«HR-Leute brauchen Argumente, um die Geschäftsleitung zu überzeugen»
In vielen Sozial- und Pflegeeinrichtungen gehörte Recruiting lange nicht zu den Aufgaben der Personalabteilung, konstatiert Buchautorin Maja Roedenbeck Schäfer. Mit ihrem «Handtaschen-Ratgeber» will sie HR-Fachleuten aus Sozial- und Pflegeeinrichtungen einen schnellen Einblick in Recruiting-Trends und -Lösungen geben.
Frau Schäfer, Sie haben ein Rekrutierungsbuch für Sozial- und Pflegeeinrichtungen geschrieben. Braucht es wirklich noch einen Rekrutierungsratgeber?
Maja Schäfer: In meinen Seminaren und Fachtagungen mit Personalern aus Sozial- und Pflegeeinrichtungen zeigt sich, dass die HR-Verantwortlichen noch viel Unterstützung brauchen, denn in vielen Sozial- und Pflegeeinrichtungen war es bisher nicht die Aufgabe der Personalabteilung, aktiv zu rekrutieren.
Vielmehr waren die dort angestellten HR-Fachleute administrativ tätig, während die Pflegedienstleitung Stellenanzeigen verfasste und sich die Geschäftsleitungsassistenz um die Öffentlichkeitsarbeit kümmerte.
Einige HR-Fachleute im Sozial- und Gesundheitswesen denken zwar fortschrittlich, brauchen aber Argumente, um ihre Geschäftsleitung zu überzeugen. Andere tun sich hingegen besonders mit den digitalen Trends im Recruiting noch schwer. Alle stehen aber vor der Aufgabe, etwas gegen den Fachkräftemangel zu tun, ohne die finanziellen oder personellen Resourcen dafür zu haben.
Mit «Recruiting to go» erhalten alle Involvierten einen schnellen, leicht konsumierbaren Einblick in Recruiting-Trends und Recruitinglösungen, die sofort umsetzbar sind. Das Buch soll als «Handtaschen-Ratgeber» dienen für Personaler, die es immer als Nachschlagewerk dabei haben.
Wodurch unterscheidet sich das Recruiting in Sozial- und Pflegeeinrichtungen von anderen Branchen?
Das Ziel, Bewerbern einen Top-Service zu bieten, ist allen Branchen gemein. Auf dem Weg dorthin hinken die Sozial- und Pflegeeinrichtungen allerdings noch hinterher.
So haben unsere Personaler weniger Hintergrundwissen und nehmen oft eine Abwehrhaltung gegenüber neuen Methoden ein. Ich muss ihre Argumente, weshalb dieses und jenes nicht funktioniert, häufig entkräften. Ein Beispiel dafür: Pflegekräfte seien digital nicht so affin – deshalb brauche man sie nicht per WhatsApp oder Xing anzusprechen.
Diese Logik hinkt total! Auch Fachkräfte anderer Bereiche mussten erst dazu angehalten werden, ein Profil in einem Karrierenetzwerk anzulegen. Das Ganze schaukelt sich gegenseitig hoch. Je mehr Unternehmen in einer Branche in bestimmten Kanälen präsent sind, desto mehr Bewerbende merken, dass es sich lohnt, in diesen Netzwerken ein Profil anzulegen und umgekehrt. Irgendwann ist die kritische Masse an Nutzern erreicht und man trifft aufeinander. Auf Xing und Linkedin sind 2017 erheblich mehr Pflegefachkräfte registriert als noch vor drei Jahren.
Welches sind für Sie weitere wesentliche Recruiting-Irrtümer?
Personaler sind ständig auf der Suche nach neuen «Geheimkanälen», auf denen sich die Bewerber vermeintlich zu Hunderten tummeln. Diese existieren jedoch nicht. Es gibt zwar ständig neue Apps und Plattformen, von denen einige besser und andere schlechter funktionieren. Ohne Bewerberservice helfen diese jedoch auch nicht, Kandidaten zu gewinnen.
Personaler denken zudem häufig, der ganze Video-, Social-Media- und Storytelling-Schnickschnack tauge nur dazu, um Nachwuchs anzusprechen oder Berufserfahrene aus der Kreativ-Branche. Auch Banker, Programmierer oder Führungskräfte sind jedoch Menschen mit Emotionen. Sie reagieren genauso auf ein Foto in einer Stellenanzeige, kommunizieren über WhatsApp oder schauen sich einen Employer-Branding-Film an.
«Ohne vollständigen Bewerbungsunterlagen fange ich gar nicht erst an, die Bewerbungen zu bearbeiten» ist ein ebensolcher Quatsch. Ein guter Recruiter braucht zunächst nicht viel mehr als die Kontaktdaten sowie eine Interessensbekundung, um aus einem Kandidaten einen neuen Mitarbeiter zu machen.
Welche Recruiting-Trends sehen Sie in der Pflege?
Das Recruiting in der der Pflege bewegt sich in dieselbe Richtung wie in anderen, bisher leider nur langsamer.
Aktuelle Trends sind sicherlich mobile Messaging, zum Beispiel eine Berufsberatung über WhatsApp. Herkömmliche Methoden wie «Mitarbeiter werben Mitarbeiter» werden mit Tools wie Talentry digitalisiert.
Big Data im Recruiting ist ein weiteres Stichwort: Wir müssen wegkommen von der Personalgewinnung nach Bauchgefühl. Alles muss in einem kürzeren Zeitraum geschehen - kurze, auf den Punkt gebrachte Mini-Stellenanzeigen wie bei Truffls, schnelle Entscheidungen und Vertragsabschlüsse im Bewerbungsprozess sowie eine perfektionierte Schnittstelle zwischen Recruiting und Onboarding.
An wen richtet sich Ihr Buch?
Das Thema Recruiting betrifft nicht nur die Personalabteilung, sondern die gesamte Mitarbeiterschaft auf allen Hierarchieebenen. Auch sie sollten verstehen, dass sie in Zeiten des Fachkräftemangels mithelfen müssen, um das Unternehmen zukunftsfähig zu machen: Der Assistent, der auf telefonische Bewerberanfragen freundlich und mit maximaler Hilfsbereitschaft reagiert, die Fachkräfte, die in ihrem Freundeskreis um Mitarbeitende werben oder der Personalsachbearbeiter, der sich mit seiner neuen Rolle als Recruiter oder gar Headhunter anfreunden muss.
Die Geschäftsleitung muss dabei ermöglichen, eingefahrene Prozesse aufzubrechen und auch fürs Recruiting einen Etat bereit zu stellen. Insofern richtet sich mein Buch an eine breite Zielgruppe. Vor allem aber natürlich an Personalleiter, Geschäftsführer und Recruiter im Sozial- und Gesundheitswesen.
Was ist Ihre Botschaft ans HR?
Nicht diskutieren, einfach machen! Es gibt auch in unserer Branche Einrichtungen, die keine oder zumindest viel weniger Personalsorgen haben. Das liegt an einzelnen Personen wie den HR-Verantwortlichen, Geschäftsführern oder Pflegedienstleitern, die sich engagieren und den Mut haben, etwas Neues zu machen.
Leider gibt es noch wenige davon. Allzu oft höre ich den Satz «Das klingt spannend, was sie da erzählen, aber bei uns geht das nicht». Wenn ich dann aber fünf bis zehn Einrichtungen zusammentrommle und eine begleitete Pilotphase mit Kanälen wie «mobilejob.com», «Talentry» oder «Talentwunder» organisiere, haben alle Spass daran und es geht doch!
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