Leben und Führen in einer verbundenen Wirklichkeit
Die Besorgnis über den Zustand unserer Welt wächst bei Führungskräften aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft ebenso rasant wie beim Normalbürger. Weltweit verspüren Menschen die Notwendigkeit für einen Wechsel. Plädoyer für ein gesamtheitliches Führungs- und Lebenskonzept.
(Illustration: iStockphoto)
Vielen Menschen ist klar geworden, dass das gegenwärtige Bestreben nach individuellem Erfolg und kurzfristigem Konsum für die Menschheit eine existenzielle Bedrohung darstellt. Allerdings ist ein Paradigmenwechsel nicht ohne die Erkenntnis um die eigene Verantwortung zu schaffen. Die selbst kreierten sozio-ökonomischen Probleme lassen sich nur in den Griff bekommen, wenn jeder einzelne seine Rolle und Aufgabe überdenkt, statt weiterhin die Lösung bei anderen zu suchen. Die Führungskonzepte von heute, die naturgegeben das Produkt unserer Gesellschaft sind, müssen wohl oder übel überdacht werden.
Die Komplexität der aktuellen Probleme (Wasserknappheit, Energieversorgung, politische Konflikte, Jugendarbeitslosigkeit, etc.) verlangen ein neues Mass an Kooperationsfähigkeit. Der Individualismus unserer Tage hat zwar nicht komplett ausgedient – das Konzept der Individualität muss allerdings um das Verständnis ergänzt werden, dass alles mit allem verbunden ist. Diese neue «Wirklichkeit» bezeichnete der Quantenphysiker David Bohm als Verbundenheit (Interconnectedness). Die modernen Naturwissenschaften haben unser Weltbild verändert. Damit wird sich auch das Menschenbild verändern müssen.
Der Eintritt in eine neue Wirklichkeit
Diese Zäsur in der Wahrnehmung des Menschen ist nicht die erste – und es wird auch nicht die letzte gewesen sein. Bereits in der Epoche der Renaissance, im 15. und 16. Jahrhundert, wurde das bisherige Weltbild in Frage gestellt. Der Mensch trat heraus aus der Anonymität, um nunmehr als Individuum gesehen zu werden. So begannen Maler jener Zeit, ihre Werke zu signieren. Sie selbst waren es, die Beachtung finden wollten – nicht nur für ihre Werke, die sie zum Lobe Gottes geschaffen hatten.
Heute stehen wir wieder an der Schwelle zu einer vollkommen veränderten Sicht auf den Menschen.
Seit die Quantenphysik dem Phänomen Bewusstsein einen alles bestimmenden Stellenwert im Universum zugewiesen hat, erkennt sich der Mensch zunehmend als Teil einer universellen Einheit. Das menschliche Bewusstsein hat Teil am Bewusstseinsfeld des «kosmischen Ur-Grunds», der von Wissenschaftlern auch als «Informationsfeld» bezeichnet wird.
Wir erkennen, wie sehr wir unser Denken und Handeln einsetzen können, um etwas zu bewirken oder zu verändern. Die Quantenphysiker erkannten das menschliche Bewusstsein als letzte Instanz im Universum. Unsere Gedanken bestimmen die im Kosmos wirkenden Prozesse, die als die «Wirklichkeit» zu verstehen sind. Diese Wirklichkeit gibt dem Menschen eine neue Würde, ein neues Selbstverständnis – und eine neue Verantwortung. Denn wenn der Mensch über seinen Geist zum Teil der kosmischen Einheit wird, wenn er mit dem Ganzen global verbunden ist, dann haben auch alle seine Handlungen und Gedanken eine Wirkung auf das Ganze.
