HR Today Nr. 1&2/2019: Learning – Wir wollen spielen!

Skillshift, Mindshift, Toolshift: Lernen im Wandel

Durch die digitale Transformation der Arbeitswelt steht das betriebliche Lernen vor einem Paradigmenwechsel. Dabei geht es nicht nur darum, sich neues Wissen anzueignen, sondern neue Verhaltensweisen einzunehmen und sich von alten Denkmustern zu verabschieden.

Unser Gehirn muss massive Veränderungen und neue Lerninhalte in einer grossen Fülle und Schnelligkeit bewältigen. Dabei ist es in seiner jetzigen Form im Grunde noch genau so beschaffen, wie vor hunderttausend Jahren. Eine Herausforderung für Lernende.

Neurologisch ausgebremst

«Aus der Forschung wissen wir, dass unser Gehirn zwar sehr lernfähig ist, der Umbau von Nervenzellverschaltungen aber eben nicht so schnell geht», so der Psychologe Dr. Axel Koch, Professor für Training und Coaching an der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning bei München. «Beim Veränderungstempo gibt es neurologische Grenzen. Der Wandel der Arbeitswelt verlangt jedoch von den Mitarbeitenden, sich in einem Mass und einer Schnelligkeit neues Wissen und andere Verhaltensweisen anzueignen, dass das menschliche Gehirn schlicht nicht nachkommt.»

Einstellungen fest verankert

Zum einen geht es um reines Wissenslernen, zum anderen um Verhaltenslernen. Und beides ist eng miteinander verknüpft. «Individuelle Gewohnheiten und bestimmte Verhaltensweisen sind im Gehirn als stabile Datenautobahnen hinterlegt», erklärt Koch.

Ändert sich das Jobumfeld, müssen sich auch Verhaltensweisen und Routinen ändern und erfordern eine neue Einstellung zum Lernen. «Je umfangreicher die Veränderungen sind, desto mehr Zeit braucht der Mensch, um sich darauf einzustellen.» Veränderungsausmass und -tempo bestimmen letztlich auch den Lernerfolg. Nur: «Das Gehirn wird nicht schneller, bloss weil ich es fordere», so Koch.

Weniger ist mehr

Netzwerkorganisationen, neue Modelle wie demokratische und agile Führung oder agiles Arbeiten sind en vogue. «Das ist für Menschen, die aus einer anderen kulturellen Denkweise, aus einer hierarchischen Unternehmenswelt kommen, völliges Neuland», warnt Koch. «Gerade beim agilen Arbeiten ist die Einstellungsänderung eine der schwierigsten und grössten Herausforderungen. Die Forschung zeigt, wie tief Einstellungen und Glaubenssätze im Menschen verankert sind.»

Dabei sei gerade das Lernen auf Verhaltensebene für die Unternehmen zunehmend wichtig. Um die Mitarbeitenden zu den notwendigen Veränderungs- und Lernschritten zu motivieren, plädiert Koch eher für das Prinzip: weniger ist mehr. «Eine grosse Zahl Themen gleichzeitig zu initiieren, ist eher kontraproduktiv, schürt Frust und macht unter Umständen sogar krank.»

Der rasante Wandel in der Arbeitswelt und der schnelle technische Fortschritt zwingen Arbeitnehmende, sich ständig weiterzubilden, während Unternehmen den Bogen vom Mitarbeitenden zur lernenden Organisation spannen müssen. Laut der weltweiten Studie der ManpowerGroup «Skill Revolution»¹ schätzen Arbeitgeber, dass mit der Digitalisierung genauso viele neue Jobs geschaffen wie abgebaut werden. Ausserdem rechnen sie mit einem Umbruch in den Profilen: Menschliche Stärken wie Kommunikations- oder Problemlösungskompetenz rücken in den Fokus.

