HR Today Nr. 7&8/2020: Im Gespräch

«Menschen haben mehr Ressourcen, als sie erahnen»

Kann man Unternehmen einem Menschen gleichsetzen? Coach Lukas Christen hat das gemacht und zeigt in seinem Buch «Die Unternehmung Mensch», wie sich betriebswirtschaftliche Erkenntnisse auf das menschliche Leben übertragen lassen.

Sie haben ein Buch darüber geschrieben, wie man besser mit seinen Ressourcen haushaltet. Was ist los in den Führungsetagen?

Lukas Christen: Viele Führungskräfte leiden an einer gewissen Kopflastigkeit. Das erweist sich besonders dann als verheerend, wenn sie neue Lösungen finden sollen, weil das vor allem mit Lust, Wollen und Begehren zu tun hat. Intellektuelle Menschen lassen diese Instinkte etwas vermissen und beklagen sich dann über Lustlosigkeit und Begeisterungsarmut.

Emotionen beiseite, wann nützt der Verstand?

Bei nüchternen Analysen und kühlen Kalkulationen hilft der Kopf. Etwa bei Preisberechnungen, Ressourcenplanung oder Abstimmung technischer Inhalte. Würde ein Elektromonteur hingegen nur nach Instinkt arbeiten, wäre das jedoch fahrlässig.

Sie verloren in jungen Jahren durch einen Unfall ein Bein und mussten Ihre vielversprechende Fussballkarriere beenden. Was haben Sie aus dieser und anderen Lebenskrisen gelernt?

Vor allem, dass ein Mensch sehr viel mehr Ressourcen hat, als er ahnt, wenn es um Inspiration, Intuition und Instinkt geht. Ich habe aber auch erkannt, welch hohen Preis man bezahlt, wenn man in einer der weltweit höchst entwickelten und anspruchsvollsten Volkswirtschaften lebt und arbeitet. Will man allen Anforderungen und geltenden Prinzipien gerecht werden, kann das sehr anstrengend sein. Da ich mich energiemässig nicht gerne verschulde und versuche, mein persönliches Energiebudget nicht zu überschreiten, sind mir dadurch manche Karriereschritte verwehrt geblieben. Müsste ich alles unter einen gemeinsamen Nenner stellen, habe ich gelernt, dass sich Prinzipientreue langfristig immer lohnt.

Sie verwenden Begriffe aus der Betriebsökonomie wie Erfolgsrechnung, Bilanz, GV, Geschäftsbericht oder Marktsegmente. Kann man diese auf Menschen übertragen?

Wer in Balance lebt, erkennt den Wert einer ­ausgeglichenen Bilanz. Wenn zwei Menschen ­ihren Weg gemeinsam gehen, findet eine Fusion auf materieller und passenderweise auf ideeller Ebene statt. Damit bekommt der Begriff «Post Merger Integration», also die Integration zweier Unternehmer nach der rechtlichen Zusammenlegung, eine neue Bedeutung. Auch Controlling und Qualitätsmanagement waren dem Menschen schon bekannt, bevor es Kreditlimiten und EFQM-Zertifizierungen gab.

So sah jemand schlecht aus, der bei der Mammutjagd zu wenig Pfeile im Köcher hatte. Mangelnde Navigationskenntnisse eines Kapitäns konnten ein Schiff bei der Eroberung neuer Welten in Seenot bringen. Wir müssen die Verbindung zwischen der ­Betriebswirtschaft und dem Menschen wiederentdecken. Dann erkennen wir, wie lebendig und menschennah die kaufmännische Führung ist.

Ist das nicht etwas mechanisch gedacht?

In unserem Alltag laufen in uns unglaublich viele unbewusste, teils vielschichtige Prozesse ab, wobei diese im Vergleich zu Firmen bei Menschen sehr viel komplizierter sind. Bei beiden existiert jedoch ein Befinden und ein Klima. Ebenso Stimmungen, Träume, Visionen und Leitbilder. Je mehr Parallelen wir erkennen, desto grösser wird die Palette an stimmigen und lebendigen Vergleichen.

Was ist ein menschlicher Konkurs?

