Alte Säcke und Schachteln
Trotz Pensionierung wollen viele weiterarbeiten. Die Arbeitsvermittlungsplattform rentarentner.ch ermöglicht Ruheständlern genau das. Wir haben uns mit Mitgründer Reto Dürrenberger über eine älter werdende Gesellschaft unterhalten.
«Es fehlt in vielen Unternehmen schlicht und einfach der Mut, erfahrene Arbeitnehmende anzustellen», Reto Dürrenberger, Mitgründer Rent a Rentner. (Bilder: zVg)
Sie haben rentarentner.ch mit «alten Säcken» und «alten Schachteln» beworben. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Reto Dürrenberger: Die Idee für ein Freelancerportal für Pensionierte entstand, als der soeben pensionierte Vater meiner Geschäftspartnerin 2009 bei uns in der Werbeagentur vorbeikam und uns mitteilte, er wolle weiterarbeiten, weil er seiner Frau nicht länger beim Haushalt im Weg stehen wolle. Mit Peter Hiltebrand hatten wir ab sofort einen mutigen Kunden an Bord. Wir konnten frei von der Leber weg texten und eine freche Bildsprache entwerfen. So ist die Werbekampagne mit den «alten Säcken und Schachteln» entstanden. Hätten wir das Portal «Rentnervermietung» genannt, wären wir wohl nicht so erfolgreich gewesen. Werbung muss polarisieren, um Emotionen zu wecken.
Und wie kam das bei den so Benannten an?
Wir haben unsere registrierten Mitglieder dazu befragt. 60 Prozent fanden die Kampagne super, 20 Prozent sagten, sie könnten damit leben. Nur zehn Prozent fanden sie «daneben.» Die meisten unserer Mitglieder nehmen sich selbst nicht so ernst. Das zeigen jedenfalls die vielen E-Mails, die etwa mit «liebe Grüsse, euer alter Sack Bruno» enden.
Rent a Rentner ist sogar in Japan bekannt ...
Mit der Namensgebung haben wir wohl etwas losgetreten. Das Schweizer Radio und Fernsehen kamen auf uns zu und auch das Nachrichtenportal Bloomberg hat über uns berichtet. Das Seco hat uns daraufhin kontaktiert und uns auf den SilverEco and Ageing Well International Award aufmerksam gemacht. Letztes Jahr haben wir uns in Frankreich darum beworben und in unserer Kategorie den zweiten Platz belegt. Deshalb waren wir, wie die Gewinner, für den internationalen Wettbewerb in Japan nominiert, den wir dann als einziges Schweizer Unternehmen auch gewonnen haben.
Die Lage älterer Menschen auf dem Arbeitsmarkt ist nicht ganz einfach. Wie sehen Sie das?
Manchmal kommen Mitglieder bei uns vorbei und erzählen uns ihre Geschichte. Erst kürzlich hat sich ein Portugiese bei mir gemeldet. Er hat sich für unsere Initiative bedankt, weil er mit 57 Jahren auf dem Arbeitsmarkt keine Stelle mehr gefunden und durch rentarentner.ch einige Jobs bekommen hat. Das ist ein Nebeneffekt unserer Plattform, obwohl wir damit das Ü50-Problem nicht lösen wollten.
Es gäbe ja viele Optionen für Ü50 wie Bogen- oder Alterskarrieren. Doch Firmen scheinen sich damit schwerzutun. Weshalb?
Grossfirmen konzentrieren sich derzeit vor allem auf die Genderfrage. Ein weiterer Aspekt ist vielleicht jener, dass viele Kaderangehörige Angst davor haben, ältere Hochqualifizierte anzustellen, weil diese Führungserfahrung haben und sie in den Schatten stellen könnten. Es fehlt in vielen Unternehmen schlicht und einfach der Mut, erfahrene Arbeitnehmende anzustellen. Daneben sind auch die Sozialkosten ein Thema. Firmen wie wir, die ältere Mitarbeitende anstellen, werden sozusagen mit höheren Sozialabgaben bestraft.
Firmen scheinen eher bereit zu sein, Pensionierte temporär zu beschäftigen ...
Ja, das ist tatsächlich so. Das hat auch damit zu tun, dass man emotional nicht so sehr beteiligt ist, wenn die Pensionierten nicht mehr gebraucht werden, weil sie finanziell ja abgesichert sind. Das Bedürfnis der Unternehmen nach pensionierten Fachkräften ist jedenfalls da, weshalb wir mit hire-a-rentner demnächst ein neues Portal lancieren, über das Firmen Pensionierte temporär anstellen können.
