Im Gespräch

«Ich bin nicht Gott»

Marshall Goldsmith gehört zu den bekanntesten Executive Coaches der Welt. Nach über 30 Jahren im Coaching-Geschäft ist der bekennende Buddhist und Zögling von Peter Drucker zu einer Art «Business-Guru» avanciert. Am Rande eines Workshops fand er Zeit für ein Gespräch über beratungsresistente CEOs, das Gift destruktiver ­Kommentare, Employee Engagement und Weisheiten, die er nur mit Frauen teilt.

Wie fühlt es sich an, als Coaching«Guru» zu gelten?

Marshall Goldsmith: Ich liebe mein Leben. Ich denke nicht so viel darüber nach, ein Guru zu sein. Ich mache diese Arbeit inzwischen seit über 30 Jahren, schon bevor man das «Coaching» nannte. Mein Job ist es, Leuten zu helfen, besser zu werden. Rund die Hälfte aller Coachings mache ich übrigens kostenlos. Etwa für den Präsidenten der Weltbank, das Rote Kreuz oder die Pfadfinderinnen-Vereinigung. Das Nette daran ist, dass ich so die Chance erhalte, mit sehr speziellen und wichtigen Leuten zu arbeiten. So habe ich das Gefühl, einen sinnvollen Beitrag leisten zu können.

Sie haben in Ihrem Workshop Peter Drucker erwähnt, den Sie persönlich kennenlernen durften. Was waren die grössten Lektionen, die Sie von Drucker mitgenommen haben.

Eine Lektion war, dass wir zu viel Zeit damit verwenden, Führungskräften zu sagen, was sie zu tun haben, anstatt genug Zeit dafür zu investieren, sie zu lehren, womit sie aufhören sollen. Die zweite Lektion betrifft Macht. Jede Entscheidung im Leben wird von einer Person gefällt, die die Macht hat, eine Entscheidung zu treffen. Das muss nicht die beste, gescheiteste oder die richtige Person sein. Unsere Mission im Leben sollte es sein, einen positiven Unterschied herzustellen. Wir verlieren so viel Zeit damit, zu beweisen, wie smart wir sind und wie sehr wir Recht haben. Die meisten von uns kapieren das nie. Das habe ich von Peter Drucker gelernt. Er gab mir wundervolle Instrumente auf den Weg, wie man Entscheidungsträger beeinflussen und wie man mit Entscheidungen umgehen kann.

Zur Person

Dr. Marshall Goldsmith wurde 2011 von der Management-Rating-Plattform «Thinkers50» zur weltweiten Nummer 1 der einflussreichsten Leadership-Denker gewählt. Als Executive Coach hat er über 150 international tätige CEOs beraten. Zudem ist er Dozent für Leadership an der Tuck Business School (Dartmouth), Gastdozent in Harvard und ein brillanter Redner, wie er unlängst an einem ZfU-Workshop in Zürich unter Beweis stellte.

Was würden Sie HR Professionals empfehlen, wenn sie mit beratungsresistenten Leuten zu tun haben, die Coachings chronisch ablehnen?

Ich würde die Leute nie zwingen, in ein Coaching einzuwilli­gen. HR-Leute müssen lernen, den Linien-Vorgesetzten dabei zu helfen, bessere Entscheidungen zu treffen. Wenn Sie denen sagen, Sie hätten da jemanden, der dazu beitragen könne, für die Firma einen positiven Unterschied herzustellen, dann wird die Antwort immer «ja» lauten.

Und wenn der CEO selbst ein Coaching bräuchte?

Das ist einfach. Der Chef hat die Macht, die Entscheidung zu fällen. Er ist quasi Kunde. Der HR-Verantwortliche ist gegenüber dem CEO auch eine Verkaufsperson. Der Boss muss nicht kaufen, was ihm das HR verkaufen will. Insofern müssen Sie als HR-Person wie jede andere gute Verkaufskraft die Bedürfnisse erkennen, ein passen­des Verkaufspaket schnüren und verkaufen, was sie verkaufen können. Ich werde oft gefragt, wie man jemanden beeinflussen kann, wenn man keine Macht hat. Die Definition von Macht ist ­Beeinflussungspotenzial. Die Frage lautet, wie man jemanden mit Beeinflussungspotenzial beeinflussen kann, wenn man selber kein Beeinflussungspotenzial hat. Manchmal geht das halt nicht. Sehen Sie, ich bin nicht Gott. Wenn Sie einen CEO haben, den das nicht interessiert, was wollen Sie dann tun? Soll ich ihm ein Zauber­pulver verabreichen, damit er anfängt, sich um die Probleme zu kümmern?

Wie lautet Ihre Antwort?

Arbeiten Sie für eine andere Firma! Nicht sofort. Aber machen Sie sich nicht selbst zum Opfer, also klagen Sie nicht, für welch schrecklichen Chef Sie arbeiten müssen: «Wie schrecklich, wein, wein, wein!» Das ist pathetisch! Wenn Sie das Geld wollen, nehmen Sie den Check und tun Sie Ihr Bestes! Aber beschweren Sie sich nicht und weinen Sie nicht!

