Hilfe, es brennt!
Interimsmanager werden allzu oft als «Retter der letzten Sekunde» ins Unternehmen geholt, um das Feuer löschen, wenn die Firma schon in Flammen steht. Dabei wird HR bei der Vergabe von Interimsmanagement-Aufträgen häufig übergangen und vor vollendete Tatsachen gestellt.
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«Interimsmanager kommen zu oft erst dann zum Zug, wenn die eigenen Mitarbeitenden keine ausreichende Erfahrung haben oder zu wenig Kapazitäten für Projekte bereitstehen», erklärt Renato Merz, CEO der Firma Consenec, die Spezialisten ad interim vermittelt. Beispielsweise beim Aufbau eines neuen Geschäftsfelds, bei der Übernahme und beim Verkauf eines Unternehmens oder bei einem kurzfristigen Ausfall einer Führungskraft. Dass das Interimsmanagement weitaus mehr zu bieten hat als blosses Krisenmanagement, betonen auch Paul Hafner, Präsident des Dachverbands der Schweizerischen Interimsmanager (DSIM), und Rolf-Dieter Reineke, Studienleiter des CAS Interim Management an der Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für Wirtschaft.
Aussenstehende haben es leichter
«Befindet sich ein Unternehmen in einer akuten Krise», sagt Rolf-Dieter Reineke, «sind Interimsmanager oft die bessere Wahl als interne Mitarbeitende, um das Unternehmen zu sanieren, neu auszurichten und manchmal auch harte und unpopuläre Entscheide zeitlich begrenzt durchzusetzen.» Ein Aussenstehender habe es eben leichter, das Ruder herumzureissen, ergänzt Paul Hafner. «Als Interimsmanager bin ich neutraler als die Geschäftsleitung und kann einfacher kommunizieren, dass es bei den getroffenen Massnahmen um die Zukunft des Unternehmens geht.» Je kritischer die Firmensituation sei, desto mehr gelte es sich zu fragen, «ob die Situation überhaupt noch zu retten ist». Sei das Haus bereits abgebrannt, «nützt auch das Feuerlöschen nichts mehr», findet Paul Hafner. «Viele Auftraggeber kommen mangels Wissen zu spät zur Entscheidung, einen Interimsmanager zu engagieren.» Etwa, weil sie es als Versagen betrachten, «es nicht aus eigener Kraft geschafft zu haben», oder weil sie glauben, Interimsmanagement sei zu teuer.
Ob Change Management, Ersatz für den Ausfall einer Führungskraft oder Sanierungen: Die hochkarätigen und erfahrenen Temporärkader bringen viel neues Wissen ins Unternehmen und «agieren frei von internen Seilschaften», umschreibt Renato Merz die Vorteile: «Das Unternehmen kauft sich für eine bestimmte Zeit Expertenwissen ein und kann dieses ohne lange Einarbeitungszeit sofort nutzen.» Im Gegensatz zu einem Festangestellten habe der Interimsmanager keine festen Kündigungsfristen, verursache keine Sozialkosten und habe keinen Anspruch auf bezahlte Ferientage. Die Risiken des Interimsmanagements seien für die Auftraggeber somit überschaubar, meinen Paul Hafner und Renato Merz übereinstimmend, den Vertrag könne man ja jederzeit auflösen.
Nicht ganz so schattenfrei sieht hingegen Rolf-Dieter Reineke solche Arbeitsarrangements. So bestehe etwa die Gefahr, dass Entscheidungen, die der Interimsmanager treffe, dessen Nachfolger zu stark binden und diesen gar abschrecken würden: «Ein Interimsmanager, der eine CEO-Position vertritt, kann zwar eine strategische Allianz vorbereiten, aber keine Entscheidung dazu fällen», schliesslich wolle der nachfolgende CEO «nicht bloss Ausführender sein», sagt Reineke. In sensitiven Bereichen wie der Forschungs- und Entwicklungsabteilung, wo es um Patententwicklungen gehe und lange Einarbeitungszeiten anfallen würden, sei zum Schutz des Firmen-Know-hows eher eine interne Lösung anzustreben.