Man könnte Rent a Rentner auch als Lohndumpingplattform zum Arbeitsmarkt betrachten ...
Wir verstehen uns als Teil der Sharing-Economy. Wie bei Uber oder Airbnb kann man bei uns mit find-a-rentner einen Rentner in seiner Gegend finden. Zu 90 Prozent vermitteln wir Kleinstjobs wie Steuererklärungen ausfüllen, Babysitting, Briefkästen leeren oder Haustiere füttern. Besonders gefragt sind Arbeiten rund ums Haus. Das variiert jedoch je nach Saison. Im Winter ist beispielsweise Schneeschaufeln vermehrt angesagt. Also Aufgaben, die Nachbarn früher wahrgenommen haben und die kommerziell nicht angeboten werden. Ein Gärtner wird nicht extra anreisen, um einen 20 Quadratmeter grossen Rasen zu mähen.
Inwieweit verbessert Rent a Rentner das Image älterer Arbeitnehmender?
Es wäre anmassend zu meinen, dass wir das Ansehen älterer Arbeitnehmender verbessert haben. Ganz bestimmt haben wir aber eine gesellschaftliche Verhaltensänderung vorangetrieben. Bevor wir rentarentner.ch 2009 lanciert haben, ist es kaum jemandem in den Sinn gekommen, dass Pensionierte weiterhin arbeiten wollen. Nach der Pensionierung wird man nicht automatisch alt und phlegmatisch. Wer heute seinen 65. Geburtstag feiert, ist angesichts der steigenden Lebenserwartung nicht alt. Dass unsere Mitglieder auch im Kopf fit und digitalaffin sind, zeigt sich beispielsweise an unseren Single-Tischen, die wir monatlich für die Mitglieder unserer zweiten Plattform datearentner.ch veranstalten. Unsere Mitglieder besitzen alle ein iPhone und können problemlos damit umgehen.
Die Mehrheit der auf rentarentner.ch registrierten Pensionäre sind männlich. Weshalb?
Frauen, die heute 65 Jahre alt sind, haben meist in einer klassischen Rollenverteilung gelebt, die sich nach der Pensionierung fortsetzt. Die Frau erledigt den Haushalt, während der Mann sich eine Beschäftigung sucht. Wir müssen unseren weiblichen Mitgliedern deshalb verstärkt aufzeigen, was sie alles tun könnten, und ihnen entsprechend passende Jobs anbieten wie Babysitten, Kuchen backen oder Briefkästen leeren.
Wie gehen Sie mit inaktiven Mitgliedern um?
Manche Rentner verhalten sich passiv, weil es ihnen gesundheitlich nicht mehr gut geht. Allerdings ist die Mortalitätsrate unter unseren Mitgliedern auch höher als anderswo. Deshalb bereinigen wir unsere Datenbank alle zwei Jahre. Wenn jemand lange nicht mehr aktiv war, erhält er oder sie automatisch ein E-Mail durch das System. Wir verschicken zudem Newsletter an unsere Mitglieder, in denen wir ihnen Tipps geben, wie sie ihre Dienstleistungen besser verkaufen können, weil die wenigsten einen Unternehmerhintergrund haben.
Werden Sie sich dereinst selbst auf Ihrer Plattform registrieren?
Gute Frage (lacht). Die habe ich mir noch nie gestellt. Wenn ich pensioniert bin, werde ich vermutlich noch mehr Zeit in die Plattform investieren und im Hintergrund für unsere Rentnerinnen und Rentner arbeiten.
Rent a Rentner
Sie reparieren Geräte, montieren Lampen, hüten Haustiere oder mähen den Rasen. Ihr Entgelt bestimmen die auf rentarentner.ch registrierten Pensionärinnen und Pensionäre selbst.
Was als Stammtischtreff begonnen hat, ist mittlerweile zu einer internationalen Erfolgsgeschichte angewachsen. 2009 von Peter und Sarah Hiltebrand sowie Reto Dürrenberger gegründet, versteht sich rentarentner.ch als führende Vermittlungsplattform für Menschen, die im Rentenalter weiterhin arbeiten und nicht allein sein möchten. Rent a Rentner wurde mehrfach ausgezeichnet. Zuletzt mit dem SilverEco and Ageing Well International Award für herausragende Leistungen im Best-Ageing-Segment.