Dabei ist den Unternehmen gemäss dieser Studie die Weiterbildung wichtiger, als die Einstellung hochqualifizierter Fachkräfte. «Das betriebliche Bildungsmanagement muss sich darauf einstellen, dass sich das Learning-Spielfeld extrem verändert», so Christoph Meier, Geschäftsführer scil der Universität St. Gallen. Im Auftrag der Allianz University (AllianzU) hat das Institut die Veränderungen von Lernprozessen und deren Gestaltung im Hinblick auf die digitale Transformation untersucht.²

Die Studie kommt zum Schluss, dass die Ausgestaltung verschiedener Handlungsfelder wie Leistungsportfolio, Kundenerlebnis, Prozesse, Rollen und Infrastrukturen geprüft und weiterentwickelt werden müssen. Ebenso wichtig sei es für die unternehmensinterne Bildung, die eigene Leistung mit Angeboten externer Dienstleister zu ergänzen, zu bündeln und nutzbar zu machen.

Kompetenzen für die Zukunft

Digitale Kompetenzen werden immer wieder als Kernkompetenz für die Zukunft gehandelt, dabei bleibt aber laut Meier häufig unklar, was damit eigentlich gemeint ist. Aus seiner Sicht ist es wichtig, verschiedene Aspekte zu unterscheiden:

  • Digitale Grundkompetenzen: Umgang mit digitalen Informationen und der digitalen Kommunikation.
  • Kompetenzen für das Produktivitätsmanagement in einer digitalen Arbeitswelt: Beispielsweise, um Teams aus der Distanz zu führen.
  • Kompetenzen im Bereich Informationstechnologien und Prozessgestaltung: Um integrierte digitale Leistungsprozesse zu gestalten.
  • Kompetenzen im Bereich Führung und Veränderung: Um die erforderliche digitale Transformation der Organisation zu gestalten.

Eigenverantwortung und Lernbereitschaft

Die Digitalisierung strömt in viele Funktionsbereiche und erfordert von den Mitarbeitenden eine grosse Lernbereitschaft und ein hohes Mass an Eigenverantwortung. «Mitarbeitende brauchen ausreichend Freiraum für unterschiedliche Lernaktivitäten und ihre Selbstlernkompetenz sollte gezielt gestärkt werden», so Meier.

Noch dominieren in den Unternehmen Präsenztrainings. Die Anzahl der digital unterstützten Lernaktivitäten nimmt jedoch zu – besonders bei webbasierten Lernformaten mit kleineren Lerneinheiten, dem sogenannten Microlearning. Den Einstieg in neue Lernumgebungen erleichtern Smartphone-Lernapps, attraktive Learning-Experience-Plattformen, adaptive Lernumgebungen, die personalisierte Lernerfahrungen ermöglichen oder Inhalte, die sich durch ein durchdachtes Motivationsdesign auszeichnen.

Anleitung zum Selbstlernen

Damit Mitarbeitende zu selbstverantwortlichen Lernern werden, braucht es eine komplett neue Denkweise und eine passende Lernkultur, die darauf ausgerichtet ist, die Mitarbeitenden dabei zu unterstützen ihre Kompetenzpotenziale so gut wie möglich zu entwickeln.

Lernerfolg hängt laut Axel Koch vor allem mit zwei Faktoren zusammen: Zum einen müsse man sich fragen, wie sehr das Entwicklungsziel noch mit der Persönlichkeit, dem Weltbild und der Biografie des Mitarbeiters zu tun hat. Zum anderen sind Fähigkeit und Motivation zum selbstgesteuerten Lernen ausschlaggebend, beispielsweise, sich Lernziele zu setzen und die Lernzeit zu managen.

In der nächsten Stufe geht es darum, das Gelernte in den Arbeitsprozess zu integrieren, im Idealfall wird beides von Beginn an miteinander verknüpft. Tatsache aber ist, dass Wissen und Umsetzen zwei Paar Schuhe sind. «Das Umsetzen braucht Zeit und muss immer wieder trainiert werden», erklärt Koch. «Studien zufolge kann man davon ausgehen, dass nur 20 bis 30 Prozent der Mitarbeitenden sehr gute Selbstlerner sind, die anderen müssen im Lernprozess aktiv unterstützt werden.»

Quellen:

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