Potenzialanalyse

HR-Verantwortliche über Anwendung und Nutzen von Potenzialanalysen

Unternehmen haben viele Möglichkeiten, die Potenziale von Mitarbeitern zu messen: Assessment Center, onlinebasierte Analysetools oder strukturierte Interviews sind nur einige davon. Sechs Unternehmen liessen sich von HR Today in 
die Karten schauen und gaben Auskunft, wie sie Potenzialanalysen in der Praxis anwenden und was sie ihnen bringen.

Potenzialanalysen – ein Begriff, von dem jede Firma ein eigenes Verständnis hat. So zumindest der Eindruck, der zu Beginn dieser Umfrage entstanden ist. Einige der angefragten HR-Verantwortlichen versicherten sich zuerst, was mit dem Begriff gemeint sei, andere lehnten eine Teilnahme an der Umfrage ab. Die Begründung war oft: Wir sind erst im Anfangsstadium bei diesem Thema, am Aufbau, aber sicher werden Potenzialanalysen zukünftig eine grössere Rolle spielen. Kleinere Firmen gaben auch unumwunden zu: Wir machen das nicht.

Sechs Firmen haben sich bereit erklärt, über ihre Methoden, Anwendungsbereiche und ihren Nutzen von Potenzialanalysen Auskunft zu geben. Sie alle haben auf folgende Fragen geantwortet:

  • 
Bei wem und zu welchem Zweck werden Potenzialanalysen eingesetzt?
  • 
Welche Methoden nutzen Sie?
  • 
Wer führt die Analysen durch?
  • 
Sind diese Analysen ein gängiges Mittel oder werden sie nur sporadisch in besonderen Situationen verwendet?
  • 
Sind Sie mit den Resultaten zufrieden?
  • 
Für wie messbar halten Sie Entwicklungspotenziale grundsätzlich?

Geberit: Assessment als begleitende Massnahme

«Wir setzen Potenzialanalysen vorwiegend in der Kaderrekrutierung und im Entwicklungsprozess ein», erklärt Roland Held, Head Corporate HR bei Geberit. Der europäische Marktführer in der Sanitärtechnik beschäftigt international rund 5700 Mitarbeitende. Gemäss Roland Held sollte eine gute Führungskraft sowohl bei der Rekrutierung als auch bei der Führung von Mitarbeitenden in der Lage sein, deren Persönlichkeit, bisherige Leistung und ihr Potenzial zu beurteilen. Um die Qualität der Resultate zu verifizieren, will Geberit auf Assessments nicht ganz verzichten. So werden diese mit Unterstützung eines externen Partners bei der Rekrutierung punktuell eingesetzt. Im Talent-Management-Prozess, welcher bei Geberit «Potentials Management» genannt wird und auf einem eigenen Kompetenzmodell basiert, werden Potenzialanalysen in Form von Assessments ab mittlerer Führungsebene immer angewendet. Sie sind Teil eines Gesamtprozesses, den alle Kandidaten durchlaufen müssen, die in das Förderprogramm aufgenommen werden möchten. Den Assessments vorgelagert sind Gespräche zwischen einer Führungskraft auf Topniveau, jemandem aus dem HR und der betreffenden Person. Bei all diesen Prozessen, auch bei den externen eintägigen Assessments, trägt HR die Gesamtverantwortung.

Die Resultate aus den Gesprächen und Assessments werden den betreffenden Personen in Feedbackgesprächen dargelegt und summarisch auch an die Führungskraft weitergegeben.

«Assessments haben eine grosse Aussagekraft», weiss Held aus Erfahrung. «Sie können einen Menschen sehr gut erfassen. Oft bestätigen sie, was man vorher schon wusste, weil man die Mitarbeitenden ja bereits kennt. Aber der Eindruck wird verfeinert bzw. vertieft und kann mit Argumenten untermauert werden. Die Resultate eines Assessments stimmen sehr gut mit dem überein, wie sich die Person im Alltag verhält. Ich halte Assessments für gute, zukunftsgerichtete Analysen.»  Computergestützte Tools zur Persönlichkeitsanalyse hingegen würden zwar eher einen Ist-Zustand vermitteln, aber dafür mit erstaunlicher Präzision. Geberit nutzt solche PC-Tools daher auch als Basis für Teamentwicklungen und für dass Potentials Management auf unterer Führungsebene.

