Peter Stämpfli: «Selbst in agilen Organisationen gibt es eine Hierarchie.»
Hierarchie gibt es immer. Wird sie nicht offiziell formuliert, diskutiert und eingeführt, entsteht eine willkürliche Hierarchie. Oft eine, die durch die Stärksten «hinter den Kulissen» eigenmächtig wird. Der Umfang und die Art der Verteilung von Macht bestimmen die Qualität der Hierarchie. Agile Organisationen verteilen Macht auf möglichst alle, klassische Organisationen auf eher wenige.
Doch selbst in agilen Organisationen gibt es eine Hierarchie, da nicht alle Kompetenzen dieselbe Reichweite haben und sie die Handlungen unterschiedlich beeinflussen – nicht alle haben das Recht, die Strategie zu bestimmen. In nach Holacracy geführten Organisationen übergeben die Inhaber, der Verwaltungsrat oder ein Vorstand durch die «Verfassung» ihre Macht an die Mitarbeitenden. Trotzdem bleiben sie, schon aus rechtlichen Gründen, in der Verantwortung, und es bleibt das Machtpotenzial, die «Verfassung» aufzuheben. Dadurch ist eine durch die Entscheidungsmacht begründete Hierarchie im Kern angelegt.
Wenn wir neue, zeitgemässe Organisationsformen einführen wollen, dann geschieht das mit dem Ziel, mündige Menschen im Rahmen ihrer Fähigkeiten und ihrer Rolle möglichst abschliessend entscheiden zu lassen, um die steigende Komplexität kreativer und nachhaltiger zu bewältigen und um zu verhindern, dass die zunehmend einseitige Belastung von Führungskräften zur anhaltenden Überlastung führt. Dabei ist das Menschenbild der hierarchisch obersten Verantwortlichen entscheidend: Will ich Macht abgeben, weil ich an die Fähigkeiten und den guten Willen der Mitarbeitenden glaube, oder behalte ich sie bei mir aus Angst vor Macht- und Bedeutungsverlust?
Wesentlich scheint mir angesichts der steigenden Anforderungen der Märkte und der Mitarbeitenden, dass sich die Organisation «kundenprojekt»- und nicht hierarchiegetrieben aufstellt und entsprechend handelt. Hierarchie muss immer einen organisatorischen Zweck erfüllen und nicht den des einseitigen Machterhalts und des reinen Statusdenkens.
Der Wandel vom klassischen Hierarchiedenken zu einem Einbezug möglichst aller in der Organisation beginnt also bei der Organisationskultur, bei den Werten und beim Menschenbild der Inhaber oder des Verwaltungsrats. Sie bestimmen, welche Funktion die Hierarchie hat und wem sie dient: den «Obersten» oder den Kunden und den Mitarbeitenden? Machtfragen und damit die Hierarchie, die Kompetenzen und Verantwortlichkeiten müssen offengelegt und in der Organisation verhandelbar sein. Dadurch entsteht die Glaubwürdigkeit, die den Zusammenhalt und die Bereitschaft der Mitarbeitenden stärkt, sich für mehr als nur das minimal Notwendige einzusetzen.