HR Today Nr. 4/2019: Im Gespräch

Im Dreck wühlen

Noch vor der Gründung rekrutiert Edda Rettinger Fachkräfte für Jungfirmen und begleitet diese bei den Wachstumsschritten. Weshalb Swisscom in Startups investiert oder sogar selber gründet.

Frau Rettinger, in Ihrer Tätigkeit bei der Swisscom rekrutieren Sie in der Division Swisscom Digital Business Mitarbeitende für Firmen, die noch nicht gegründet wurden. Was hat es damit auf sich?

Edda Rettinger: Die Digitalisierung bringt neue Chancen und Herausforderungen für Swisscom. Wir müssen einerseits unser Kerngeschäft stärken, gleichzeitig aber auch in neue Geschäftsfelder vorstossen. Unser Auftrag ist es, Swisscom innovativer zu machen und mit Internet- und Blockchainbasierten Geschäftsmodellen für Unternehmenswachstum zu sorgen. Dafür erforschen wir gemeinsam mit externen Partnern neue Technologien, unterstützen Startups und entwickeln daraus Beteiligungen oder Joint-
Ventures.

Nebst einem überzeugenden Businessmodell sind es die Menschen, die über den Erfolg oder Misserfolg einer Geschäftsidee entscheiden. Die Gewinnung der passenden Persönlichkeiten ist deshalb für uns von höchster Bedeutung. In meiner Funktion als Head People Attraction stehe ich in ständigem Austausch mit potenziellen Mitstreitern und Experten, um zum Zeitpunkt der Firmengründung ein hervorragendes Team zusammenbringen zu können. Mitglieder rekrutieren sich aus Swisscom-Mitarbeitenden oder externen Kandidaten. Um Interne zu finden, tausche ich mich regelmässig mit den Swisscom-Talent Acquisition-, Talentmanagement- und HR-Kollegen und Kolleginnen aus.

Wie kommen die Ideen für eine Neugründung zustande?

Das passiert auf unterschiedlichste Weise. Manchmal sind es interne Swisscom-Projekte, die das Potenzial haben, sich zu einem Business Case zu entwickeln oder Ideen von Mitarbeitenden, die durch unser Intrapreneurship-Programm «KickBox» entstanden sind. Ausserdem entwickeln wir zusammen mit Partnern neue Geschäftsidee oder potenzielle Partner kommen auf uns zu.

Was macht eine Gründerpersönlichkeit aus?

Jede Unternehmensgründung ist anders und benötigt ein anderes Set an Skills, Knowhow oder Branchenkenntnisse. Dennoch gibt es eine Gemeinsamkeit: Entscheidend ist das «Macher-Gen». Gründungsmitglied eines Start-ups zu sein heisst, sich die Hände schmutzig zu machen und im Dreck zu wühlen, Dinge selber in die Hand zu nehmen und umzusetzen. Es gibt keine administrative Unterstützung, die einem mühselige und zeitraubende Themen abnimmt.

Werden diese Aufgaben nicht durch die Gründer wahrgenommen, erledigt sie niemand. Delegation ist nicht möglich. So ist man in den ersten Monaten CEO, Supporter, Call Center-Angestellter und Office Designer in Personalunion. Das muss einem liegen und Freude bereiten.

Wie unabhängig sind diese Firmen?

Wir unterscheiden Firmen, bei denen Swisscom eine Aktienmehrheit hält – also Konzernunternehmen und solche, bei denen Swisscom mit Minderheitsanteilen beteiligt ist. Im ersteren Fall gibt Swisscom die Rahmenbedingungen vor, in denen sich das Start-up entwickelt, bietet aber auch Unterstützung im operativen Betrieb. Zum Beispiel im Accounting. Dies bedeutet natürlich auch, dass Konzernrichtlinien einzuhalten sind, wie bei der Besetzung des Verwaltungsrats oder in der Kommunikation.

Dafür wird das Unternehmen mehrheitlich von Swisscom finanziert und agiert am Markt als Unternehmen von Swisscom. Startups, an denen Swisscom keine Mehrheitsbeteiligung hat, zählen nicht zu den Konzernunternehmen und können sich innerhalb von Swisscom unabhängiger entwickeln. Zeitgleich müssen diese Unternehmen aber auch die Interessen ihrer Investoren berücksichtigen, insbesondere, was die Geschäftsentwicklung und die Finanzierung betrifft.

Ist das nicht ein Widerspruch: Innovatoren, die ein erhebliches Risiko eingehen und ein Corporate Umfeld?

Auf den ersten Blick mag dies wie ein Widerspruch wirken, auf den zweiten zeigt sich aber der Vorteil eines solchen Konstrukts. Nicht alle Menschen mit unternehmerischen Skills haben jedoch «die» bahnbrechende Idee. Dann ist es interessant, eine Partnerin wie Swisscom im Boot zu haben. Synergie-Effekte ergeben sich ebenfalls durch die vorhandene Infrastruktur, das interne Knowhow und das Netzwerk der Swisscom. Es ist jedenfalls wichtig, bei der Ideenfindung über das Corporate Umfeld hinaus zu denken und dessen positive Aspekte zu nutzen.