Damit das Interimsmanagement zu einem Happy End führt, «müssen klare Ziele vereinbart werden, die erreichbar und messbar sind», sagt Paul Hafner. Bei der Wahl seiner Mandate höre er aber auch auf sein Bauchgefühl. «Sind die Gespräche im Vorfeld kompliziert, wird das Mandat eher schwierig.» Ebenso unterstreicht Rolf-Dieter Reineke die Wichtigkeit der Zielformulierung. Dabei gehe es nicht nur darum, «einseitig finanzielle Ziele festzulegen», sondern im Sinne einer Balanced Scorecard beispielsweise mitarbeiter- und kundenbezogene Zielkriterien einzubeziehen. Neben der Zielvereinbarung ist für Renato Merz und Paul Hafner entscheidend, dass die Interimsmanager in die Führungsprozesse eingebunden sind und regelmässig über ihre Arbeitsfortschritte rapportieren.
Wie lange ein Einsatz dauere, sei jedoch abhängig von der Aufgabenstellung, sagen die Befragten unisono. Dabei nennt Rolf-Dieter Reineke Einsätze, die weniger als zwei Monate dauern, «Springerfunktion». Solche, die deutlich länger als ein Jahr dauerten, würden hingegen von den Mitarbeitenden nicht mehr als solche wahrgenommen. Dass die Spannweite der Einsatzdauer gross ist, belegen verschiedene Daten: Während über die Hälfte der Interimsmanagement-Aufträge bei Consenec nach einem Monat abgeschlossen werden, zieht sich dieselbe Prozentzahl an Mandatsaufträgen bei den DSIM-Mitgliedern weit über ein Jahr hinaus.
HR bleibt draussen
Obwohl die drei Experten beteuern, dass Interimpositionen nach denselben Prinzipen besetzt werden sollten wie reguläre Stellen, geschieht in Wirklichkeit etwas völlig anderes: Das HR wird bei der Vergabe von Interimsmanagement-Aufträgen häufig übergangen und vor vollendete Tatsachen gestellt. Meist vom CEO persönlich. Gemäss Statistiken des DSIM geschieht dies in der Hälfte der Fälle. Daneben sind es vor allem der Verwaltungsrat, Abteilungs- oder Projektleiter oder das Linienmanagement, die Interimsmanager rekrutieren. Auch bei den Verhandlungen wird das HR häufig nicht beigezogen: Das sei immer öfter Sache des Einkaufs, sagen Renato Merz und Paul Hafner übereinstimmend. Die «normalen» HR-Prozesse einzuhalten, daure einfach zu lange, lautet eine Vermutung. Paul Hafner glaubt, dass das HR das Berufsbild nicht kenne und deshalb oft nicht einschätzen könne, was ein Interimsmanager einem Unternehmen bringe, und nicht verstünde, «dass lange Rekrutierungszeiten Projekte akut gefährden oder die Unternehmensentwicklung beeinträchtigen können». Damit verpasst HR die Chance, die Geschäftsleitung proaktiv auf diese Möglichkeit aufmerksam zu machen.
Eine Entwicklung, die zu denken gibt, denn auf oberster Kaderstufe wird Projektarbeit immer mehr zum Alltag. So zwingt der stärkere Innovations- und Kostendruck Firmen zunehmend dazu, Fachwissen und Managementfähigkeiten effizienter und effektiver einzusetzen. «Durch die Auslagerung von Teilen der Wertschöpfungskette werden immer mehr Dienstleistungen nur noch bei Bedarf nachgefragt und eingekauft», erklärt Renato Merz. «Es rechnet sich aufgrund der ungenügenden Auslastung nicht, die entsprechenden Kapazitäten intern zu halten.» Eine Entwicklung, die das HR im Auge behalten sollte, um bei der Besetzung solcher Stellen nicht ganz ins Aus gedrängt zu werden.