HR Today Nr. 4/2019: Weiterbildung

Lernen à la carte

Was wir von anderen Bereichen wie dem Musikstreaming kennen, hält nun auch Einzug in der Weiterbildung. Sie wird individueller und auf die Bedürfnisse der Lernenden zugeschnitten. Ein Ausblick auf die Art, wie wir künftig lernen werden.

Lebenslanges Lernen ist als Ziel weitläufig akzeptiert. Die dafür verfügbaren Ressourcen und Mittel erscheinen aber immer zu knapp. Dies gilt für Schulen und Hochschulen (Klassengrösse) ebenso wie für die Berufsbildung (Ausstattung mit zeitgemässen Computern) und die betriebliche Weiterbildung (knappe Budgets). Kommt hinzu, dass unsere Welt bunter geworden ist und Lebensläufe sowie Berufs- und Bildungsbiografien vielfältiger sind als früher. Nicht zuletzt haben sich unsere Erwartungen an Dienstleistungen und Produkte geändert. Was wir vom Musikstreaming-Dienstleister gewohnt sind (meine Playlist), erwarten wir zunehmend auch von der Bildung: eine auf meine persönlichen Voraussetzungen und Ziele zugeschnittene Abfolge von Lerninhalten (Lernpfad).

Doch ist individuelles Lernen von Erfolg gekrönt? Das bejahen zumindest experimentelle Studien der 1980er-Jahre, in denen 30-köpfige, frontal unterrichtete Lerngruppen mit Lernenden verglichen wurden, die in den Genuss einer individuellen tutoriellen Betreuung kamen. Bei der Überprüfung des Lernerfolgs schnitten die individuell betreuten Lernenden deutlich besser ab als die Mitglieder der anderen Lerngruppe (Bloom 1984). Die tutorielle Einzelbetreuung von Lernenden ist in der Regel aber kein bezahlbares Modell – weder an Schulen und Hochschulen noch in der Berufsbildung oder der betrieblichen Weiterbildung.

Die technischen Entwicklungen der letzten Jahre haben jedoch Lernumgebungen geschaffen, welche die kostengünstige individuelle Betreuung vieler Menschen ermöglichen. Die Rede ist von adaptiven Lernumgebungen beziehungsweise intelligenten tutoriellen Systemen wie Lernkarteikartenanwendungen (knowledgefox.net), Sprachlernapps (duolingo.com), sogenannten Learning-Experience-Plattformen (edcast.com) oder tutoriellen Systemen (bettermarks.com für Mathematik und knewon.com für Grundlagenfächer).

Die Schlüsselkomponenten

Diese Lernlösungen werden als adaptiv bezeichnet, weil Computer als interaktive Lehr- und Lernhilfen eingesetzt werden. Sie passen sich in Echtzeit an die jeweiligen Benutzer und deren Lernstand an und weisen ihnen spezifische Materialien und Hilfestellungen zu. Häufig werden den Lernenden dabei kleinste Aufgaben präsentiert, beispielsweise Karteikarten mit Vokabeln oder Fragen zu den Eigenschaften eines bestimmten Funktionselements in einer tierischen Zelle.

Abhängig davon, ob Lernende die vorgelegten Fragen richtig beantworten, wie schnell dies geschieht, ob sie Hilfe anfordern und wie sicher sie sich ihrer Antworten sind, werden Rückschlüsse auf ihren Wissensstand gezogen. Davon ausgehend werden zu ihrem Wissensstand passende Lernelemente ausgewählt und vorgelegt. Damit eine individualisierte Führung der Lernenden möglich ist, benötigen solche Lernlösungen drei unterschiedliche Komponenten, in denen die Daten des Lernenden verarbeitet und die Interaktion zwischen Mensch und Lernumgebung gesteuert werden (siehe Abbildung).

Das Domänen-Modell beinhaltet Informationen zu fachlichen Konzepten und Inhalten (etwa zu den Grundbegriffen der Zellbiologie), zu einzelnen Lernobjekten (Beispiele, Grafiken oder Übungsaufgaben) und zu den Beziehungen dieser Elemente untereinander. Das Tutorielle Modell zeigt dagegen die Abfolge von Lernelementen (Lernpfade) auf, wann dem Lernenden welche Informationen im Lernprozess zur Verfügung gestellt werden und in welcher Form ihm Feedback gegeben wird. Im Lernenden-Modell kommen schliesslich jene Daten zusammen, die Aufschluss darüber geben, welche Elemente des Domänen-Modells der Lernende bereits bearbeitet hat, ob er diese verstanden hat und wie viele Wiederholungen und Übungsaufgaben er brauchte, um ein mittelmässig schwieriges Konzept zu beherrschen.

Annähernd so wirksam wie menschliche Tutoren

Mittlerweile sind eine ganze Reihe von Systemen verfügbar, die auf unterschiedliche Inhalte (Sprachen versus Naturwissenschaften), unterschiedliche Lernformen (Lernen mit einer App am Mobiltelefon oder am Computer) und unterschiedliche Bildungskontexte (Schulen, Hochschulen oder betriebliche Weiterbildung) ausgerichtet sind.

Wie steht es nun um die Leistungsfähigkeit von adaptiven Lernumgebungen? Können sie Lernende im Lernprozess so gut unterstützen wie menschliche Tutoren? Dass solche Systeme Lernende effektiv unterstützen und nahe an die Wirksamkeit eines menschlichen Tutors herankommen, hat bereits die Studie von VanLehn im Jahr 2011 gezeigt.

Eine aktuelle Meta-Studie von Kulik und Fletcher aus dem Jahr 2016, bei der 50 wissenschaftliche Einzelstudien ausgewertet wurden, kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Studierende, die von intelligenten tutoriellen Systemen unterstützt wurden, erzielten in 46 der 50 ausgewählten Studien bessere Ergebnisse als Studierende in traditionellen Lehr-Lern-Situationen.

In 39 der 50 ausgewählten Studien waren die Leistungsunterschiede sogar substanziell. Dabei ist jedoch in Betracht zu ziehen, dass sich diese Ergebnisse auf Lösungen beziehen, die mutmasslich auf Mathematik, naturwissenschaftliche Fächer und die Ausbildung an militärischen Geräten ausgerichtet waren. Inwiefern vergleichbare Ergebnisse bei kommerziellen, aktuell verfügbaren adaptiven Lernumgebungen erreicht werden, bleibt daher unklar.

Ermutigend ist ein Bericht in der Hochschul-IT-Zeitschrift «EDUCAUSEreview» über die Einführung der adaptiven Lernplattform Intellipath an der Technischen Hochschule Colorado, die mit positiven Ergebnissen aufwartete. So stieg der Anteil der bestandenen Semesterprüfungen im Bereich Rechnungswesen gemäss einer Evaluation dieser Hochschule von 54 Prozent auf 81 Prozent, was einem Zuwachs von 27 Prozent entspricht und eine um 9 Prozent verringerte Abbruchquote bedeutet.

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Christoph Meier ist Geschäftsführer des Swiss Competence Centre for Innovations in Learning am Institut für Wirtschaftspädagogik der Universität St. Gallen.

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