Reorganisation

«Ich kam mir nach der Entlassung 
wie eine absolut wertlose Person vor»

Wer die Rolle desjenigen spielt, der das Thema der Entlassung ansprechen muss, ist für das Thema an sich nicht 
verantwortlich. Wohl aber dafür, wie er es anspricht. Und er sollte seine Kompetenz nach und nach steigern. Fairness lässt sich trainieren. Dieses Resümee entspringt einer ganz persönlichen Geschichte mit traumatischen Auswirkungen.

Wer seinen Job verliert, erlebt ein Trauma. Ist es dabei nicht egal, wie das Entlassungsgespräch verläuft? Ich habe eine andere Erfahrung gemacht. Nach einem sehr unerfreulichen Gespräch mit zwei Chefredakteuren einer Münchner Zeitung wurde mir 1993 mein Arbeitsvertrag relativ überraschend ein paar Tage später schriftlich gekündigt. Die Begründung war nebelhaft. Sie konnte so oder so gedeutet werden. Eines aber stand für mich fest: Der wahre Grund war darin nicht enthalten. Doch worin bestand er? Etwa zehn Jahre lang tappte ich im Dunkeln. Dann erfuhr ich, dass meine Kündigung lediglich Teil eines umfassenderen Konzepts der «Verschlankung» gewesen war und es mich nur deshalb getroffen hatte, weil ich zu einer der «entbehrlichen» Mitarbeitergruppen gehört hatte.

Zerbrochenes Selbstbewusstsein raubt die Energie für den Neuanfang

Erst später wurde mir deutlich, in wie starkem Masse mich diese Verschleierung der wahren Umstände geschädigt und gelähmt hat. Denn ich war nicht nur verletzt. Mein Selbstbewusstsein war zerbrochen. Ohne es richtig zu bemerken, traute ich mir keine neue Bewerbung mehr zu. Ich arbeitete in meinem Metier als Journalist weiter, schrieb Bücher und war zum Teil recht erfolgreich. Aber mir fehlte der Biss, um mit der nötigen Energie und Zielstrebigkeit einen neuen Anlauf zu riskieren. Ich war orientierungslos. Und mir fehlte die Lebensfreude, die es braucht, um positive Resonanz auszulösen.

Die moderne Hirnforschung hat mit ihren bildgebenden Verfahren den Schmerz, den eine Entlassung auslöst, sichtbar gemacht. Es ist tatsächlich das Schmerzzentrum, das stimuliert wird. Es reagiert eben nicht nur auf körperliche Wunden und Beschwerden, sondern auch auf Phänomene, wie soziale Isolation und Ausgrenzung. Und Psychologen haben herausgefunden, dass länger andauernde Arbeitslosigkeit das Schmerzzentrum nie wieder ganz zur Ruhe kommen lässt. Schwere Krankheiten, der Verlust naher Angehöriger oder Scheidungen können eines Tages unter glücklichen Umständen emotional spurlos verschwinden, Arbeitslosigkeit angeblich nie. Vor allem dieses Trauma soll bei Menschen haften bleiben.

Die Entlassung an sich stellt schon ein Unglück dar. Wird sie noch miserabel kommuniziert, ist das Desaster komplett. Ich kam mir wie eine absolut wertlose Person vor. Entsprechend habe ich mich verhalten. Deswegen sollte sich jeder, der Entlassungen fair kommunizieren will, darum bemühen, in der schwierigen Situation nicht auch noch das Selbstwertgefühl der Betroffenen zu zerstören. Ethisch ausgedrückt: Die Würde des Menschen sollte nicht angetastet werden. Ein Mensch, der seine Würde bewahrt, behält seine Kompetenz und wird Probleme im privaten Bereich und auf dem Arbeitsmarkt besser lösen.

Das klingt einfach, aber in der Praxis ist der Weg zur fairen Kommunikationen mit Hindernissen übersät. Eines der höchsten Hindernisse besteht in der schlichten Tatsache, dass jeder, der Entlassungen aussprechen muss, bewusst oder unbewusst Angst vor der eigenen Entlassung hat. Er sagt: «Kopf hoch», möchte aber eigentlich davonlaufen. Möglicherweise versucht er, durch Arroganz seine Überforderung zu überspielen. Stellen Sie sich einen Arzt vor, der keinen schwer kranken Patienten aushält. Den 
würde man auch sonst nicht für sehr kompetent halten. Man möchte, dass der Arzt, wenn er mit seiner Kunst am Ende ist, seinen Patienten wenigstens «versteht». Es gehört zu den Geheimnissen der Menschenführung, dass man auch sehr unangenehme Entscheidungen oder Tatsachen vermitteln kann, wenn sich die Betroffenen «verstanden» fühlen. Ich benutze die Anführungszeichen, um deutlich zu machen, dass das Verstehen nicht nur logisch gemeint ist. Es besteht auch darin, sich in die Gefühle des anderen hinein versetzen zu können. Dabei muss man auch die 
eigene Angst aushalten.

