auch an Vermögenswerte und mögliche finanzielle Folgen einer Fehlentscheidung. Schliesslich spielen die Arbeitsbedingungen eine Rolle. So hat zum Beispiel ein GL-Mitglied eines multinationalen Unternehmens andere interkontinentale Dienstreiseverpflichtungen als ein GL-Mitglied einer regional agierenden Aktiengesellschaft.

Leistungsgerechtigkeit und soziale Aspekte

Der zweite wichtige Aspekt ist die Leistungsgerechtigkeit. Bei GL-Mitgliedern besteht diese vor allem darin, ob das GL-Mitglied Ziele erreicht, die es selbst beeinflussen kann. Hier hat die Betriebswirtschaftslehre zahlreiche Kennzahlen entwickelt, die aufzeigen, ob ein GL-Mitglied die mit dem VR vereinbarten Ziele erreicht hat. Diese müssen keineswegs nur ökonomischer Art sein (Gewinngrössen, Umsätze, Marktanteile, Kostenarten etc.), sondern können sich auch auf ökologische, gesellschaftliche und personelle  Dimensionen beziehen. Die vereinbarten Zielarten und -höhen sind Ausfluss des obersten Zielsystems, der Unternehmensstrategien und -kultur. Leistungsmessung ist auf GL-Ebene nicht einfach, aber konsensfähig durchführbar.

Ein dritter Aspekt für ein GL-Vergütungssystem kann die Marktgerechtigkeit sein. Hier besteht die Herausforderung darin, auf dem Arbeitsmarkt der GL-Mitglieder angemessene Vergleichswerte (Benchmarks) zu finden. Dies ist schwierig, weil jedes Unternehmen ein Unikat ist und die Wertigkeit einer Position (zum Beispiel Allein- und Mitentscheidungsrechte) aufgrund unterschiedlicher Organisationsstrukturen (zum Beispiel Sparten- oder Matrixorganisation) niemals vollkommen identisch mit einer anderen ist. So hat der Verfasser in seiner langjährigen VR-Tätigkeit Fehlvergleiche durch externe «Benchmark-Büros» gesehen. Bei sorgfältiger Arbeit können jedoch befriedigende Anhaltspunkte gefunden werden. Eine echte Marktgerechtigkeit würde auch verlangen, dass der Markt für alle geeigneten Kandidaten frei zugänglich ist und nicht durch künstliche Barrieren hinsichtlich bestimmter Anforderungen (Nationalität, Geschlecht, Alter etc.) begrenzt wird. Im Idealfall müsste jede Person, welche die Anforderungen und die Leistungserwartungen erfüllt, sich auf die entsprechende GL-Position bewerben können.

Ein vierter Aspekt für ein GL-Vergütungssystem kann die Ertragsgerechtigkeit sein. Die Höhe der Vergütung richtet sich nach der Ertragssituation der Unternehmung. Diese lässt sich wiederum an verschiedenen Kennzahlen messen. Bei einer sehr günstigen Ertragslage kann das Unternehmen seinen GL-Mitgliedern höhere Bezüge auszahlen. Dabei unterstellt es, dass die GL-Mitglieder durch ihr Wirken zu dieser positiven Situation beigetragen haben. Weiterhin lässt sich nach dem Bezugszeitraum differenzieren. Damit kann auch der Aspekt der Nachhaltigkeit in die Gestaltung des Lohnsystems einfliessen.

Eine untergeordnete, aber nicht zu vernachlässigende Bedeutung haben bei GL-Vergütungen fünftens auch soziale Aspekte, wie etwa die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Bei öffentlichen Unternehmen in Form einer AG ist es möglich, dass demokratische Organe (Regierungen, Parlamente oder das Stimmvolk) Vorgaben für die GL-Bezüge definieren. In diesem Fall kann – sechstens – von einer demokratischen Gerechtigkeit gesprochen werden.

