HR Today Nr. 6/2019: Praxis – Arbeit und Recht

Leistungslohn: Leistung bewerten statt bemessen

Teamleistungen werden ambivalent wahrgenommen: Die einen heben die Gefahr des Trittbrettfahrens hervor («Team» = «Toll, ein anderer machts»). Die anderen schwärmen von der «Kooperationsrendite». Denn in gut funktionierenden Teams kann das Gesamtergebnis der Teamleistung die Summe der Einzelleistungen erheblich übertreffen. Der Wert der Einzelleistungen im Team lässt sich allerdings kaum je exakt berechnen und zuordnen. Ist ein variabler Leistungslohn für die einzelnen Teammitglieder damit ausgeschlossen?

Beim Leistungslohn erweist sich die Kausalität von Leistung und Arbeitsergebnis als eines der herausforderndsten Themen. Die juristische Literatur unterscheidet meistens zwischen sogenannt «echtem» und «unechtem» Leistungslohn. Als «echter» Leistungslohn gilt variables Arbeitsentgelt, das ausschliesslich von der Leistung des Arbeitnehmers abhängt. «Unechter» Leistungslohn soll gegeben sein, wenn «die Leistung des Arbeitnehmers nur als einer von mehreren Faktoren in die Bemessungsgrundlage einfliesst.»¹

Im Grunde gibt es den «echten» Leistungslohn nicht: Jede Arbeitsleistung wird stets durch Faktoren mitbeeinflusst, die ein Arbeitnehmer nicht steuern kann, und sei es seine wetterabhängige Tagesform oder der Schmetterlingseffekt.² Die Beeinflussbarkeit von Leistungslohn ist also stets nur eine graduelle, nie eine ausschliessliche.

Die gleiche Problematik stellt sich, wenn man bei Teamleistungen die Einzelleistung dem Teamerfolg zuordnen will. Ein Beispiel: In einer grösseren Versicherungsgesellschaft erhalten zwei Lebensversicherungsvertreter nebst dem Grundlohn einen variablen Lohnanteil. 20 Prozent ihres Umsatzes fliessen in einen Team-Umsatzpool, der unter ihnen beiden hälftig geteilt wird.

Einer der beiden Versicherungsvertreter ist faul, der andere fleissig. Dennoch verkauft der Faule mehr Versicherungen. Denn ihm wurde das Villenviertel als Rayon zugeteilt, während sich der Fleissige im städtischen Arbeiterquartier abmüht. Weil er dort aber grossen Einsatzwillen zeigt, wird auch der Fleissige ins Villenviertel versetzt. Hier verkauft er (trotz langer Arbeitsstunden) weniger als sein fauler Kollege. Denn der ist charmanter, einnehmender, eloquenter – berufstypisch gesehen bei geringerer Einsatzbereitschaft einfach leistungsfähiger. Schon bei diesem Beispiel fällt die Zuordnung des variablen Lohns zur korrespondierenden Einzelleistung offensichtlich nicht leicht.

Im Administrativbereich entlastet eine Büroassistentin die beiden Versicherungsvertreter. Je mehr diese entlastet werden, desto mehr können sie umsatzwirksame Zeit beim Kunden verbringen, was sich wiederum auf ihren Umsatz und ihren Leistungslohn auswirkt. Wie viel zusätzliche Zeit die Assistentin durch ihre Arbeit «freiräumt», dürfte faktisch kaum feststellbar sein, obschon mathematisch denkbar (harter Beitragsfaktor). Die Büroassistentin ist fleissig und verlässlich. Selbständig erbringt sie hohe Arbeitsqualität. Mit sonnigem Gemüt leistet sie einen wichtigen Beitrag zu gutem Betriebsklima, und ihre charmante Telefonstimme trägt wesentlich zur Kundenbindung bei (weicher Beitragsfaktor).