Wenn von Fairness, Würde und Angst die Rede ist, türmen sich Probleme auf. Kann man die im Alltag überhaupt bewältigen? Hat man dafür die nötigen Ressourcen und die Zeit? Die Praxis zeigt, dass schon einfache Regeln die Kommunikation enorm verbessern. So sind führende Unternehmen dazu übergegangen, grundsätzlich keine Entlassungen vor Wochenenden oder Feiertagen auszusprechen. Dazu kommen andere Grundsätze wie die Beachtung von Altersgrenzen oder die Knüpfung von Auffangnetzen. Diese Massnahmen mögen in ihrer faktischen Wirkung unterschiedlich sein. Einen positiven Effekt haben sie aber ganz sicher: Sie geben das Signal, dass sich ein Unternehmen um die Wahrung der Würde der Mitarbeitenden bemüht. Fehlt 
ein solches Signal, verschwindet die Loyalität auch bei 
den «Überlebenden», und die Firmenkultur geht den Bach runter.

Wie das dann aussieht, lässt sich an jenen Unternehmen erkennen, die die Entlassungen automatisiert haben. Der Angestellte liest seine Kündigung auf dem Computerbildschirm und hat nur noch eine eng begrenzte Zeit zur Verfügung, um seine privaten Utensilien zusammenzuraffen, bis der Computer gesperrt und der Badge wertlos geworden ist. In den USA erfreut sich diese Umgangsform 
einer gewissen Beliebtheit, weil man vermeiden möchte, dass HR-Mitarbeiter zu Opfern von Racheaktionen werden. Die Botschaft dieser Methode: Jeder Mitarbeitende ist ein potenzieller Verbrecher.

Menschliche Resonanz macht schwere 
Gespräche erträglicher

Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass diejenigen am schlechtesten über andere Menschen denken und urteilen, die selbst sozial besonders inkompetent sind? Deren eingeschränktem Blick fehlt die Fähigkeit, den anderen differenziert wahrzunehmen, sich in seine Sichtweisen hineinzuversetzen und auch zu erkennen, wie die eigenen Botschaften beim anderen ankommen. Wer bereit ist, diese Kompetenzen zu verbessern, kann sie gezielt trainieren, gerade auch auf dem heiklen Feld der Entlassungsgespräche. Das kann in mehreren Schritten geschehen. Als Vorbereitung empfiehlt sich ein Blick von aussen auf sich selbst. Das ist durchaus möglich, denn man kann ohne weiteres beschreiben, wo man steht und welche Rolle man spielt.

Auch HR-Mitarbeiter spielen Rollen, denn dafür werden sie bezahlt. Sie üben Funktionen aus. Wenn eine Funktion darin besteht, Entlassungen auszusprechen, bedeutet das nicht, dass sich HR-Mitarbeitende damit identifizieren müssen. Er spielt eine Rolle, nicht mehr und nicht weniger. Jenseits dieser Rolle ist er ein Mensch mit eigenen Gefühlen und Wahrnehmungen. Genau das ist das Poten
zial, das eine Gesprächssituation erträglich machen kann. Oder möchten Sie einem Menschen gegenübersitzen, der nur ein Apparatschik, nur eine Charaktermaske ist? Nein, gerade in schwierigen Situationen suchen wir menschliche Resonanz.

Resonanz ist kein Phantom. Resonanz lässt sich wahrnehmen, beobachten, sogar physiologisch messen. Daher ist es gar nicht schwierig, nach Gesprächen zu überprüfen, wie sich die eigenen Gefühle bemerkbar gemacht haben, wie die Botschaften beim Gesprächspartner angekommen sind und wie das Resultat wahrgenommen wurde: perspektivlos oder konstruktiv? Am besten geschieht das Training mit professioneller Hilfe. Dabei muss der Rahmen klar sein: Wer die Rolle desjenigen spielt, der das Thema der Entlassung ansprechen muss, ist für das Thema an sich nicht verantwortlich. Wohl aber dafür, wie er es anspricht. Und er sollte seine Kompetenz nach und nach steigern. Fairness lässt sich trainieren.

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Dr. Stephan Wehowsky leitet die Kommunikation des Schweizer Chapters der American Society of Industrial Security ASIS. Das Thema Mensch, «der menschliche Faktor» bildet den Kern seiner Vorträge und Beratungen. Als Publizist hat er zudem zahlreiche Publikationen zu ethischen Themen verfasst.

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