Jeder fünfte Mitarbeiter fühlt sich gemobbt
Bei einer repräsentativen Umfrage unter der erwerbstätigen Bevölkerung der Schweiz gab jeder fünfte Arbeitnehmer an, in den letzten zwei Jahren Opfer von Mobbing geworden zu sein. Weitere zwölf Prozent gaben an, wahrgenommen zu haben, dass Kollegen im direkten Arbeitsumfeld Mobbing-Situationen ausgesetzt waren.
Mobbing wirkt sich auf die Motivation, Moral und Produktivität der Betroffenen aus. (Bild: 123RF)
Mobbing ist ein ernstes Problem. Nicht nur an Schulen, sondern auch am Arbeitsplatz. Es wirkt sich auf die Motivation, Moral und Produktivität der Betroffenen aus, und kann in schlimmen Fällen auch zu schweren psychischen und physischen Problemen führen. Bisher standen in der Schweiz wenig verlässliche und repräsentativ erhobene Daten über das Ausmass des Mobbings am Arbeitsplatz zur Verfügung. Die 4N6 Factory und das Marktforschungsinstitut GfK Switzerland AG haben nun eine repräsentative Studie bei Schweizer Arbeitnehmern durchgeführt. Den Teilnehmenden der Erhebung wurde folgende Frage gestellt: «Haben Sie in den vergangenen 24 Monaten in ihrem Arbeitsumfeld Mobbing-Handlungen beobachten können?»
Insgesamt gab jeder fünfte Mitarbeitende an, in den letzten 24 Monaten ein Opfer von Mobbing geworden zu sein («Ja, ich war selbst davon betroffen»). Weitere zwölf Prozent gaben an, sie hätten wahrgenommen, wie Kollegen im direkten Arbeitsumfeld solchen Situationen ausgesetzt waren. Elf Prozent gaben an, dass sie über Dritte von Fällen Kenntnis erhalten hätten. Insgesamt 29 Prozent der Teilnehmenden konnten sich gut vorstellen, dass es in ihrem Arbeitsumfeld Mobbingfälle gäbe, während noch gerade 28 Prozent glauben, dass ihr Unternehmen grundsätzlich eine gute Unternehmenskultur hätte, die Mobbing nicht toleriere.
Vergleich mit dem Ausland
Vergleicht man die Ergebnisse aus der Befragung mit Forschungsergebnissen aus den Nachbarländern, stellt man fest, dass die Werte vergleichsweise hoch sind. Eine Studie in Deutschland aus dem Jahr 2010 hielt fest, dass 4,6% der Arbeitnehmer über den Zeitraum von 12 Monaten gemobbt oder belästigt wurden. Die Differenz lässt sich dabei wohl nicht nur durch die kleinere Zeitspanne (12 bzw. 24 Monate), die bei der Befragung gewählt worden ist, erklären. Vielmehr dürfte mitunter das unterschiedliche Verständnis von Mobbing bei den Umfragegruppen zu diesem Resultat geführt haben.
Mobbing – eine Modewort für jegliche Art von Kritik?
Heutzutage verwenden immer mehr Menschen das Wort «Mobbing» auf eine saloppe Art und Weise und nutzen den Begriff bereits, wenn sie einmal kritisiert werden oder sich in einem bestimmten Fall unverstanden fühlen.
Lukas Fischer, Geschäftsleiter der 4N6 Factory, untersucht Mobbing-Fälle und präzisiert: «Mobbing zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass eine betroffene Person über einen längeren Zeitraum, wiederholt und systematisch einem psychischen Druck durch Arbeitskollegen oder Vorgesetzten ausgesetzt ist, der sie daran hindert, ihre normale Arbeitsleistung zu erbringen. Die vorsätzliche Ausgrenzung, Kompetenzentzug, soziale Isolierung, Informationsstopp, Sticheleien, Arbeitsbehinderungen, verbale Aggressionen, und das Verbreiten von Unwahrheiten sind dabei die häufigsten Formen. Mobbing ist gekennzeichnet durch ein wiederholtes feindliches, herabwürdigendes, einschüchterndes, erniedrigendes oder beleidigendes Verhalten des Angreifers, das bei den Opfern seelische Beeinträchtigungen und in der Folge unter Umständen auch psychosomatische Beschwerden hervorrufen kann.»
Über 45-Jährige und Frauen fühlen sich am ehesten als gemobbt
Wenn bei der aktuellen Umfrage von 4N6 Factory und GfK die Unterschiede zwischen Alter und Geschlecht betrachtet werden, fällt auf, dass sich 24 Prozent der Mitarbeitenden in der Altersgruppe zwischen 45 und 60 Jahren selbst als Mobbing-Opfer betrachten. Dies ist der höchste Prozentwert verglichen mit den anderen Altersklassen. Darüber hinaus fühlen sich mehr Frauen als Männer betroffen. Vor allem bei den Mitarbeitenden unter 30 Jahren ist diese Differenz gross: In dieser Altersklasse gaben 21 Prozent der Frauen an, dass sie sich gemobbt fühlten, während es bei den Männern lediglich zwölf Prozent waren.