Inwiefern sehen Sie sich als Trendscouter?

Neben der Swisscom gibt es andere Konzerne, die sich im Startup-Umfeld engagieren oder sich als Gründungspartner betätigen. Innovativ ist, dass wir dies aus der Digital Business Division heraus tun, die einen hohen Freiheitsgrad bei der Umsetzung verschiedener Themen geniesst. Ebenso ungewöhnlich ist, dass eine Talent Acquisition Position aus der HR-Organisation herausgelöst und dem Chief Digital Officer unterstellt wird. Das ermöglicht eine schnelle Interaktion, den strategischen Einbezug und Knowhow-Transfer zum Business, sowie individualisierte Prozesse.

Wie identifizieren Sie vielversprechende Trends?

Swisscom verfügt über Spähposten inmitten der Innovations- und Technologiehubs in San Francisco, Berlin und Shangai, wo wir nach Trends und neuen Technologien scouten und strategische Partnerschaften anbahnen.

Wann steht eine Neugründung im Vordergrund und wann eher eine Beteiligung?

Das hängt davon ab, in welchem Geschäftsfeld das Unternehmen tätig sein wird. Operiert es in einem für Swisscom wichtigen Markt,wo wir eigene Kompetenzen und Synergien für die Entwicklung der Firma einbringen können, ist eine Neugründung als Konzernunternehmen in Erwägung zu ziehen.

Eine Minderheitsbeteiligung ist in Bereichen denkbar, die eine weniger hohe strategische Bedeutung haben, in denen Swisscom nicht über die notwendigen Kompetenzen verfügt, um das Unternehmen in Eigenregie zu entwickeln oder nicht bereit ist, ein hohes finanzielles Risiko einzugehen. In Abhängigkeit zu den möglichen Anknüpfungspunkten kann eine Minderheitsbeteiligung höher oder niedriger ausfallen.

Können Sie über eine Erfolgsstory berichten?

Ich bin seit Juni 2018 in meiner Funktion tätig und konnte seither mehrere Neugründungen begleiten. Stolz bin ich auf alle Unternehmungen, ob Startup aus dem Blockchain-Umfeld oder dem Digital Marketing. Aber ja, an einer Geschichte habe ich besonders Freude. Mein Talent Acquisition-Ansatz ist digital – passend zu unserer Zielgruppe.

Einerseits fokussiere ich mich auf das Netzwerk unserer Mitarbeitenden, andererseits auf Social Media. Stelleninserate sind in dieser Strategie sekundär. Der CEO einer unserer Neugründungen ist über einen meiner Twitter-Posts auf den Posten aufmerksam geworden und hat sich mit einer Direktnachricht bei mir gemeldet. So waren wir rasch im persönlichen Dialog. CEO-Recruiting via Twitter ...

An den Swiss Employer Branding and Recruiting Days werden Sie am 3. April 2019 einen Vortrag mit dem Titel «Company building» halten. Worauf dürfen sich Teilnehmer freuen?

Sie dürfen sich auf Einblicke aus dem Startup-Recruiting freuen. Ich werde aufzeigen, wie der Recruiting-Prozess bei einer Neugründung aussehen kann, wie man mit Herausforderungen umgeht und mit minimalen Ressourcen rekrutiert und ohne grossen Aufwand eine Employer Branding- und Recruitinginfrastruktur aufsetzt, die für verschiedene Firmen adaptierbar ist.

Was ist Ihre Botschaft ans Publikum?

Probiert aus! Habt keine Angst, Fehler zu machen. Spielt mit eurem Brand, lernt eure relevanten Zielgruppen kennen und werdet Teil des Business. Nutzt eurer Netzwerk, identifiziert die wichtigen Punkte und konzentriert euch darauf. Besser und mehr geht immer. Es muss im Recruiting jedoch nicht immer die Rolls-Royce-Variante sein. Auch mit einem kleinen Budget lässt sich eine grosse Wirkung erzielen.

Weitere Informationen

Recruitment Marketing, SEO Recruiting, AIDA-Modell, Employer Branding, Social Recruiting oder Guerilla Recruiting, all diesen neuen Trends liegt eine Erkenntnis zu Grunde: Kompetenz im Recruiting wird zum Wettbewerbsvorteil.

Parallel zur Personal Swiss finden am 2. und 3. April 2019 in der Messe Zürich im Konferenzraum K7 die ersten Swiss Employer Branding and Recruiting Days statt. Dort referieren erfahrene Spezialisten aus der Personalmarketing- und Recruitingszene über die HR-Themen der Zukunft.

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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