Indische Fachkräfte setzen Flexibilität im Führungsstil ihrer Chefs voraus
Unternehmen, die nach Indien expandieren, müssen umdenken: Denn die Vorstellungen ihrer indischen Mitarbeitenden sind nicht auf den ersten Blick erkennbar. Und die Fluktuation ist hoch. Um Fachkräfte zu halten, müssen Europäer erst einmal den kulturellen Hintergrund der anderen Erwartungen verstehen wollen.
Indien ist ein verheissungsvolles Land mit schier unbeschränkten Möglichkeiten, aber auch mit Problemen, die typisch sind für einen Staat, der sich eben erst industrialisiert. Die boomende Wirtschaft und das Gedränge ausländischer Unternehmen, die ein Stück des Kuchens für sich abschneiden wollen, treiben die indischen Boden- und Immobilienpreise in die Höhe und verknappen Rohstoffe. Es macht indische Unternehmer und Manager immer selbstbewusster. Sie wissen, dass ihr Land begehrt ist und sie daher einen angemessen hohen Preis verlangen können.
Auch indische Arbeitskräfte haben dies erkannt. Sie wissen, dass es von ihnen zu wenige gibt, um alle offenen Stellen zu besetzen. Das Salär, das sie erwarten, ist dementsprechend hoch.
Saläre explodieren, aber qualifizierte Mitarbeiter sind knapp
In der Tat, es kommen weniger talentierte und gut ausgebildete Männer und Frauen auf den Arbeitsmarkt, als die indische Wirtschaft benötigt, um im gleichen Tempo und Ausmass wachsen zu können wie bisher. Die Nachfrage übersteigt das Angebot, sodass Letzteres immer teurer wird. Zum Beispiel in der indischen Informatikbranche, die wesentlich zum Aufschwung beigetragen hat: Hier arbeiten rund 1,5 Millionen Menschen. Die Anzahl offener Stellen beträgt rund eine halbe Million. Kein Wunder, dass junge Softwareingenieure ein Jahresgehalt von umgerechnet bis zu 50000 Schweizer Franken verdienen können.
Oft ist es jedoch so, dass gerade jüngere Mitarbeiter zwar einen ausgezeichneten Hochschulabschluss haben, ihnen jedoch eine mehrjährige praktische Projekterfahrung fehlt. Aber weil sich Qualifikation aus theoretischem und angewandtem Wissen zusammensetzt, stimmt das Verhältnis zwischen Diplom, Jobprofil, Arbeitsleistung und Salär nicht.
Die Saläre steigen also laufend, doch die Situation auf dem Arbeitsmarkt verschärft sich noch mehr. Und die Fluktuationsrate in den Branchen mit Hightech und hoher Wertschöpfung liegt weiterhin zwischen 20 und 30 Prozent. Die britische Zeitschrift «Economist» führt jedes Jahr eine Umfrage bei international tätigen Unternehmen durch. Auf die Frage, mit welchen Problemen sie in Indien am meisten zu kämpfen haben, nannten die 600 befragten CEO die explodierenden Saläre an dritter und die Knappheit qualifizierter Mitarbeiter an vierter Stelle (nach Problemen mit Infrastruktur und Bürokratie).
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Immer mehr Arbeitgeber in Indien haben Mühe, qualifizierte Mitarbeiter zu rekrutieren und zu halten. Insbesondere westliche Manager erleben es oft, dass indische Arbeitnehmer eher bleiben, wenn man diesen ein überdurchschnittliches Gehalt bezahlt. «Wir müssen unseren hoch qualifizierten indischen Ingenieuren sehr hohe Löhne bezahlen, doch selbst damit können wir sie kaum langfristig an uns binden», bestätigt Valentin Vogt, CEO der in Winterthur ansässigen und unter anderem in Indien tätigen Burckhardt Compression AG. Bei den weniger gut qualifizierten Mitarbeitenden sei die Loyalität dagegen sehr hoch, ebenso bei den langjährigen indischen Mitarbeitern und Managern. Um der Fluktuation gegenzusteuern, achtet man bei der indischen Niederlassung der Burckhardt Compression AG daher darauf, den Mitarbeitenden eine Entwicklungsperspektive aufzuzeigen und das Teamgefühl zu stärken. Zudem erhalten die Mitarbeitenden nach zwei, vier und mehr Dienstjahren einen Treuebonus.
