HR im Rollenwandel

Heute HR-Chef, morgen CEO

Die Rolle des Personalchefs hat sich in den letzten 20 Jahren grundlegend gewandelt. War er früher vor allem für administrative Tätigkeiten zuständig, hat er heute vermehrt eine strategische Funktion inne. So fungiert er einerseits als wertvoller Sparringspartner des CEO und – was viele vielleicht erstaunt – als dessen Nachfolger. So die Ergebnisse einer neuen Studie von Ellie Filler und Dave Ulrich, die im Auftrag von Korn Ferry entstanden ist.

CEOs stehen heute vor enormen Herausforderun­gen: Die Welt ist geprägt von langsamem Wachstum und schnellem Wandel. Die Halbwertszeit technologischer Innovationen hat sich drastisch verkürzt und der Fachkräftemangel bringt Unsicherheiten auf den Tisch. Um diesen Herausforderungen begegnen zu können, muss der CEO von heute über Fertigkeiten verfügen, die im klassischen Profil bis anhin nicht enthalten waren. So reicht es längst nicht mehr, über technisches Know-how in den Bereichen Verkauf, Marketing, Betrieb oder Finanzen zu verfügen.

CEOs sollten neben technischen Skills auch ausgeprägte Qualitäten in Bezug auf Talentmanagement, Kultur und Führung mitbringen. Ein Organigramm zu zeichnen und aufzuzeigen, wer wem rapportiert, rückt heute in den Hintergrund. Viel wichtiger ist es, ein Klima zu schaffen, in welchem es möglich ist, einen starken Brand gegenüber den Kunden und eine starke Kultur gegenüber den Mitarbeitenden schaffen. Nur so gelingt es, ein Unternehmen erfolgreich zu führen: Hard Skills und Soft Skills in Personal­union, und dies auf möglichst hohem Niveau. Dass aber auch CEOs keine Übermenschen sind und scheitern können, haben verschiedenste Fälle der letzten Jahre gezeigt. Das Risiko des Scheiterns lässt sich allerdings verringern: ­Indem der CEO den CHRO (Chief Human Resources Officer) als Sparringpartner in seine Gedanken und Entscheidungen miteinbezieht.

CEO und HR-Chef: Aus demselben Holz geschnitzt

Korn Ferry hat seit der Gründung des Unternehmens über 2,5 Millionen Assessments durchgeführt. Um die Rolle des CHROs im Topmanagement besser verstehen zu können, wurden diese Daten analysiert. Dabei wurde untersucht, in welcher Ausprägung wesentliche Führungsattribute den verschiedenen C-Level-Positionen wie CEO, CFO, COO, CIO, CHRO, CMO (­Erläuterung siehe Bild) tendenziell zugeordnet werden können. Die Attribute wurden dabei in drei übergeordnete Kategorien gruppiert:

  • Führungsstil (Verhalten von Führungskräften in sozialen Interaktionen)
  • Denkstil (Problemlösung und Entscheidungsfindung)
  • emotionale Kompetenz (Umgang mit Ambiguitäten, ­Empathie, Selbstsicherheit)

Die Resultate der Studie sind hochspannend, denn sie zeigen: CHROs sind aus dem gleichen Holz geschnitzt wie CEOs. Konkret bedeutet dies: Neben den COOs sind die CHROs in Bezug auf oben genannte Attribute den CEOs am ähnlichsten – viel ähnlicher als zum Beispiel CFOs oder CIOs, die klassischerweise eher auf der Shortlist landen. Dieses Bild wird von aktuellen Anforderungsprofilen in Ausschreibungen für CHRO-Jobs bestätigt: So suchen Unternehmen immer häufiger nach CHROs, die über Führungsqualitäten und strategisches Know-how verfügen.

Vom Bürokraten zum Strategen

Dass der HR-Chef heute als strategisch bedeutsame Führungskraft betrachtet wird, hängt damit zusammen, dass sich seine Rolle innerhalb des Unternehmens in den letzten 20 ­Jahren gewandelt hat. Über Jahrzehnte hinweg hat man die HR-Abteilung als verstaubtes Backoffice betrachtet, als reines Kos­tencenter, das sich um administrative Aufgaben wie etwa die Personalverwaltung zu kümmern hatte. Erst später hat das HR begonnen, spezifisches Fachwissen aufzubauen – etwa über Personal-Trainings oder die Messung von Mitarbeiter­leistungen. Und dieses Wissen wird heute dafür genutzt, um die Umsetzung der Unternehmensstrategie voranzutreiben.

