HR Today Nr. 1&2/2019: Learning – Wir wollen spielen!

Maschinen, die fühlen

Künstlich intelligente HR-Software leidet bisweilen an Vorurteilen gegenüber Frauen. Die Gretchenfrage ist, ob sich selbstlernende Maschinen menschliche Empfindungen wie etwa Mitgefühl aneignen können.

Dass künstliche Intelligenz Fehlüberlegungen anstellen kann, wenn sie nicht von einem Menschen an die kurze Leine genommen wird, zeigt ein Beispiel aus den USA. Der Versandriese Amazon machte dort jüngst negative Schlagzeilen mit seinem neuen Rekrutierungstool.

Die Software hatte einen Haken: Durch die Daten, mit denen sie gefüttert wurde, mochte sie Frauen deutlich weniger als Männer. Ausgangspunkt dafür war, dass Amazon wenig Frauen als Führungskräfte hat, weswegen sie in der Datenbank untervertreten sind. Basierend auf diesen Daten filterte die Software anschliessend potenzielle Bewerberinnen automatisch aus dem Rekrutierungsverfahren heraus.

Im Moment gilt also: Intelligente Software ist nur so schlau, wie die Daten, mit denen sie von Hand gefüttert wird. Noch braucht sie Menschen als notwendiges Korrektiv: «Um mit künstlicher Intelligenz umzugehen, ist nebst kreativem auch kritisches Denken ausserordentlich wichtig. Etwa um Vorschläge zu hinterfragen, die einem die Software unterbreitet», erklärt Karin Vey, Innovations- und Trendexpertin im Think-Lab der IBM-Forschung im zürcherischen Rüschlikon.

Maschinen, die tief lernen

Bereits wird orakelt, dass die künstliche Intelligenz (KI) – als Umschreibung für selbstlernende Maschinen – ein Wendepunkt der Technologiegeschichte sei: mindestens so weltverändernd wie die Erfindung des Internets, des PCs und des Smartphones. Allerdings versuchen Informatiker schon lange, Maschinen dazu zu bringen, Dinge tun, ohne dass diese vorher einprogrammiert wurden.

Im sogenannten Deep Learning wird mit künstlichen Neuronen die Funktionsweise eines menschlichen Gehirns nachgeahmt. Deep-Learning-Algorithmen werden mit Bildern und Informationen trainiert: Der Algorithmus vergleicht die Unterschiede und lernt, sie anhand von Beispielen selbst zu erkennen – ähnlich wie die Eltern ihrem Kind beibringen, wie ein Hund aussieht.

Skepsis innerhalb der Tech-Branche

Einige Experten gehen davon aus, dass es spätestens im Jahr 2050 Maschinen geben wird, die dem Menschen bezüglich Intelligenz das Wasser reichen können. Allerdings gibts in der Branche auch Skepsis: allen voran Microsoft-Gründer Bill Gates oder Tesla-Gründer Elon Musk.

Ziemlich weit verbreitet ist die Angst vor dem Jobverlust, weil man von einer Maschine ersetzt wird. Im HR-Bereich sehe er kurzfristig noch keine funktionierenden Lösungen, erklärt Hendrik Kellermeyer, Geschäftsführer von Perbit Software. Dazu brauche es grössere Datenmengen und darüber verfügen die Personaler (noch) nicht.

Auch Markus Schindler, Head of HR beim Branchen-Nachlieferwerk «Wer-liefert-was», zieht deutliche Grenzen: «Ich möchte, dass ein Bot Termine macht. Ich möchte allerdings nicht, dass er mir sagt, wie ich mit Bewerbern oder Mitarbeitern umzugehen habe.»

Angst ist ein schlechter Ratgeber

Gemäss heutigem Stand ist das menschliche Gehirn den meisten Maschinen überlegen: Während es über 85 Millionen Neuronen verfügt, hat das aktuell potenteste künstliche neuronale Netz etwa 100'000 Neuronen. Geht die Entwicklung jedoch in derselben Geschwindigkeit weiter, könnte es schon bald der Fall sein, dass wir unseren Kindern nicht mehr lernen, wie sie programmieren, sondern wie sie dem Computer die richtigen Beispiele zeigen.

Auswendig lernen können Maschinen jetzt schon besser. «Allerdings sollten wir nicht mit Maschinen konkurrieren», erklärt der Biochemiker und Neurowissenschaftler Henning Beck.

«In den Bereichen Empathie oder Ethik wird eine Maschine den Menschen niemals ersetzen können», sagte hingegen Ralf Grässler, Geschäftsführer der deutschen Firma VEDA für HR-Software-Lösungen, jüngst dem Branchenmagazin HR Software. «Wenn wir begreifen, dass Algorithmen uns bei vielen Tätigkeiten erfolgreich entlasten können, wird sich KI sukzessive in den Unternehmen durchsetzen.»