Wie aber soll man diese Einzelleistung der Assistentin einem messbaren Arbeitsergebnis zuordnen? Wenn man sie mit variablem Leistungslohn für vergangene Leistungen belohnen und für die Zukunft motivieren will: Warum ihre Arbeitsleistung nicht bewerten, statt sich mit der Nichtmessbarkeit ihrer Arbeitsergebnisse abzufinden? Leistungslohn für nicht messbare, schwer zuordenbare Einzelleistungen haben in den meisten Branchen allerdings wenig oder keine Tradition. Im Gegenteil.

Ineffizienzbonus vs. Effizienzstrafe

In der wirtschaftlichen Realität erhalten Minderleister oft eine Art «Ineffizienzbonus», weil sie – überspitzt ausgedrückt – für Präsenzzeit mit geringer Leistung oder gar für unnötige Überstunden bezahlt werden. (Davon ist natürlich jene Überstundenarbeit zu unterscheiden, die trotz hoher Effizienz wegen übermässigen Arbeitsanfalls erbracht werden muss.) Der Ineffizienzbonus scheint keine Einzelfallerscheinung zu sein. Praktisch jeder Vorgesetzte weiss, wer in seinem Team die Leistungsträger sind, und wen man lediglich «mitträgt». Dabei liesse sich das Ausmass der Minderleistung auch im Bereich qualitativer Arbeitsbewertung ohne weiteres feststellen, wenn das Qualifikationswesen ernst genommen würde. Das ist allerdings oft nicht der Fall, namentlich weil es vielen Arbeitgebern schwerfällt, Minderleister mit ihrer Minderleistung zu konfrontieren. Das könnte sie demotivieren, und schlechte Qualifikationen lassen zudem auch den Vorgesetzten schlecht aussehen. Man wählt also den Weg des geringsten Widerstands.

Später folgt dann doch die Kündigung, und nun fehlen im Arbeitsprozess (zur angeblich missbräuchlichen Kündigung) in der Personalakte die Belege für ungenügende Arbeitsleistung. Umgekehrt werden die Leistungsträger im Unternehmen «zur Belohnung» zusätzlich mit jener Arbeit bedacht, die wegen der Ineffizienz anderer liegen blieb. Das frustriert zwar, aber Leistungsträger gehen die Extrameile ohne Murren. Denn (so glauben sie) ihre Leistung werde ja geschätzt, könnte zu einer Beförderung führen, und Burnout trifft immer die anderen.

Gerade in Bereichen, in denen die Mehr- oder Minderleistung nicht direkt messbar ist, scheint sich variabler Lohn nach bewerteter statt nach bemessener Leistung als Korrektiv anzubieten. Eine entsprechende Vertragsklausel könnte beispielsweise wie folgt lauten:

«Die Mitarbeiterin erhält einen fixen Grundlohn in Höhe von CHF 5000.– brutto pro Monat, und zudem – abhängig von der jährlichen Leistungsbeurteilung – einen jährlichen variablen Lohnanteil.

Die jährliche Leistungsbeurteilung umfasst mindestens die Kriterien Leistungsbereitschaft, Effizienz, Verlässlichkeit und Mitdenken. Die effektiv geleistete Arbeitszeit gilt an sich nicht als Beurteilungskriterium und ist von der Leistungsbereitschaft zu unterscheiden, denn effiziente Mitarbeitende leisten für die gleiche Arbeit naturgemäss weniger Arbeitsstunden als ineffiziente. Über die Mindestkriterien hinaus kann die vorgesetzte Stelle weitere Beurteilungskriterien vorsehen, insbesondere (wo möglich) messbare individuelle Leistungsziele. Jedes Beurteilungskriterium wird auf einer Skala von 1 bis 5 bewertet: hervorragend (5), sehr gut (4), erfüllt die Erwartungen (3), knapp genügend (2), ungenügend (1). Einzelne Kriterien können für die Gesamtbeurteilung einzelfallgerecht mehrfach gewichtet werden.

