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«Das Wesentliche herausfiltern»
Dank E-Learning und digitalisierten Angeboten können sich Mitarbeitende zu jeder Zeit und individuell weiterbilden. Urantrieb des menschlichen Lernens sind aber neben der Arbeit auch das Gespräch, die Feier und das Spiel. Diese Erkenntnis sollten Unternehmen nicht ausser Acht lassen.
«Die gewählte Lernsituation soll Lust aufs Lernen machen», sagt Christoph Negri, Leiter des Instituts für Angewandte Psychologie IAP. (Bild: 123RF)
Mit einem Glas Wein in der Hand sitzen Sie gemütlich zu Hause auf dem Sofa und schauen sich auf Youtube das Lernvideo «Italienisch für Anfänger» an. Bei Unsicherheiten holen Sie sich Rat auf dem Chatkanal oder rufen das «Wissens-Siri» ab. So funktioniert Lernen im Jahr 2019.
Doch wie gestaltet sich digital-analog verknüpftes Lernen am wirksamsten? Wie geht man am besten damit um, dass aktuelles Wissen heute zu fast allen Themen immer und überall abrufbar ist?
Unterschätztes Learning on the Job
Der zentrale Punkt ist, aus der Menge an Informationen das Wesentliche und Relevante herauszufiltern und nutzbar zu machen. Zu 70 bis 80 Prozent findet Lernen nicht organisiert, sondern eher unstrukturiert statt: Sie fragen beispielsweise eine Arbeitskollegin, wie sie ein Problem löst und lernen in diesem Moment etwas Neues dazu. Oder Sie arbeiten an einem Projekt und eignen sich dadurch laufend neue Methoden an.
Wir lernen während der Arbeit «on the Job» sowie übergreifend und verknüpft in der Freizeit. Formales Lernen muss mit dem Arbeitsumfeld von Weiterbildungsteilnehmenden verbunden werden. Die Verbindung des informellen mit dem formalen Lernen sollte in den Unternehmen intensiver gefördert werden. Schaffen Sie deshalb eine Lernkultur, die verschiedene Lebensbereiche erfasst.
Lernsettings fördern
Am besten lernen Mitarbeitende in unterschiedlichen Lernsettings, mit verschiedenen Menschen und immer auf Augenhöhe. Etwa in Lerngemeinschaften wie Lerntandems, Lern- und Projektgruppen, Kursgruppen, Fachgemeinschaften oder Fach-Communities. Diese können in analogen Lern-, Erfahrungs-, Supervisions-, in Intervisionsgruppen oder in digitalen Whatsapp-, Slack-, Linkedin-, Facebook- oder Videokonferenzgruppen organisiert sein.
Die Örtlichkeiten zum analogen Wissensaustausch sollten so gestaltet sein, dass sich die Teilnehmenden in den Pausen, über Mittag oder in Kleingruppen austauschen und kennenlernen können. Denn das Lernen vor Ort ist mehr als eine reine Wissensvermittlung. Es fördert die Auseinandersetzung mit einem Thema und die Vernetzung, wirft neue Fragen auf und ermöglicht kreative und kommunikative Begegnungen.
Zusätzlich wird es den vier Urformen des Lernens gerecht: Arbeit, Gespräch, Feier und Spiel. Dafür braucht es inspirierende Lernräume, die möglichst viele Bedürfnisse der unterschiedlichen Lerntypen und Lernsituationen aufnehmen. Sie sollten Lust machen zu lernen, zu arbeiten, zu diskutieren – und auch miteinander Kaffee oder Tee zu trinken.
Bildung dezentraler und individueller gestalten
Wie auch immer gelernt wird: Mitarbeitende müssen zunehmend mehr Eigenverantwortung bei der Gestaltung ihrer Karrierepfade und bei der Strukturierung von Unternehmensprozessen übernehmen. Dies ist eine der wichtigsten Erkenntnisse aus den beiden IAP-Studien «Der Mensch in der Arbeitswelt 4.0» und «Learning and Development».
Nachrückende Fach- und Führungskräfte müssen die Rahmenbedingungen der Arbeitswelt 4.0 so gestalten, dass Mitarbeitende häufig widersprüchliche Informationen in der Wertschöpfung verstehen und ihr Handeln an der Schnelllebigkeit des digitalen Wandels ausrichten können. Damit dies gelingt, ist die Personalentwicklung gefordert, die Kernprozesse der Bildung, der Mitarbeiterförderung und der Organisationsentwicklung zukunftsgerecht zu gestalten.
Grosse Teile der Arbeitswelt werden immer mehr dezentralisiert und individualisiert: Danach sind auch Bildungsmassnahmen auszurichten. Innerbetriebliche Aus- und Weiterbildungsbeauftragte stehen in der Verantwortung, das organisatorische Lernen, die Lernkultur und die Lernpraxis im Unternehmen zu verändern. Möglichkeiten dafür gibt es zahlreiche:
- Stark reduzierte Präsenzkurse
- Digitale Lernwelten mit Blended Learning schaffen (Blended Learning heisst, computergestütztes Lernen über das Internet und den klassischen Unterricht zu kombinieren)
- Learning on the Job
- Wissensaneignung über E-Learning-Angebote und schnell abrufbarer Lerninhalte
- Digitalisierte Lernumgebungen
- Eine selbstbestimmte, selbstverantwortliche und dialogorientiere Lernkultur
- Neue zentrale Lern- und Kollaborationsformen
- Menschliches, emotionales Lernen, etwa durch Gespräche, Feiern oder Spiele als Urformen des Lernens
Präsenzkurse haben gemäss der IAP-Studien in den Unternehmen zunehmend ausgedient. Dagegen steigt das Angebot an digitalen Lernangeboten. Ausserdem integrieren Firmen das betriebliche Lernen zunehmend im Arbeitsalltag. Die Wissensaneignung erfolgt vermehrt über E-Learning und digitalisierte Lernangebote.
Dabei fördern Betriebe die Vernetzung über Lern- und Kollaborationsplattformen, die dieses «Peer-to-Peer»-Learning begünstigen. Dabei sollte der Urantrieb des menschlichen Lernens berücksichtigt werden: die Aktivierung von Emotionen – unter anderem durch Gespräche, Feiern und spielerische Aktivitäten.
Literatur:
- Becker, M. (2015). Personal- und Organisationsentwicklung in der Arbeitswelt 4.0. In K. Schwuchow & J. Gutmann (Hrsg.), Personalentwicklung. Themen, Trends, Best Practices 2016 (S. 197-205). Freiburg: Haufe Gruppe.
- Genner S., Probst L., Huber R., Werkmann-Karcher B., Gundrum E. & Majkovic A.-L. (2017). IAP Studie 2017. Der Mensch in der Arbeitswelt 4.0. Zürich: IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
- Majkovic, A.-L., Werkmann-Karcher, B., Gundrum, E., Birrer, J., Genner, S., Probst, L., Huber, R. & Pfister, A. (2018). IAP Studie 2017 – Teil 2. Der Mensch in der Arbeitswelt 4.0. Ergebnisse der qualitativen Interviews. Zürich: IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.