Ob skeptisch oder euphorisch, eine Erkenntnis bleibt gewiss: Angst ist ein schlechter Ratgeber. Auch im HR gilt es, mutig und selbstbewusst nach vorne zu schauen. Und manchmal hilft es, sich vor Augen zu führen: Die Maschine, welche die Zukunft wahrheitsgetreu voraussieht, wurde noch nicht erschaffen.

Quellen:

  • Spiegel, Nr. 46, 10.11.2018
  • Human Resources Manager, Ausgaben Oktober/November und Juni/Juli 2018
  • HR-Software, 7_2018

AXA setzt auf Analytix

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Christine Krieger, Head «Employee Lifecycle» bei AXA.

Software für People Analytics wird als künstlich intelligent bezeichnet: Sie lernt ständig dazu, je mehr Informationen sie aus Datenbanken verarbeitet. Bei der AXA fühlt man sich deshalb vor Fehlanalysen wie im Fall von Amazon gefeit. Im Herbst 2017 startete AXA mit den «Virtual Career Assistants». Dabei handelt es sich um eine Plattform, die derzeit vier verschiedene Tools umfasst.
Die Applikationen unterstützen die Mitarbeitenden dabei, ihre Fähigkeiten und Vorlieben zu erkennen und darauf basierend passende Weiterbildungs- und Stellenangebote zu finden. Innerhalb eines Monats wurde ein Mobilitäts-Roboter – der «MobRob» – entwickelt. Er beantwortet die Frage, inwieweit der eigene Job von der Automatisierung betroffen ist. Es ist wohl Ironie des Schicksals, dass ein Roboter einem mitteilt, ob man dereinst von ihm ersetzt wird …

Mit dem inHR Award ausgezeichnet
Seit Sommer 2018 arbeitet AXA zusätzlich mit dem Schweizer Start-up People-Analytix zusammen. «Wir bieten Mitarbeitenden ein Tool, das ihnen aufgrund bestehender Fähigkeiten neue Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten bis hin zu einem Jobwechsel aufzeigt, aber auch Transparenz über ihre Fähigkeiten schafft», erklärt Christine Krieger, Head «Employee Lifecycle» bei AXA. Man befinde sich zurzeit noch in der Pilotphase. Der Anteil von momentan rund zehn Prozent der Belegschaft mit Zugang zu den «Virtual Career Assistants» soll sich noch erheblich steigern.
Für die Implementierung gewann AXA im vergangenen Jahr den inHR Award in der Kategorie «Neue Arbeit». Dieser Award wurde von SAP, Deloitte, der HSG St.Gallen und der NZZ erstmals verliehen.
Ob ein Gender-Gau wie bei Amazon ebenfalls möglich wäre? «Die Software wurde anhand von Millionen Stellenanzeigen trainiert und lernt auch aus der Interaktion mit den Benutzern», erklärt Krieger. Bislang hat AXA keine geschlechterspezifischen Tendenzen festgestellt. Sollte dies der Fall sein, habe der Algorithmus den Vorteil, dass er leichter zu beeinflussen sei als mögliche menschliche Vorurteile, aus denen er gelernt habe.

Buch zum Thema

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Die beiden Autoren Paul Daugherty und James Wilson kommen im Buch «Human + Machine» zum Fazit, dass Maschinen weder die Weltherrschaft übernehmen, noch menschliche Arbeitskraft überflüssig machen. Vielmehr schafft es die selbstlernende künstliche Intelligenz, die menschlichen Fähigkeiten zu verstärken.

Paul R. Daugherty, H. James Wilson, Human + Machine. Künstliche Intelligenz und die Zukunft der Arbeit, dtv, 274 Seiten.

Was ist eigentlich ...

Künstliche Intelligenz (KI) oder englisch Artificial Intelligence (AI) ist ein Zweig der Wissenschaft, der sich mit der Simulation und Ausübung eines intelligenten Verhaltens von Maschinen und deren softwarebasierten Steuerungen beschäftigt. Dabei werden die Fähigkeiten eines Systems so angelegt, dass ein intelligentes und menschlich anmutendes Verhalten nachgeahmt wird.

KI-Systeme können auf der Grundlage ihrer Umgebung rationale Analysen, Empfehlungen und Entscheidungen abgeben, beziehungsweise treffen. Je mehr Daten sie durch sorgfältig entwickelte Algorithmen sammeln und analysieren, desto genauer sind ihre Vorhersagen und die Präzision ihrer Handlungen.

 

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Mario Wittenwiler ist Redaktor bei HR Today.

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