Während CHROs früher an den COO oder den CFO rap­portierten, berichten sie heute direkt dem CEO und halten Präsentationen vor dem Verwaltungsrat. So entwickelt sich der Personalchef immer mehr zu einem Impulsgeber, der einen Beitrag zur strategischen Ausrichtung des Unternehmens leis­ten kann und soll.

Dass CHROs in Unternehmen an Relevanz gewinnen, lässt sich auch an der Höhe ihrer Vergütung ablesen. So ergab die Untersuchung des Korn Ferry Institute, welche zusätzlich die Löhne von CHROs mit denjenigen ihrer Kollegen in anderen C-Level-Funktionen verglich, Erstaunliches: CHROs verdienen hinter CEOs und COOs am drittmeisten. So gehören nicht etwa die CFOs oder CIOs, wie man annehmen könnte, zu den Bestverdienern. Im Schnitt fällt die Vergütung der CHROs ganze 33 Prozent höher aus als bei CMOs, die in der Lohnskala auf dem untersten Platz rangieren.

Zur Studie

Während der letzten 15 Jahre hat Gastautorin Ellie Filler beobachtet, wie sich die Rolle des klassischen HR drastisch veränderte. Gemeinsam mit Dave Ulrich (siehe Interview Seite 8) analysierte sie nun die Daten aus tausenden von 360°-Assessments von Führungskräften mit C-Level-Funktionen (CEO, CFO, COO, CIO, CHRO und CMO), die Korn Ferry über einen ­Zeitraum von über zehn Jahren durch­geführt hat. In den ­Assessments wurden die Führungskräfte – ­unterteilt in drei Kategorien – auf jeweils 14 spezifische Führungsqualitäten hin ­untersucht. Das Ergebnis ist erstaunlich: Die Fähigkeiten des CHROs stimmen am identischsten mit jenen der CEOs überein. Filler und Ulrich sind der Ansicht, dass CHROs gegenüber CEOs eine Sparringspartner-Rolle einnehmen und Firmen den CHRO vermehrt als potenziellen CEO-Nachfolger in Betracht ziehen sollten. CEOs sollten heute neben technischen Skills auch ausgeprägte Fähigkeiten in Bezug auf ­Talentmanagement, Kultur und Führung mitbringen. Bloss vorzugeben, wer wem zu rapportieren hat, rücke heute in den Hintergrund. Viel wichtiger sei es, ein ­Klima zu schaffen, welches ermöglicht, ­gegenüber den Kunden einen starken Brand und ­gegenüber den Mitarbeitenden eine starke Kultur zu schaffen.

Weitere Informationen: www.kornferryinstitute.com

 

HR-Chefs als CEO-Sparringspartner

Da CHROs ein sehr ähnliches Profil haben wie CEOs und zusätzlich über fundierte Kenntnisse in Bezug auf Führung sowie Kultur, Mitarbeiterentwicklung und Talentmanagement besitzen, sind CEOs gut beraten, den CHRO als Coach und ­Co-Architekten der Unternehmensstrategie heranzuziehen. «Es ist fast unmöglich, nachhaltigen Erfolg zu haben, ohne ­einen herausragenden CHRO an seiner Seite. Der CHRO sollte für den CEO ein Sparringspartner sein. Nicht zuletzt auch deshalb, damit ihm ein Spiegel vorgehalten und gezeigt werden kann, in welchen Bereichen er sich verbessern kann», so Thomas Ebeling, CEO von ProSiebenSat.1 Media AG und ehemaliger CEO von Novartis Pharma. Jill Smart, ehemalige CHRO von Accenture, meint dazu: «Eine nachhaltige, gute Beziehung zwischen CEO und CHRO entwickelt sich über lange Zeit hinweg und beginnt meist, bevor der CEO überhaupt befördert wurde.

Der CHRO sollte dabei in der Zusammenarbeit mit dem CEO jederzeit authentisch und aufrichtig sein – aber in gewissen Fällen dann natürlich auch die Rolle des Advocatus Diaboli übernehmen.» So kann der CEO mit seinem HR-Chef zum Beispiel die Fragen diskutieren: Habe ich den gewünschten Einfluss? Habe ich die richtigen Führungskräfte am richtigen Ort? Fördert die Unternehmenskultur die Produktivität und Energie der Mitarbeitenden? Das sind alles Fragen, die der CHRO in der Regel am besten – und ehrlichsten – beantworten kann.

