HR Today Nr. 4/2020: Im Gespräch

«Modernes Arbeiten heisst Flexibilität»

Es wird viel über New Work gesprochen und geschrieben. Dabei entsteht der Eindruck, dass viele Firmen nicht verstehen, worum es eigentlich geht. Wir haben uns mit Heike Bruch, ­Professorin für Leadership an der Universität St. Gallen, über einen oft falsch verstandenen Begriff unterhalten.

In der neuen Arbeitswelt sollen Firmen ihre Hierarchien abbauen, Führungskräfte zu Beratern machen und Mitarbeitende befähigen, sich selbst zu organisieren. Derzeit wird dieses Modell hochgehalten, als sei es die einzige Alternative für Unternehmen, um im Markt zu bestehen. Inwiefern stimmt das?

Heike Bruch: Zwei grundlegende Trends beeinflussen derzeit die Arbeit in Unternehmen über alle Ebenen hinweg: Der technologische Fortschritt und der demografische Wandel. Diese zwingen Unternehmen, ihre Arbeitsweise und ihre Art der Führung neu zu denken. Vor allem geht es aber darum, schneller, flexibler und innovativer als die Konkurrenz zu sein und als Arbeitgeber an Attraktivität zu gewinnen. Trends wie agiles Arbeiten und die Ermächtigung der Mitarbeitenden und der Wandel zur inspirierenden Führung ersetzen die Arbeit nach Befehl. Unternehmen werden sich dem nur schwer entziehen können. Gleichzeitig sollten sie sich aber nicht pauschal nach diesen Strömungen ausrichten, sondern genau prüfen, was zu ihnen passt.

Wo sehen Sie die Grenzen von New Work?

Oft wird der Eindruck vermittelt, nur kleinere ­Organisationen mit Start-up-Strukturen oder IT-Hintergrund seien in der Lage, den Weg in die neue Arbeitswelt erfolgreich zu gehen. Das bestätigt sich in der Praxis jedoch nur bedingt. In unserer Forschungstätigkeit am Institut für Führung und Personalmanagement der HSG arbeiten wir mit zahlreichen Unternehmen zusammen. Dabei zeigt sich immer wieder, dass New Work keine Aufgabe einzelner Bereiche, Branchen oder Organisationen ist. New Work darf keinesfalls bedeuten, in einem Unternehmen alles einheitlich zu strukturieren.

Vielmehr müssen Firmen differenzierte Lösungen finden. So sollten effizienzorientierte und eher innovationsorientierte Aufgabenbereiche unterschiedlich aufgestellt und geführt sowie deren Kultur unterschiedlich entwickelt werden. Modernes Arbeiten heisst auch, Flexibilität, Wahlmöglichkeiten und unterschiedliche Angebote für eine künftig viel diversere Belegschaft zu schaffen. Das kann viele verschiedene Facetten annehmen, beispielsweise in Form flexibler Arbeitszeiten, Homeoffice oder individualisierter Arbeit. Angebote zu neuen Arbeitsmethoden und gezielte Trainings sollten Mitarbeitende zudem befähigen, neue Arbeitsformen erfolgreich zu nutzen.

Widersprechen die neuen Arbeitswelten dem perfektionistischen Anspruch, den Schweizerinnen und Schweizer haben?

Aufgabenbereiche, die einen hohen Anspruch an Perfektion und Effizienz haben, werden weiterhin fortbestehen. Sie werden aber mit modernen Technologien unterstützt und dadurch in ihrer Ausrichtung gestärkt. Dort wird deshalb weiterhin eine Kultur der Null-Fehler-Toleranz gelebt, die den Fokus auf Präzision und höchste Qualität bei der Umsetzung von Entscheidungen legt. Gleichzeitig unterscheiden sich diese Bereiche viel stärker als bisher von den innovativen eines Unternehmens, wo Experimente, Fehler und Exploration gefördert werden, um zügig zu lernen und so neue Lösungen und Produkte zu entwickeln.

Mitarbeitende, die sich in beiden Welten bewegen, müssen lernen, mit diesen widersprüchlichen Anforderungen umzugehen und zu einer Beidhändigkeit kommen. Dies bedeutet, sowohl bestehendes Wissen einzusetzen und höchsten Qualitätsansprüchen zu genügen als auch Neues zu lernen und zu explorieren.

Firmen brüsten sich oft damit, in den neuen Arbeitswelten angekommen zu sein. Sie geben an, Veränderung zu wollen, tun es aber auf organisatorischer, führungstechnischer und individueller Ebene nicht, oder belassen es bei neuen Büroräumlichkeiten. Wie schätzen Sie das ein?

Bei der Transformation zu New Work müssen Unternehmen die drei «Bs» – Bricks (Räume), Bytes (Technologie) und Behavior (Kultur und Mindset) – berücksichtigen. New Work nur auf einer dieser Dimensionen aufzubauen ist ein Versuch, der scheitert. Besonders die Transformation der Unternehmenskultur erweist sich als anspruchsvoll, da sie in die Tiefenstrukturen geht und die Menschen emotional und in ihren Wertehaltungen berührt. Gleichzeitig erzielt man damit aber die grösste Wirkung.

