Serie Tatjana Strobel

Körpersprache im Vorstellungsgespräch: Teil 5

Körpersprache-Expertin Tatjana Strobel beschreibt in 10 Teilen exklusiv für hrtoday.ch, was der Körper eines Kandidaten während eines Bewerbungsgesprächs über dessen Befindlichkeit und Charakter verrät. Im fünften Teil geht es um die Lüge im Vorstellungsgespräch.

Die Lüge, ihre Geschichte, ihre Entstehung und Auswirkung sind weltweit ein spannendes, vor allem aber auch ein wissenschaftliches Thema für die Forschung. Die Fakten sind faszinierend und stimmen durchaus nachdenklich:

Pro Tag lügt jeder im Schnitt 200 Mal. Die Mehrheit dieser Lügen sind sogenannte Höflichkeitslügen oder Notlügen, beispielsweise Phrasen wie «Du siehst aber gut aus!», «Tolle neue Jacke!», «Wie war Dein Urlaub?» und «Klar möchte ich die Bilder sehen …», oder «Sorry für die Verspätung, der Verkehr war heute die Hölle!». Im Grunde ist diese Art der Lügen nicht wirklich schädlich. Man äussert sie, um das Gespräch am Laufen zu halten, eine gemeinsame Basis herzustellen oder die eigene Verlegenheit bzw. den eigenen Fauxpas zu überspielen.

Schwerer hingegen wiegen die geschätzt etwa zehn gefährlichen Lügen, mit denen wir pro Tag unter anderem auch in Vorstellungs- und Mitarbeitergesprächen konfrontiert werden, da sie unsere Entscheidungen massiv beeinflussen können. In Kenntnis der Wahrheit würde die eine oder andere Entscheidung anders ausfallen.

In den nächsten zwei Kolumnen werden wir uns mit den Motiven der Lüge und deren möglichen Erkennungszeichen auseinandersetzen.

Grundsätzlich kann man Lügen in offensive und defensive Motive einteilen. Bei den offensiven handelt es sich um Lügen, bei denen man sich besser darstellt, sich anderen gegenüber einen Vorteil verschafft, Bewunderung und Anerkennung des Umfelds erhalten möchte und mit denen Macht über andere ausgeübt wird. Also sehr gern genommene Gründe, um in einem Vorstellungsgespräch zu lügen. Man möchte sich im besten Licht präsentieren, um den begehrten Job zu erhalten, die Konkurrenten auszustechen, um an erster Stelle der Shortlist zu stehen.

Die defensiven Lügen werden hingegen eingesetzt, um sich vor Bedrohungen körperlicher oder emotionaler Art zu schützen, um unangenehmen Situationen zu entkommen, die Privatsphäre zu schützen. Dies könnte der Fall sein, wenn der Kandidat dringend auf den Job angewiesen ist, bereits eine Kündigung ausgesprochen wurde, oder sich die Arbeitslosenzeit dem Ende zuneigt.

Um die Lüge im Vorstellungsgespräch letzten Endes wirklich identifizieren zu können, sollte man die einzelnen Motive kennen und nachvollziehen können. Laut meiner eigenen Beobachtungen tauchen fünf Motive sehr häufig in Interviews auf. Lassen Sie uns diese mal etwas näher beleuchten.

Motiv 1: Sich einen Vorteil verschaffen

Jedem Bewerber ist klar, dass er im Wettbewerb mit anderen Kandidaten steht. Also wird mit kleinen aber gewichtigen Aktionen um die Aufmerksamkeit der Personalberater, Personalabteilung, zukünftigen Chefs gebuhlt, um möglichst den Zuschlag zu erhalten.

Motiv 2: Einen Benefit oder eine Belohnung kassieren, die man eigentlich gar nicht verdient hat

Menschen lügen häufig um etwas zu bekommen, was ihnen nicht zusteht. Die meisten fangen damit bereits im Kindesalter an. Kinder lügen bereits ab 0.5 Jahren und mit spätestens vier lügen 90 Prozent aller Kinder. Häufigste verbale Lüge: «Ich war das nicht!» Auf das Vorstellungsgespräch gemünzt, findet man dieses Motiv, wenn es um die Gehaltsverhandlungen/Boni/Zusatzleistungen geht. Natürlich möchte man im neuen Job auch mehr verdienen, also wird das Vorstellungsgespräch als Pokerplattform genutzt, um seinen eigenen Wert in die Höhe zu treiben.

Motiv 3: Sich besser darstellen, um die Anerkennung und Bewunderung  zu bekommen und einen positiven Eindruck zu hinterlassen

Dies ist in Vorstellungsgesprächen ein weitverbreitetes Motiv. Allein in Bewerbungsunterlagen und Gesprächen lügen laut einer Studie aus den USA 60 Prozent aller Menschen. Es werden Sprachaufenthalte in den Lebenslauf eingebaut, obwohl man in Wahrheit gerade arbeitslos war oder Burnout-bedingt mehrere Monate ausgefallen ist. Verantwortlichkeiten werden gerne geschönt oder hochstilisiert, aus 5 werden schnell 8-10 Mitarbeiter. Hier lohnt es sich ganz genau hinzuschauen und bei einem schlechten Bauchgefühl lieber zwei-, dreimal mehr nachzufragen, als zu wenig.

Motiv 4: Angst vor Absagen oder Peinlichkeiten

Eine weitere Motivation eine Lüge auszusprechen, ist es, wenn man mit der Wahrheit eine Absage kassieren könnte oder  ein schlechtes Bild hinterlassen würde. Negative Erfahrungen mit Vorgesetzten, ausgesprochene Kündigungen oder grössere Konflikte wie etwa Mobbing in einer der letzten Arbeitsstätten werden geflissentlich unter den Teppich gekehrt, um das Bild vom guten und psychisch stabilen Mitarbeiter nicht zu gefährden.

Motiv 5: Die eigene Privatsphäre schützen

Jeder Mensch hat seine Themen, seine Probleme, Ängste und Sorgen, doch die meisten von uns entscheiden, diese nur im engsten Umfeld zu diskutieren oder sich dort Hilfestellung zu holen, deshalb ist es nicht weiter verwunderlich, dass Kandidaten lügen, wenn sie das Gefühl haben, dass es ans «Eingemachte» geht, die Fragen zu sehr in die Intimsphäre eindringen.

Liebe Leserinnen, liebe Leser, achten Sie die nächsten Tage mal verstärkt auf Ihr Bauchgefühl in Sachen Lüge und überlegen Sie, welches Motiv der Kandidat haben könnte, eine Lüge auszusprechen?

In der kommenden Kolumne schauen wir uns dann an, welche Indizien in Mimik, Körpersprache, Stimme und Sprache die Lüge verraten könnte.

Viel Freude beim Beobachten!

Herzlichst

Tatjana Strobel

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Tatjana Strobel ist Expertin für Körpersprache, Physiognomie und Menschenkenntnis, Bestsellerautorin und Gründerin des Unternehmens «TS HeadWorx». www.tatjanastrobel.ch, www.mesmerize-it.ch

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