Chance für HR-Spezialisten

Es ist schnell einsehbar, dass die Anwendung der genannten Teilgerechtigkeiten zwar nie zu einer allumfassenden Gerechtigkeit in Bezug auf die Löhne der GL-Mitglieder führen wird. Die Gewichtung der Teilgerechtigkeiten werden einzelne Mitglieder von GV und VR unterschiedlich vornehmen. Es lässt sich jedoch eine Debatte darüber führen, ob das Vergütungssystem in nachvollziehbarer Form wichtige Teilaspekte berücksichtigt und als gesamthaft angemessen bezeichnet werden kann. Eine solche Debatte ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht einer pauschalen Entscheidung über eine absolute Lohnhöhe vorzuziehen. Ausserdem liegt hier eine grosse Chance für Spezialisten des Personalmanagements, durch Klarheit der Argumentation und korrekt ermittelte Vergleichs- und Kennzahlen Einfluss auf die Debatte zu nehmen.

Die Volksinitiative verlangt in den Statuten die Festlegung der Höhe der Renten der VR- und GL-Mitglieder. Dies entspricht einem Leistungsversprechen, welches angesichts der Finanzmarktlage als schwer abschätzbar und damit problematisch gilt. Im Gegenvorschlag ist die Rentenfrage Teil des Vergütungsreglementes und es können Änderungsanträge an die GV gestellt werden, was die Flexibilität erhöht.

Die Volksinitiative legt die jährliche Einzelwahl der Mitglieder des Vergütungsausschusses fest. Dies führt zu einer enormen Exponierung dieser Personen eines VR-Ausschusses. Die jährliche Wahl beziehungsweise Abwahl fördert nicht unbedingt die Kontinuität und das langfristig  konsistente Entscheiden. Der Gegenvorschlag sieht diesbezüglich keine Regelung vor. Er konzentriert sich gemäss OR auf die Gesamtverantwortung des VR.

Flexibilität beim Gegenvorschlag

Beim Austritt erhalten VR- und GL-Mitglieder laut der Volksinitiative keine Abgangs- oder andere Entschädigungen. Auch gemäss dem Gegenvorschlag sind solche Entschädigungen im Prinzip verboten, jedoch kann die GV Ausnahmen mit einer 2/3-Mehrheit genehmigen. Dieser Spielraum ist insofern angemessen, als es auf den konkreten Grund des Austritts ankommt.

Analog verhält es sich bei Vorauszahlungen an VR- und GL-Mitglieder. Auch hier ist die Volksinitiative strikt verbietend und der Gegenvorschlag lässt wiederum mit einem 2/3-Mehr der GV Ausnahmen zu.

Alles in allem zeigt der Gegenvorschlag mehr Flexibilität, was der wirtschaftlichen Realität und ihrer Unvorhersehbarkeit besser entspricht. Die Schweiz ist ein attraktiver Standort für Führungskräfte. In ihr befinden sich überdurchschnittlich viele Hauptquartiere von international agierenden Gesellschaften. Vergütungen müssen daher international wettbewerbsfähig bleiben. Zugleich sind Auswüchse zu Lasten anderer Anspruchsgruppen eines Unternehmens zu bekämpfen. Die Volksinitiative tut dies in sehr strikter Form. Vergütungsexzesse für oberste Kadermitglieder können jedoch ebenfalls mit dem Gegenvorschlag verhindert werden. Die Rechte der einzelnen Organe (GV und VR) erlauben eine Optimierung hinsichtlich der gesellschaftlich verträglichen Höhe und ihrer  Attraktivität für Spitzenkräfte in der Unternehmungsführung. Bei Annahme der Volksinitiative kommt alles auf die spätere Gesetzgebung an.

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Prof. Norbert Thom war über 40 Jahre in der Forschung und Lehre tätig (Köln, Giessen, Fribourg, Bern). Heute nimmt er in Verwaltungs­räten (YPSOMED, ­REHAU Gruppe) auf oberster Stufe Ver­antwortung für ­HR-Themen wahr.

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