Für den HR-Leiter sind all diese Potenzialanalysen zwar aussagekräftige, aber nur begleitende Massnahmen. «Eine gute Führungskraft kann über die eigenen Mitarbeitenden mehr aussagen als jedes Tool», ist Roland Held überzeugt. «Es ist eine unserer Hauptaufgaben, unsere Führungskräfte unter anderem zu befähigen, die eigenen Wahrnehmungen und Erlebnisse in Form von wertvollem Feedback an die Mitarbeitenden weiterzugeben. Wenn wir uns diesbezüglich dauernd verbessern, gewinnen alle, die Organisation als Ganzes und die einzelnen Mitarbeitenden», sagt Held.

Sony Overseas SA: Flächendeckendes Diagnosesystem

Bei Rekrutierungen, Teamanalysen, Teamentwicklungsprozessen oder Standortbestimmungen von Mitarbeitenden werden bei Sony Overseas SA immer häufiger Potenzialanalysen eingesetzt. Gemäss Diana Risola, Head of Human Resources von Sony und somit verantwortlich für rund 130 Mitarbeitende, seien diese Analysen aber nicht institutionalisiert. Im Sinne eines Teambildungsaspekts sollten aber alle Mitarbeitenden nach Ablauf der Probezeit die Insights MDI ® Analyse absolvieren. Insights MDI ® ist ein Diagnosesystem, das sowohl Verhaltenspräferenzen als auch Wertesysteme erfassen kann. Diese beiden Auswertungen geben einen umfassenden Einblick in die Persönlichkeit der Mitarbeitenden. Die prägnantesten Vorteile von Insights MDI ® im Vergleich mit anderen Tools sieht Diana Risola in erster Linie in der Auswertung und Kommunikation. «Für die Mitarbeitenden ist es durch die einfache Struktur und die visuell aufbereiteten Daten gut fassbar», meint Diana Risola und fügt an, dass aus diesen Gründen das Instrument bei Sony Overseas SA flächendeckend eingesetzt wird. «Es hilft den Leuten, sich selber besser kennen zu lernen und zu erkennen, wo ein allfälliger Entwicklungsbedarf besteht.»

Im Anschluss an die onlinebasierte Analyse, findet jeweils ein Coachinggespräch statt, bei dem die Resultate kommuniziert werden. Bei diesen Gesprächen werden die verbesserungsfähigen Bereiche aufgedeckt, Verhaltensmuster in Drucksituationen sowie Motivationsfaktoren gemeinsam diskutiert. Partizipativ wird anschliessend ein Aktionsplan festgelegt, wie die Zielerreichung erfolgen soll. Bei den Feedbackgesprächen sind neben dem Mitarbeitenden jeweils die entsprechenden Vorgesetzten anwesend, wobei die Führung von der HR-Leiterin persönlich übernommen wird. Da Sony Overseas SA grossen Wert auf eine offene Firmenkultur legt, wird gewünscht, dass die Resultate – oder mindestens die für die Zusammenarbeit relevanten Punkte – innerhalb des Teams aufgezeigt werden. Selbstverständlich wird die Entscheidung für eine solche Offenlegung dem Mitarbeitenden selber überlassen. Anzumerken sei, so Risola, dass mit der gelebten Offenheit 
einerseits die Kommunikation eines Teams unterstützt, anderseits das gegenseitige Verständnis unter den Teammitgliedern ver
stärkt wird.

Dem Nutzen von Potenzialanalysetests steht Diana Risola positiv kritisch gegenüber: «Da die meisten Tools auf einer Selbsteinschätzung des Mitarbeitenden beruhen, kann das Resultat nur so treffend sein, wie ehrlich der Mitarbeitende die Fragen beantwortet hat. Aus meiner Sicht ist daher ein Auswertungsgespräch absolut notwenig.» Eine offene Firmenkultur unterstützt die Reliabilität solcher Systeme.

Schindler: Ausgeklügeltes System

Bei der Schindler Aufzüge AG mit rund 2700 Mitarbeitenden werden Potenzialanalysen bei der internen wie externen Führungskräfteauswahl, der Nachfolgeplanung und der Personalentwicklung durchgeführt. Die Methoden richten sich nach dem Zweck und werden von unterschiedlichen Leuten begleitet: Als Ausgangspunkt für persönliche Entwicklungspläne ihrer Mitarbeitenden führen Vorgesetzte, Geschäftsleitungsmitglieder und auch der CEO regelmässig Potenzialeinschätzungen durch. Geht es um die Auswahl geeigneter Nachwuchskräfte für die Besetzung interner Stellen oder um eine Laufbahnberatung, werden sporadisch strukturierte Potenzialinterviews und Development Center eingesetzt. Hingegen wird immer und zwingend ein Assessment durchgeführt bei der Rekrutierung von Direktionsmitgliedern oder bei der Auswahl der Teilnehmenden am Schindler Career Development Program. Die strukturierten Potenzialinterviews und die diagnostischen Verfahren führen HR-Verantwortliche durch, bei Assessment und Development Center hingegen werden externe Berater hinzugezogen.