Das Fremdkapital ist bereits so gross, dass die Bank keine neuen Kredite mehr vergibt und das Unternehmen seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann. Dann wird es eng für die Firma. Bei Menschen ist es genauso: Wird die eigene Energie knapp, braucht man mehr von Dritten wie Freunden, Bekannten oder gar dem Staat. Erholt sich das Eigenkapital, das beim Menschen aus Gesundheit, Motivation oder Schaffenskraft besteht, mittelfristig nicht, geht das nicht lange gut.

Wie lässt sich das verhindern?

Eine Firma tätigt Abschreibungen, bildet Reserven und Rückstellungen und überzieht ihr Budget idealerweise nicht. In der Wirtschaft sind die Unternehmen also an relativ strikte Regeln und Bewertungsgrundsätze gebunden. Müssten Menschen ebenfalls solche Nachweise erbringen und Rechenschaft über ihre Ressourcen ablegen, wären Burn-outs wohl eher selten. Verständlicherweise geht das den meisten zu weit. Viele Menschen gehen mit ihrem Leben jedoch fahrlässig um, bis der Arzt kommt oder der Lebenspartner davonläuft.

Folgt auf die Rendite zwangsläufig ein besseres Leben?

Es gibt Menschen, die grossen Wert auf die Rendite, also ein hohes Einkommen, legen und denen es dabei gut geht. Das ist für mich kein Widerspruch. Fragwürdig wird es für mich, wenn jemand am Wohlstand teilhaben will, aber nicht bereit ist, entsprechend dafür zu arbeiten. Mein Motto lautet: So viel Rendite wie nötig, so viel Lohn wie Zufriedenheit, Vertrauen und Erfüllung wie möglich. Das gibt eine allgemeine Richtung vor und dann schaut man, wie man die Details gestaltet. Das Leben soll ja spontan und überraschend bleiben.

Ist Ihr Buch als leise Kritik an der überbordenden Selbstbezogenheit und am übermässigen westlichen Wohlstand zu verstehen?

Selbstbezogenheit, die zu einem gesunden und achtsamen Selbstbewusstsein führt, halte ich bei einem gelungenen Leben für grundlegend. Entstehen daraus Arroganz, Verblendung und Überheblichkeit, ist das etwas anderes. Der Wohlstand ist etwas Grossartiges und zeugt von Fleiss, Kompetenz und Beharrlichkeit. Doch viel zu viel davon basiert inzwischen auf finanziellen, ökologischen und ideellen Schulden. Kommen Selbstbezogenheit und Schulden zusammen, sind Unzufriedenheit und Missmut unausweichlich, ganz abgesehen vom ständig steigenden Stress.

Wir durchlaufen stürmische Zeiten. Die Erfolgsrechnungen und Bilanzen vieler Menschen werden gerade kräftig durchgeschüttelt…

Für viele geht es zunächst um ganz bodenständige und existenzielle Fragen: Habe ich morgen noch einen Job? Kann ich den Firmenkonkurs abwenden? Da bleibt verständlicherweise wenig Platz für Lebensfragen. Liebgewonnenes aufzugeben, ist nicht leicht. Erfreulicherweise begegne ich vielen Menschen, denen bewusst ist, auf welch unglaublich hohem materiellem Niveau wir in der Schweiz leben. Selbst dann, wenn jemand vieles oder sogar alles verloren hat. In Sachen Sozialversicherungen stehen wir im internationalen Vergleich unglaublich feudal da.

Zur Person

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Jahrgang 1966, wächst Lukas ­Christen zusammen mit einem ­älteren Bruder auf dem Land in der Nähe von Luzern auf, macht eine KV-Lehre und gehört zu den Nachwuchstalenten beim FC Luzern. Nach einem fremdverschuldeten Unfall verliert er sein linkes Bein. Er studiert Betriebsökonomie und kehrt in den Spitzensport zurück. Zwischen 1991 und 2003 erringt er als Behindertensportler sieben Olympiasiege, fünf Weltmeistertitel und diverse Rekorde im Sprint und Weitsprung. Seit 2000 arbeitet Lukas Christen als selbständiger Managementtrainer, Führungscoach und Keynote Speaker. lukas-christen.ch

Buch: Die Unternehmung Mensch
Kein Unternehmen kann lange funktionieren, wenn sich die Menschen, die darin arbeiten, schlecht fühlen. Basierend auf seinen Erfahrungen aus dem Weltspitzensport und Coaching zeigt Lukas Christen anhand betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse auf, wie es Menschen gelingt, mit ihren Ressourcen eigenverantwortlich umzugehen.

 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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