HR-Chefs als CEO-Nachfolger

Dass sich CHROs und CEOs ähnlich sind und gewisse Verantwortlichkeiten teilen, ist nicht nur die Voraussetzung dafür, dass sich beide auf Augenhöhe begegnen können. CHROs werden so auch zu potenziellen Nachfolgern der CEOs. Wie die Studie zeigt, haben erfolgreiche CHROs heute verschiedene Stärken, die für die CEO-Position unabdingbar sind: So haben sie in der Regel eine gute Selbstwahrnehmung: Sie kennen ihre eigenen Stärken und Schwächen, aber auch die von anderen Personen. CHROs wissen also, auf wen sie zählen können und bei wem sie Vorsicht walten lassen müssen. Sie sind zudem hervorragend darin, andere zu führen. Das ist nicht sonderlich über­raschend, denn schliesslich «menschelt» es in ihrem Berufsalltag besonders häufig – und nicht selten intensiv.

Hat jemand seine ganze Karriere im HR verbracht, wird er es allerdings kaum an die Spitze des Unternehmens schaffen. Es ist essenziell, dass der CHRO auf verschiedenen Abteilungen gearbeitet hat und somit über breite Management-Erfahrung verfügt. Bei global tätigen Unternehmen wie Zurich Insurance, Nestlé, Philip Morris und Deutsche Bank ist es bereits heute so, dass Führungskräfte mit besonders hohem Potenzial Job-Rotationen durchlaufen und so gezielt gefördert werden. Wichtig ist, dass der CHRO Erfahrung in der Umsatz- und Ergebnisverantwortung hat. Selbstverständlich muss der CHRO auch über ausreichend technische und finanzielle Kenntnisse verfügen, wenn er vorhat, CEO zu werden.

Gestern HR-Chef, heute CEO

«Starke CHROs sind Führungskräfte – weil sie die Dynamiken des Marktes verstehen, die wesentlichen Erfolgsfaktoren des Unternehmens kennen, fundiertes Finanzwissen haben und andere mit Empathie sowie Energie überzeugen können», so Jean-Christophe Deslarzes, Executive Vice President des HR bei ABB. Kurzum: Herausragende CHROs verfügen über diejenigen Fertigkeiten, die von künftigen CEOs gefordert werden könnten.

Wagt man einen Blick in die Wirtschaftswelt, findet man verschiedene CEOs, die sich in ihrer früheren Position als CHROs hervorgetan haben: Etwa Mary Barra, CEO von General Motors, die zuvor während 18 Monaten HR-Vizepräsidentin des Automobilkonzerns war. Oder Anne Mulcahy, von 2001 bis 2009 CEO von Xerox, die der HR-Abteilung des Unternehmens in den frühen 1990er-Jahren vorstand.

Provokative These

Dass es sich bei den beiden Beispielen um Frauen handelt, ist gemäss den Ergebnissen der Korn-Ferry-Studie kein Zufall: So sind 42 Prozent aller leistungsstarken CHROs weiblich. Daraus lässt sich die provokative These ableiten: Wenn mehr Unternehmen CHROs als künftige CEOs berücksichtigen würden, könnte sich auch der Anteil weiblicher CEOs erhöhen …

Selbstverständlich gibt es aber auch Beispiele von männlichen CEOs, die sich früher in einer HR-Position verdient gemacht haben. So etwa Bernard Fontana, CEO von Holcim, der zu Beginn seiner Karriere drei Jahre als CHRO bei ArcelorMittal, einem Minen- und Stahlunternehmen mit 320 000 Mitarbeitern, tätig war. «Als CEO muss man die Fähigkeit haben, Leute in ihrer Entwicklung zu unterstützen und die Basis dafür zu schaffen, neue Führungskräfte hervorzubringen. Insofern sollte man insbesondere CHROs berücksichtigen, wenn man sich nach neuen CEOs umsieht. Sie sind genau in diesen Bereichen stark.» Unternehmen sind bei der CEO-Nachfolgeplanung also gut beraten, die CHRO-Rolle in Betracht zu ziehen.

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Ellie Filler ist Senior Client Partner im Zürcher Office von Korn Ferry sowie Managing Partner Human Resources Practice Korn Ferry EMEA. Sie ist darauf spezialisiert, für globale Unternehmen Personalchefs (CHROs) zu rekrutieren.

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