Auch der Lehrgang «Aufwärts bitte» für zukünftige Führungskräfte zähle zu den Methoden der Potenzialanalyse: «Aufgenommen wird erstens nur, wer durch die Potenzialeinschätzung durch mehrere Vorgesetzte positiven Bescheid erhält», erklärt Dominique Widmer, Personalentwicklerin bei Schindler. «Zweitens müssen die Teilnehmenden während der Weiterbildung den Persönlichkeitsfragebogen ‹Shapes› ausfüllen. Mit der Abschlussprüfung belegen sie, dass sie die notwendigen Selbst-, Sozial-, Methoden-, Fach- und Führungskompetenzen erlernt haben.» In dem Sinne diene der Lehrgang als Ganzes sowohl als Potenzialanalyse als auch als systematische Vorbereitung auf die neue Aufgabe als Führungskraft.

«Potenzialeinschätzungen durch mehrere Vorgesetzte haben sich bei Schindler sehr gut bewährt», sagt Dominique Widmer. «Ebenso haben Assessment Center bei Bewerber-Auswahlverfahren eine hohe Prognosekraft bewiesen.» Was den Einbezug von arbeitsbezogenen Persönlichkeitstests angeht, ist die Personalentwicklerin überzeugt, dass diese erst in einer fortgeschrittenen Phase der Personalauswahl eingesetzt werden sollten, «da sie den persönlichen Eindruck nicht ersetzen». Generell ist Widmer gegenüber der Messbarkeit von Entwicklungspotenzialen kritisch eingestellt: «Zukunftsorientierte Potenzialaussagen sind Wahrscheinlichkeitsaussagen. Sie gelten nur unter dem Vorbehalt einer angenommenen Kontinuität der individuellen Weiterentwicklung. Die Prognose hat somit nur eine eingeschränkte Gültigkeit.»

Emmi: In der Praxis liegt die wirkliche Messbarkeit

Der Milchverarbeitungskonzern Emmi mit seinen rund 3100 Mitarbeitenden setzt Potenzialanalysen als Selektionsinstrument für Fachspezialisten und Kader sowie als Grundlage für gezielte Kaderentwicklung ein, vereinzelt auch in Teamentwicklungsphasen. Bei der Auswahl von internen Kandidaten für 
Kaderstellen werden Assessment Center genutzt, die von externen Partnern geleitet werden. Geht es um die Nachfolgeplanung oder um die Auswahl von Nachwuchskräften, nutzt Emmi einerseits das bestehende 
Personalbeurteilungsinstrument (Standortbestimmungsgespräch), andererseits werden strukturierte Interviews mit dem oberen Kader bezüglich Potenzial seiner Führungskräfte durchgeführt. Hier werden  vereinzelt auch Persönlichkeitsprofile verwendet. Bei diesen internen Analysen tragen die Linienverantwortlichen des oberen Kaders die Verantwortung, unterstützt und begleitet durch die HR-Leitung. Die Resultate der verschiedenen Potenzialanalysen dienen einer gezielten Personalentwicklung, sei es mit internen oder externen Förderungs- und Ausbildungsprogrammen.

«Wir sehen solche Testauswertungen als Gesprächsgrundlage», sagt Natalie Rüedi Pfenniger, Leiterin Personalentwicklung Emmi. Die Einstufung bezüglich Entwicklungspotenzial solle aber nicht als alleinige Wahrheit betrachtet werden, zumal sie immer nur eine Momentaufnahme darstelle. «Für uns ist entscheidend, dass über Entwicklung gesprochen wird und entsprechende Massnahmen in Zusammenarbeit mit allen erforderlichen Stellen aufgegleist und durchgeführt werden», sagt die Leiterin Personalentwicklung. Tests könnten einen bestehenden Eindruck verifizieren oder ergänzen. «Die wirkliche Messbarkeit von Entwicklungspotenzialen liegt jedoch hauptsächlich im Beobachten der täglichen Arbeitsleistung, wenn man sieht, wie jemand Aufgaben anpackt, Dinge dazulernt, Neues umsetzt.»