Mobbing an Schweizer Arbeitsplätzen – Diskussion der Umfrage-Ergebnisse
Podiumsgespräch mit Barbara Anneler, Employee Relations, Credit Suisse und Dr. Frank J. Schwabe, Leiter Group Compliance, Alpiq und Lukas Fischer, 4N6 Factory
- Moderation: Silvan Winkler, GfK und Peter Jonker, 4N6 Factory
- Veranstaltungsort: GfK Switzerland AG, direkt beim Zürcher HB: Haus Stadthof, Schützengasse 4, 8001 Zürich, 3. Stock
- Datum/Zeit: Donnerstag, 29. September 2016, 17.00 Uhr bis 19.00 Uhr
An der Veranstaltung werden mögliche Hypothesen und Erklärungen zu den Umfrage-Ergebnissen diskutiert, sowie Einsichten aus dem praktischen Umgang mit Mobbing am Arbeitsplatz besprochen. Anmeldung: www.perikom.ch
Krankheitsbedingte Ausfälle und Folgekosten
Die Universität Zürich hat für den «Schweizer HR-Barometer» im Jahr 2012 eine Umfrage unter der Schweizer Erwerbsbevölkerung zum Thema «Wohlbefinden und Fehlverhalten am Arbeitsplatz» durchgeführt. Etwa zwei Prozent der Befragten haben angegeben, dass ihr Wohlbefinden aufgrund von Mobbing «schlecht» war und vier Prozent gaben an, dass sie krankheitsbedingt länger als ein Monat zu Hause bleiben mussten. Das führte für die betroffenen Unternehmen zu erheblichen Kosten, beispielsweise für Ineffizienzen und Fehler in Prozessen und Produktion, Die Einarbeitungen und zusätzliche Einstellen von Aushilfspersonen oder Neubesetzungen, Kündigungen, Untersuchungen, Mediation, juristische Beratung und Auseinandersetzungen sowie Schadenersatzklagen oder für medizinische Behandlungen, Therapien, Rehabilitationsmassnahmen und Medikamente.
Heikle Themen ignoriert
Die Umfrage der Universität Zürich zeigte auch, wie schwierig es ist, sensible Themen anzusprechen. Rund 40 Prozent der Befragten gaben an, dass an ihrem Arbeitsplatz die Thematik «Belästigung oder Missbrauch» entweder «überhaupt nicht», «eher nicht» oder »nur zum Teil» diskutiert werden kann.
Viele Ursachen von Mobbing liegen im Arbeitsumfeld und nicht nur bei den Direktbeteiligten. Die Unternehmenskultur und die Verhältnisse im direkten Arbeitsumfeld spielen deshalb eine zentrale Rolle, ob Mobbing offen angesprochen werden oder sich ausbreiten kann.
Fazit
Rund ein Drittel der Mitarbeitenden in der Schweiz fühlt sich an ihrem Arbeitsplatz gemobbt oder hat in den letzten 24 Monaten von Mobbing-Fällen Kenntnisse erhalten. Obwohl die Stichprobe der Umfrage repräsentativ war (n = 1935), sind die Ergebnisse mit Vorsicht zu geniessen. Es ist nicht möglich, schlüssig beurteilen zu können, ob es bei diesen Fällen definitionsgemäss tatsächlich um «Mobbing» handelte. Dennoch ist der Anteil beängstigend hoch. Nur gerade drei von zehn Befragten gaben an, sie hätten eine gute Kultur im Unternehmen, in welchem Mobbing nicht toleriert werde.
Die Ergebnisse aus der Umfrage von 4N6 Factory und GfK dürften das Top Management und die HR-Verantwortlichen Schweizer Unternehmen nachdenklich stimmen. Sie sollten prüfen, ob Mobbing auch in ihrer Organisation ein Thema ist allenfalls Massnahmen ergreifen.
Zu beachten bei der Aufklärung von Mobbing-Fällen
Die Untersuchung von Mobbing-Fällen ist häufig sehr aufwendig. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass nicht nur die Direktbeteiligten (Täter und Opfer) befragt werden müssen, sondern auch die Personen im Arbeitsumfeld, die Mobbing-Handlungen beobachtet oder gar mitverursacht haben.
Der Arbeitgeber in der Schweiz muss den Schutz des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz nach Arbeitsgesetz sicherstellen. Der Ermittler darf die Einflussfaktoren des Arbeitsumfeldes nicht ignorieren. Die Beurteilung der vorherrschenden Organisation, von Arbeits- und Entscheidungsprozessen, der lokal vorherrschenden Unternehmenskultur, der arbeitsbedingten Belastungen am Arbeitsplatz und im privaten Umfeld spielt deshalb bei Mobbing-Fällen eine wesentliche Rolle.
Untersuchungen im Bereich Mobbing sind schwer zu beweisen, wenn eindeutige schriftliche Beweisstücke fehlen. Die von subjektiven Eindrücken und individuellen Wert- und Gerechtigkeitsvorstellungen geprägten Schilderungen Beteiligter müssen dann umso sorgfältiger mit der Analyse des Arbeitsumfeldes und der herrschenden Unternehmenskultur kombiniert und in die Gesamtbetrachtung miteinbezogen werden. Beispielsweise können die Resultate aus Mitarbeiterbefragungen Hinweise auf eine zu hohe Arbeitsbelastung oder eine problematische Unternehmenskultur liefern.
Doch aufgepasst! Es gibt Fälle, bei denen sich später herausstellt, dass die Anschuldigungen haltlos sind und sich angebliche Mobbing-Opfer als Täter entpuppen. Der objektive Ermittler tut gut daran, neben der verständnisvollen auch eine konstruktiv kritische Grundhaltung einzunehmen. Das bedeutet, er muss sich sehr gut auf die Interviews vorbereiten und wissen, mit wem er zu tun hat.
Die Aufklärung von Mobbing-Fällen ist eine interdisziplinäre Angelegenheit. Das Wissen über die vorherrschende Kultur und die Erfahrungen aus der täglichen Praxis von HR-Personen sind genauso wichtig, wie das fachliche Know-how über arbeits- und strafrechtliche Themen und die Erfahrungen mit der Aufklärung solcher Fälle.