Kein Wunder also, dass «Employee Retention» ein Thema ist, das den Personalabteilungen indischer Firmen Kopfzerbrechen bereitet. Man ist sich zunehmend einig: Das Salär kann und sollte nicht das wichtigste Instrument sein, um Mitarbeiter zu binden. Die Umfrage des «Economist» ist auch diesbezüglich aufschlussreich. Lohnerhöhungen stehen laut den befragten CEO erst an vierter Stelle der wirksamen Massnahmen (siehe Grafik). Viel wichtiger ist indischen Mitarbeitern ihr persönliches und berufliches Weiterkommen.
Austausch mit dem Ausland weckt den Wunsch nach einer Karriere
Das hat unter anderem historische und kulturelle Gründe. Indiens Wirtschaft wird erst seit 1991 in behutsamen Schritten geöffnet. Bis dahin war der indische Markt von der Regierung weitgehend abgeschottet und vor ausländischen Einflüssen behütet worden, damit Inderinnen und Inder ihr koloniales Erbe hinter sich lassen konnten. Dies führte aber auch dazu, dass indische Arbeitnehmende weder ihre Arbeit noch ihre Verdienstmöglichkeiten international vergleichen konnten. Jetzt aber, da die Wirtschaft floriert, Arbeitsplätze entstehen und der Austausch mit dem Ausland rege ist, entwickelt man den Wunsch, Karriere zu machen.
Obwohl das indische Alltagsleben in den grossen Städten zunehmend westliche Züge trägt, hält die Bevölkerung an traditionellen Werten und Gewohnheiten fest. Auch ihr Menschen- und Weltbild verändert sich – wenn überhaupt – nur langsam. Zum Beispiel ist das Leben eines einzelnen Menschen nach indischer Vorstellung in drei Abschnitte unterteilt: Im ersten Lebensabschnitt – oder Ashrama – lebt man im so genannten Schülerbewusstsein; man ist noch am Lernen und braucht einen Lehrer, Mentor oder Chef, der einen in und durch die wichtigen Dinge im Leben führt. Dann lebt man im Bewusstsein einer verheirateten Person, trägt nun also Verantwortung, führt jüngere Menschen, zum Beispiel die eigenen Kinder, ins Leben ein, eignet sich dadurch Führungseigenschaften an und qualifiziert sich somit für eine entsprechende Arbeit im Beruf. Später lebt man im Bewusstsein des Rückzugs vom Materiellen und schliesslich in jenem des Abschieds von allem Weltlichen.
Inder mögen das Gefühl, zu einer grossen Familie zu gehören
Demzufolge sucht der junge und wenig lebenserfahrene Schüler-Inder in seinem Chef den strengen und wohlwollenden Patron, der ihm den Weg durch Leben und Karriere weist. Der Schüler-Inder möchte auch, dass der Chef ihm sagt, worin er sich weiterbilden soll. Der Angestellte dankt es ihm mit Treue. Der verheiratete indische Mitarbeiter dagegen möchte gern Verantwortung übernehmen und, mit jedem Mal, da er Vater oder sie Mutter wird, befördert werden.
Dass indische Mitarbeitende das Gefühl mögen, zu einer grossen Familie zu gehören, ist auch Burckhardt Compression AG bewusst: «Unsere Strategie und Vision ist all unseren Angestellten bekannt», sagt CEO Valentin Vogt. «Sie können sich mit unserer Firma identifizieren und wissen, dass Indien für uns nicht einfach eine billige, verlängerte Werkbank ist.»