Für eine Gesamtbeurteilung ≥ 4 beträgt der jährliche variable Lohn CHF 15 000.– brutto. Die weiteren Abstufungen sind: 
Gesamtbeurteilung ≥ 3 = CHF 5000.– brutto; Gesamtbeurteilung ≥ 2 = CHF 1000.– brutto; Gesamtbeurteilung < 2 = CHF 0.– brutto.»³

Subjektiv bedeutet objektiv

Beim wertungsbasierten Leistungslohn nach dem «Schulnotensystem» im hier beschriebenen Sinn wird die Arbeitsleistung vom Vorgesetzten subjektiv wahrgenommen, und er kann die Arbeitsergebnisse nicht messen, um den Leistungslohn zu bestimmen. Dennoch versteht sich Leistungslohn nach bewerteter Arbeitsqualität keineswegs als freiwilliger Bonus im Sinn einer Gratifikation (Art. 322d OR). Dies, obschon das Bundesgericht in einem Entscheid aus dem Jahr 2009 den Anschein erweckte, wenn Leistungslohn «von der subjektiven Einschätzung der persönlichen Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber» abhänge, sei darin ein Indiz für eine freiwillige Sonderleistung der Arbeitgeberin zu erkennen.⁴

Ein Jahr später hat das Bundesgericht präzisiert, bei grundsätzlich zugesichertem, aber im Umfang unbestimmtem Leistungslohnanspruch stehe der Leistungslohn nicht mehr «vollständig im Belieben des Arbeitgebers». Vielmehr habe dieser die Höhe des Leistungslohns «nach billigem Ermessen festzusetzen».⁵ Das Bundesgericht verweist also auf Treu und Glauben (Art. 2 Abs. 1 ZGB), aber indirekt auch auf Art. 4 ZGB, wonach Richter Ermessensentscheide nach Recht und Billigkeit treffen sollen. Pflichtgemäss ausgeübtes richterliches Ermessen soll zwar einzelfallgerecht, aber objektiv begründet sein. Der Richter soll sachlich nachvollziehbar und damit verständlich begründen, um sein Urteil für alle Parteien akzeptierbar zu machen.⁶

Gebundenes, pflichtgemässes 
Ermessen

Was für Richter gilt, muss auch für Arbeitsverträge gelten: Gestehen sich Vertragspartner gegenseitig Ermessensentscheide zu, haben die Vertragspartner diese Ermessensentscheide analog den Richtern ebenfalls pflichtgemäss, nämlich gemäss der entsprechenden vertraglichen Pflicht, auszuüben. Das freie Ermessen der Arbeitgeberin wandelt sich beim ermessensgebundenen Leistungslohn also in gebundenes oder pflichtgemässes Ermessen. Wenn die Leistungslohnhöhe vertragsgemäss von der Beurteilung der «Leistungs- und Einsatzbereitschaft» oder von der Beurteilung der «Erfüllung von qualitativen [...] Leistungsvorgaben» abhängt,⁷ ist meiner Ansicht nach vertraglich zugesicherter Lohnbestandteil gegeben, dessen Höhe aufgrund objektiv-sachlicher Beurteilung festzulegen ist, was gerichtlich überprüft werden kann.

Auch wenn der Vorgesetzte seine subjektive Wahrnehmung in die Bewertung der Arbeitsqualität der Arbeitnehmer umlegt: Die Bewertung hat dennoch nach objektiven, sachlichen Kriterien zu erfolgen – ein Ansatz, der nur bei ernstgenommenem Qualifikationswesen gut funktioniert. Wobei zu gutem Qualifikationswesen immer auch Wortgewandtheit gehört. Subjektives Empfinden, das aber doch mit dem Anspruch objektiver Beurteilung vorgetragen wird, ist in der Juristerei ja nichts Neues. Man denke an die Schlagworte: «Eine gute Juristin findet für alles eine Begründung», und als Pendant dazu: «Zwei Juristen, drei Meinungen». Keine zwei Arbeitgeberinnen, keine zwei Arbeitsrichter beurteilen die gleiche Arbeitnehmerleistung gleich, auch wenn sie darauf achten, sich nicht von oberflächlichen Eindrücken und Vorurteilen leiten zu lassen.