KPMG: Systematik mit Tools

KPMG, ein Netzwerk von Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften mit über 1600 Mitarbeitenden in der Schweiz, nutzt für die Rekrutierung auf Stufe Direktor und Partner ein externes, eintägiges Assessment Center als Auswahlverfahren. «Dieses Assessment Center dient neben der unmittelbaren Eignungsabklärung auch zur Potenzialanalyse der Kandidaten», erläutert Armin Haas, Partner und Leiter HR von KPMG. Auf Stufe Manager und später auf Stufe Senior Manager setzt KPMG ein Development Center ein. «Das ist ein relativ aufwändiges, zweieinhalbtägiges Verfahren, bei dem vier Beobachter und drei Kundenvertreter das Potenzial von zwölf Nachwuchskräften abklären. Diese Abklärung gilt dem nichtfachlichen Bereich.» Während solche Development Center intern, vom HR Learning & Development, durchgeführt werden, arbeitet KPMG bei den Assessment Centern mit zwei professionellen externen Unternehmen zusammen, einem in Zürich für Deutsch und Englisch und einem in Lausanne für Assessment Center in französischer Sprache. Drittens, betont Armin Haas, sollte jedes Zielerreichungs- und Zielvereinbarungsgespräch im Rahmen des KPMG-Performance 
Management-Tools «Dialogue» als Potenzialeinschätzung genutzt werden. Die Resultate aller Abklärungen fliessen in so genannte «Personal Development Plans» ein.

KPMG führt Assessment Center und Development Center sowie Mitarbeiterbeurteilungssysteme zur Potenzialanalyse systematisch und konsequent seit zehn Jahren durch. Sie seien mit den Resultaten der eingesetzten Instrumente zufrieden, sagt der HR-Leiter. «In der Regel werden unsere Einschätzungen in der Praxis bestätigt.» Dennoch findet Haas eine streng quantitative Messung des menschlichen Potenzials schwierig. «Qualitative, verlässliche Aussagen lassen sich aber machen, vorausgesetzt, die durchgeführten Assessment Center und Development Center basieren auf methodisch sauberen Grundlagen und Hilfsmitteln.» Armin Haas ist überzeugt, dass die von ihnen eingesetzten Methoden eine Person recht realitätsnah erfassen können, selbst wenn immer eine gewisse «Verzerrung durch den Laboreffekt» da sei. «Es braucht daher immer mehrere Tools sowie Gespräche und eine gesunde Portion Menschenkenntnis.»

Globus: Vertrauen in Grafologie

Globus, ein Warenhaus mit rund 2700 Mitarbeitenden, setzt Potenzialanalysen regelmässig ein, um Kader zu rekrutieren und Teilnehmende herauszufiltern, die sich für das Kadernachwuchsprogramm eignen. Dabei werden vier verschiedene Verfahren angewendet: Assessments, das DISG-Persönlichkeitsprofil und der 16-Persönlichkeits-Faktoren-Test (16PF) in Verbindung mit einem grafologischen Gutachten. «Grafologie wird zwar bei vielen Unternehmen nicht mehr 
genutzt. Aber wir sehen immer wieder, wie sehr sich die Leute in den grafologischen Gutachten wiedererkennen, und wir bekommen die Resultate später bei der täglichen Arbeit bestätigt», sagt Birgit Meier-Hobmeier, Leiterin HR bei Globus. «Wir arbeiten seit zehn Jahren mit demselben Grafologen zusammen und seine Gutachten treffen zu 90 Prozent zu, deshalb führen wir auch diese nicht mehr so ganz angesehenen Analysen weiter.»

Die Potenzialanalysen lässt Globus durch externe Spezialisten und zertifizierte DISG-Coachs machen. Die Resultate aus den Analysen werden den Kandidaten kommuniziert und im Nachwuchsprogramm werden die verbesserungsfähigen Bereiche zusammen mit dem Vorgesetzten immer wieder diskutiert und Massnahmen festgelegt. Die HR-Leiterin ist zwar überzeugt, dass mit den richtigen Instrumenten erstaunlich gute Resultate ermittelt und Ansatzpunkte für die Weiterentwicklung aufgezeigt werden können. «Wir sind aber zurzeit noch auf der Suche nach einem zusätzlichen, einfacheren Instrument, das noch breiter eingesetzt werden kann.» Dabei kritisiert sie vor allem den zeitlichen und finanziellen Aufwand, den die Assessments verursachen. «Wir sind in einer Umstrukturierungsphase und dabei kommen etliche Leute in Kaderpositionen. Sie alle müssen aber zuerst ein Assessment durchlaufen. Das dauert einfach zu lange und deshalb hätten wir gerne ein zusätzliches Instrument, das in einer grafischen Darstellung verschiedene Potenziale aufzeigen kann.»

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