Das hat sich auch in unserer Trendstudie zur «Arbeitswelt im Umbruch» gezeigt: Die erfolgreichsten sind jene Unternehmen, die eine langfristige Kulturtransformation schaffen und eine klare Unternehmensvision besitzen. Wer den Weg zu New Work überhastet und unvorbereitet antritt, bleibt häufig abgeschlagen zurück. Ihnen gegenüber sind erfolgreiche New-Work-Pioniere um sieben Prozent innovativer und um 14 Prozent leistungsfähiger. Ihr Wachstum ist um 26 Prozent höher, ihr Return on Investment sogar um 31 Prozent.

Auf Mitarbeiterebene ist zudem abzulesen, dass sich mehr als sechs Prozent der modern Überforderten in der Beschleunigungsfalle befinden. Es zeigt sich also deutlich, dass Unternehmen, die keinen tiefgehenden Transformationsprozess durchlaufen, in der neuen Arbeitswelt nicht erfolgreich sein werden.

Auch unser Schulsystem ist in der alten Welt verankert und darauf ausgerichtet, Schülerinnen und Schüler innert kurzer Zeit breitflächig möglichst viel Wissen nach einem bestimmten Lehrplan im Giesskannenprinzip einzutrichtern. Wie ermöglicht man so konditionierten Menschen den Einstieg in die neue Arbeitswelt?

In der neuen Arbeitswelt sind Gestaltungs- und Adaptionskompetenzen erforderlich. Erstere werden traditionell gefördert und in Unternehmen anerkannt. Deshalb sind sie bei den Führungskräften stärker ausgeprägt. Adaptionskompetenzen wiederum beschreiben die Fähigkeit, besser mit Unsicherheiten umzugehen, mehrere Aufgaben gleichzeitig im Blick zu haben und Stress als Chance zur persönlichen Entwicklung zu werten. Sie sind für den Erfolg und die psychische Gesundheit von Führungskräften und Mitarbeitenden künftig entscheidend, werden aber weder im klassischen Schulsystem noch in den Managementstrukturen von Unternehmen hinreichend gefördert.

Besonders für Führungskräfte wird es zunehmend wichtig zu lernen, mit Unsicherheit, Fluidität und Paradoxien umzugehen und sich in komplexen und grundlegend neuen Situationen zurechtzufinden. Wissen aus der Vergangenheit oder die Suche nach Musterlösungen erweist sich eher als gefährlich. Stattdessen sollte der sogenannte «growth mindset» der Mitarbeitenden gefördert werden. Wer dies besitzt, weiss, dass er seine Fähigkeiten kontinuierlich verbessern kann. Nur so können Arbeitnehmende ihre Kompetenzen für New Work nachhaltig entwickeln. Individuen mit einem «fixed mindset» scheitern in der neuen Arbeitswelt langfristig.

Häufig werden in den Unternehmen nur sogenannte «Talente» gefördert. Inwiefern könnte es sich künftig als Nachteil erweisen, wenn Unternehmen nicht in alle Mitarbeitergruppen gleichermassen investieren?

Unternehmen sollten in die Entwicklung aller Mitarbeitergruppen investieren. Insbesondere in die digitalen Kompetenzen, aber auch in New- Work-­Schlüsselqualifikationen. Gleichzeitig wird es aber so grundlegende Umbrüche im Hinblick auf erforderliche Kompetenzen geben, dass Unternehmen nicht alle Mitarbeitenden mitnehmen können.

Entscheidend ist jedoch, dass Unternehmen und Führungskräfte ihre Verantwortung aktiv wahrnehmen: Jeder einzelne Mitarbeitende muss dafür sensibilisiert werden, dass Entwicklung vor allem Eigenverantwortung bedeutet. Zum anderen muss die Beschäftigungsfähigkeit aller Mitarbeitenden durch die Entwicklung zentraler Kompetenzen für New Work gefördert werden. Das heisst etwa, das Angebot an Fort­bildungen und Umschulungen zu stärken.

Zur Person

Heike Bruch ist Professorin für Leadership und Direktorin des Instituts für Führung und Personalmanagement an der Universität St. Gallen. Sie befasst sich mit neuen Arbeits- und Führungsformen und untersucht, inwiefern Leadership und Kultur dazu beitragen, Unternehmen innovativ, schnell und wandlungsfähig zu machen. Ausserdem erforscht sie zusammen mit Unternehmen, wie Arbeitsprozesse dynamisiert werden können, ohne in die Beschleunigungsfalle zu tappen. Mit ihren Publikationen und Praxisbeiträgen hat sich Heike Bruch ein internationales Renommee erworben und wurde für ihre Leistungen mehrfach ausgezeichnet.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

Weitere Artikel von Corinne Päper

Das könnte Sie auch interessieren