Natürliche Vermutung guter Arbeitsleistung?

Gleich wie beim Arbeitszeugnis, mit dem die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer ebenfalls die Beurteilung und Bewertung seiner Arbeitsleistung schuldet, stellt sich die Frage, wer im Streitfall was beweisen muss (Art. 8 ZGB). Beim Arbeitszeugnis wird zur Beweislast teilweise die 
Meinung vertreten, im Fall der Beweislosigkeit sei – im Sinn einer natürlichen Vermutung – die Bestätigung einer «guten» Arbeitsleistung geschuldet, während die Arbeitgeberin die Beweislast für eine schlechtere, der Arbeitnehmer die Beweislast für eine bessere Beurteilung treffe.⁸ Ich halte diesen Ansatz (auch beim Leistungslohn im Ermessensbereich der Arbeitgeberin) für tauglich und vernünftig, denn auch die Arbeitgeberin ging bei der Anstellung von der Vermutung aus, künftig einen guten Arbeitnehmer zu beschäftigen.

Quellen:

  • ¹ ULLIN STREIFF/ADRIAN VON KAENEL/ROGER RUDOLPH, Arbeitsvertrag – Praxiskommentar zu Art. 319 – 362 OR, Zürich/Basel/Genf 2012, ad Art. 322 OR N 2, S. 274.

  • ² Der chaos-theoretische Begriff des «Butterfly Effect» steht – äusserst verkürzt umschrieben – für das Prinzip «kleine Ursache, grosse Wirkung» und findet seine Wurzel in einem Vortrag des amerikanischen Metereologen EDWARD N. LORENZ, den er 1972 unter dem Titel hielt: «Predictability: Does the flap of a butterfly’s wings in Brazil set off a tornado in Texas?»

  • ³ Diese Musterklausel und die Erläuterungen dazu basieren auf HEINZ HELLER, Leistungslohn und Minderleis­tung, in: Müller / Pärli / Wildhaber (Hrsg.), Arbeit und Arbeitsrecht, Festschrift für Thomas Geiser zum 65. Geburtstag, Dike 2017.

  • ⁴ BGer 4A_28/2009 vom 26. März 2009, Erw. 2.3.

  • ⁵ BGE 136 III 313, Erw. 2.3.

  • ⁶ Vgl. HANS-JAKOB MOSIMANN, Entscheidbegründung, Zürich/St. Gallen 2013, S. 1 und 23.

  • ⁷ Vgl. BGE 138 I 356, Erw. 5.4.3 und 5.4.4.

  • ⁸ Vgl. die Zusammenschau der Lehrmeinungen zur Beweislast beim Arbeitszeugnis in BVwGer A-32/2012 vom 27. Juni 2012, Erw. 5.3.

Disclaimer:

Rechtslage per Zeitpunkt der Publikation (Redaktionsschluss) sowie unter Voraussetzung der ausschliesslichen Anwendbarkeit des Obligationenrechts (OR) und des Arbeitsgesetzes (ArG), nebst speziell erwähnten weiteren Rechtsquellen. Im konkreten Einzelfall hängt die Eignung oder rechtliche Durchsetzbarkeit der hier präsentierten Vorgehensweisen zwingend von weitergehendem qualifiziertem Rechtsrat ab. Dies nicht nur, aber auch, weil der Umfang des vorliegenden Beitrags redaktionell eng limitiert und somit unvollständig ist.

 

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Dr. Heinz Heller 
praktiziert als Fachanwalt SAV Arbeitsrecht. Er berät überwiegend Arbeitgeber und Manager.

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