Nicht jede Firma kann sich einen Coach von Ihrem Format leisten. Was raten Sie HR-Leuten, damit sie unter den Abertausenden von Coaches den Richtigen finden?

Erstens: Erklären Sie dem Coach nie das Problem und was Sie von ihm brauchen! Das wäre ein grosser Fehler. Wenn Sie einem Coach sagen, Sie bräuchten Hilfe bei der Ausgestaltung der Strategie, wird er Ihnen sagen: «Ja, das kann ich.» Fragen Sie den Coach, was er am besten kann. Wenn der Coach auf diese Frage nicht genau das antwortet, was Sie brauchen, dann heuern Sie ihn nicht an! Sie können den Coach auch nach seinen Kunden fragen. Ich mache kein Geheimnis aus meinen Kunden. Ich erwähne ihre Namen in meinen Büchern. Sie können alle meine Coaching-Kunden anrufen und sie werden gerne mit Ihnen sprechen. Meine Kunden schämen sich nicht, einen Coach zu haben. Wenn Leute sagen, ein Coach sei ein Zeichen von Schwäche, finde ich das ziemlich merkwürdig.

Stichwort «destruktive Kommentare»: Sie haben diesem Thema in Ihrem Workshop einige Minuten gewidmet. Sie sagen, destruktive Kommentare hätten in einer Organisation einen ungeheuren Energieverlust zur Folge. Was kann HR unternehmen, um eine Kultur zu etablieren, die frei von destruktiven Kommentaren funktioniert?

Zuerst einmal ist es enorm wichtig, dass HR-Exponenten selbst keine destruktiven und ab­fälligen Kommentare machen. Das ist eine sehr schlechte Angewohnheit. Für die Menschen ist es schrecklich, wenn HR-Leute das tun. HR-Menschen sind vielen vertraulichen Informationen ausgesetzt und sie haben mit wichtigen Personal­entscheiden zu tun. Destruktive Kommentare wirken wie Gift. Es gibt Geschäftsleitungen, die ich nur berate, wenn sich alle verpflichten, keine des­truktiven Kommentare fallen zu lassen. Dabei gilt übrigens Nulltoleranz. Nach drei bis vier Wochen haben Sie keine Probleme mehr. Dann sind solche Grundsätze verankert. Vielleicht mussten zwei Leute gehen. Aber nur wenn Konsequenzen sichtbar werden, ist ein solcher Kulturwandel möglich.

Sie planen, ein Buch zum Trendthema Employee Engagement. Können Sie mehr dazu verraten?

Es geht darum, die Angestellten darin zu trainieren, sich selbst zu engagieren. Alles was ich tue, besteht darin, ihnen zu sagen, sich darauf zu fokussieren, das Beste für sich selbst zu tun und nicht auf irgendein Firmenprogramm zu warten, welches sie engagieren und motivieren soll.

Sie haben vor der Mittagspause die Frauen der Seminarrunde zusammengerufen und die Männer in die Pause entlassen. Ich will ja nicht neugierig sein, aber können Sie uns vielleicht verraten, was für ein Geheimnis Sie mit den Frauen geteilt haben?

Die zehnminütigen Teilworkshops, die ich nur mit den Frauen einer Gruppe durchführe, werden immer populärer. Vielleicht weil diese die Teilnehmerinnen darauf fokussieren, sich glücklicher und weniger schuldig zu fühlen und sich damit zu versöhnen, was ist. Alles, was das Leben ausmacht, ist das Resultat unzähliger ­Taten unzähliger Vorfahren. Also fordere ich die Frauen auf, an all diese Vorfahren zu denken und an all die Geschenke, die sie von ihnen in ihrem Leben erhalten haben. Wenn man die Leute dann fragt, was sie diesen Menschen ­sagen möchten, dann lautet die Antwort: «­Danke.»

Und weiter?

Dann frage ich sie: Sind all diese Menschen perfekt? – Nein! Machen sie auch Fehler? – Sicher! Und wer ist die erste Person, der wir zu vergeben haben? - Uns selbst! – Danach fordere ich die Mütter in der Runde auf – und das habe ich rund um die Welt schon mit Tausenden von Müttern getan – «Gebt mir ein Wort für das, was ihr eurem Kind wünscht.» – Dann wird, egal in welchem Land auf dieser Welt Sie auch sind, immer und überall ein Wort mit Abstand am häufigsten genannt: «Glück.» (Pause) Alle wollen die Leute, die sie lieben, glücklich sehen. Wollen Sie die Leute, die Ihr Wort respektieren sollen, glücklich sehen? Dann gehen Sie voran! Seien Sie glücklich!

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Ehemaliger Chefredaktor HR Today.

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