Die Erkenntnisse der Quantenphilosophie, die im Übrigen kongruent sind mit den Weisheiten der jahrtausendealten Traditionen unserer Vorväter, sind nicht neu. Sie sind vielmehr in Vergessenheit geraten. Viele von uns kennen das Gefühl der Verbundenheit aus Bereichen des täglichen Lebens, aus der Familie oder aus dem Sport. Etwa, wenn ein Sportler davon redet, in der «Zone» gewesen zu sein («Zone of High Performance»). Es gilt vielmehr, sich auf die Realität der Verbundenheit zurückzubesinnen und dieses Wissen in alle Bereiche unseres Lebens einfliessen zu lassen.
Das Implementieren eines holistischen Konzepts zur Förderung des menschlichen Potenzials kann aber nur gelingen, wenn die Anregung und Anleitung zu einem grundsätzlichen Umdenken den gesamten Lebensweg des Menschen begleitet. Dies kann entlang acht verschiedener Lebensphasen geschehen, die ich im Folgenden kurz umreisse.
1. Pränatale Lebensphase
Aus den Studien der Epigenetik wissen wir um den Einfluss der Umwelt auf die Gesundheit und den Intellekt des Ungeborenen (insbesondere in den letzten vier Wochen vor der Geburt). Fast noch wichtiger hierbei ist allerdings die Erkenntnis, dass die Umwelt auch einen Einfluss auf das Genom des Ungeborenen hat – und dadurch auch auf die Generationen der noch Ungeborenen.
2. + 3. Frühkindliche Lebensphase
Die Erkenntnisse der Neurowissenschaften, insbesondere über die Existenz der Spiegelneuronen, können in der frühkindlichen und vorschulischen Erziehung genutzt werden. So lässt sich die Entwicklung des Gehirns – als soziales Organ – entsprechend unterstützen, um das emotionale Potenzial des Kindes gezielt zu fördern.
4. + 5. Schulische Lebensphase
Die schulische Ausbildung gibt genügend Gelegenheit dafür, mit Kindern über eine verantwortungsvolle Rolle in der Gesellschaft – für sich und andere – zu diskutieren. Das Verständnis um Verbundenheit lässt sich pragmatisch und real in vielen Aktivitäten in der Schule einbauen.
6. + 7. Berufliche Lebensphase
In der Aus- und Weiterbildung sowie in der Berufswelt können bereits bestehende Entwicklungsprogramme angepasst werden und um praktisches Arbeiten in Projekten mit sozialem Ansatz ergänzt werden.
Durch die Verknüpfung von Theorie und Praxis lässt sich der Lernerfolg auch nachhaltig sichern. Insbesondere Führungskräfte oder Führungsnachwuchs sollten die Gelegenheit erhalten, eine aktive Rolle in der globalen Gemeinschaft zu bekommen. Diese Vorgehensweise würde noch einen weiteren positiven Aspekt unterstützen. Insbesondere für die Generation Y wird die Qualität und Grösse des eigenen globalen Netzwerkes für die eigene Karriere von elementarer Bedeutung sein.
8. Nachberufliche Lebensphase
Die Phase nach dem aktiven Berufsleben kann genutzt werden, um systematisch Wissen und Erfahrung über Generationsgrenzen hinweg zu vermitteln.
Beispiele aus England, wo pensionierte Frauen über Skype Kindern in Indien Englisch beibringen, können flächendeckend adaptiert und kopiert werden – zum Nutzen und Vergnügen aller.
Fazit
Die philosophische Erkenntnis, die der heutige Mensch den modernen Naturwissenschaften verdankt, gilt es zu würdigen. Es geht darum, ein weltweites Umdenken einzuleiten, zum Wohle möglichst aller Menschen. In diesem Paradigmenwechsel kommen Unternehmen, Organisationen und ihren HR-Abteilungen eine zentrale Bedeutung zu. Eine spannende und herausfordernde Zeit für uns alle.
Carsten Sudhoff live
An der Personal Swiss referiert er als Keynote-Speaker zum Thema «Interconnected Leadership – The imperative of collaboration»
Mittwoch, 9. April 15.15–16.00 Uhr, Forum 2, Sprache: Englisch