Lohntransparenz: Angestellte fordern Offenheit
Das Tabu, über den Lohn zu sprechen, bröckelt: Eine Mehrheit der Angestellten fordert mehr Offenheit in Gehaltsfragen, zeigt eine Umfrage. Besonders die jüngere Generation drängt auf Transparenz, die nicht nur das Vertrauen in Arbeitgebende stärkt, sondern auch neue Talente anlockt.
Wer erhält mehr und wieso? Angestellte fordern mehr Lohntransparenz. (Bild: iStock)
Viele Beschäftigte wüssten gerne bereits vor einer möglichen Bewerbung, mit welchem Gehalt sie später rechnen können. Das ergab die Studie «Stellenausschreibungen 2023», in der sich 71 Prozent der Befragten für eine Offenlegung bereits in der Jobbeschreibung aussprachen. Der «Greenhouse Candidate Experience Report 2023» hat darüber hinaus ermittelt, dass Bewerberinnen und Bewerber einen so grossen Wert auf transparente Vergütung legen, dass die Entscheidung eines Unternehmens, die Gehaltsspanne zu veröffentlichen, Einfluss darauf hat, ob sich Kandidaten und Kandidatinnen überhaupt auf eine Stelle bewerben. Doch die Attraktivität für neue Talente ist nicht der einzige Vorteil für eine offene, proaktive Kommunikation über das Gehalt von Arbeitgeberseite.
Kosten- und Zeitersparnisse durch erfolgreiches Erwartungsmanagement
Filtern von Stellenanzeigen, Schreiben von Bewerbungen, Vorbereitung auf Vorstellungsgespräche: Menschen auf Jobsuche investieren in der Regel viel Zeit, bevor es zum ersten persönlichen Gespräch mit ihren potenziellen neuen Arbeitgebenden kommt. Und auch für Arbeitgebende bindet das Sondieren von Bewerbungen Zeit. Passen die Gehaltsvorstellungen dann nicht zusammen, haben beide Seiten bereits viel investiert. Ressourcen, die eingespart werden könnten, wenn die Gehaltsspanne bereits in der Jobbeschreibung kommuniziert würde.
«Kommunizieren Arbeitgebende eigeninitiativ, wie welche Positionen vergütet werden und nach welchen Kriterien Beförderungen erfolgen, stärken sie dadurch sowohl das Vertrauen in die Zusammenarbeit als auch das Vertrauen in die Entwicklung des Unternehmens.»
Stärkung von Vertrauen und Wertschätzung durch offene Kommunikation
Legen Unternehmen ihre Gehaltsstruktur nicht proaktiv offen, sind private Gespräche unter Kollegen und Kolleginnen vorprogrammiert. Gehälter werden verglichen und gerade aufgrund von Remote Work, Benefits und der Diversifizierung von Rollen können Unterschiede schnell zu Unklarheiten führen. Kommunizieren Arbeitgebende eigeninitiativ, wie welche Positionen vergütet werden und nach welchen Kriterien Beförderungen erfolgen, stärken sie dadurch sowohl das Vertrauen in die Zusammenarbeit als auch das Vertrauen in die Entwicklung des Unternehmens. Insbesondere wenn Teams über Ländergrenzen hinweg arbeiten. kann Gehaltstransparenz einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil darstellen, denn in manchen Ländern (wie beispielsweise Norwegen, Schweden, Island, aber auch in Teilen der USA) ist die offene Kommunikation über das Gehalt bereits Normalität.
Förderung von Chancengleichheit durch mehr Transparenz
In vielen Unternehmen werden Gehälter noch immer individuell verhandelt. Während Unterschiede aufgrund von Position, zusätzlichen Qualifikationen oder langjähriger Erfahrung legitim sind, gilt dies nicht für Abweichungen, die auf unbewussten Vorurteilen von Personalverantwortlichen basieren. Auch das Argument des «besseren Verhandlungsgeschickes» muss spätestens seit dem wegweisenden Urteil des deutschen Bundesverfassungsgericht am Equal Pay Day im vergangenen Jahr zurückgewiesen werden. Seit dem Urteil haben in Deutschen Frauen bei gleicher Qualifikation Anspruch auf die gleiche Bezahlung wie ihre männlichen Kollegen, auch wenn diese höhere Gehälter ausgehandelt haben. Ähnlich ist die Rechtslage der Schweiz – zumindest auf längere Frist könne gemäss Gleichstellungsgesetz eine ungleiche Entlohnung von Mann und Frau nicht mit dem besseren Verhandeln eines Arbeitnehmers gerechtfertigt werden, sagt Roger Rudolph, Experte für Arbeitsrecht und Professor an der Uni Zürich gegenüber «20 Minuten».
In der Schweiz besteht mit einer durchschnittlichen Differenz von jeweils 18 Prozent zwischen den Gehältern von Männern und Frauen allerdings ebenso viel Nachholbedarf wie in Deutschland. Gehaltstransparenz kann deshalb ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung und Fairness im Arbeitsleben sein. Das gilt sowohl für das Verhältnis zwischen den Geschlechtern als auch für andere Gruppen, die von Arbeitgeberseite überdurchschnittlich oft mit Vorurteilen konfrontiert sind.
Vorteile der Gehaltstransparenz überwiegen Nachteile
Der transparente Umgang über das Gehalt ersetzt Vermutungen durch Gewissheiten. Wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wissen, was Kollegen und Kolleginnen verdienen oder andere Unternehmen bezahlen, kennen sie ihren Marktwert. Die hierdurch gestärkte Verhandlungsposition wird von Arbeitgeberseite nicht immer als Vorteil angesehen. Doch das Gehalt ist nicht der Hauptgrund, warum Mitarbeitende den Arbeitgebende wechseln. Für rund 60 Prozent ist laut einer repräsentativen Umfrage in der DACH-Region die Unternehmenskultur, dicht gefolgt von flexiblen Arbeitszeiten, ausschlaggebend. Damit dürfte klar sein: Die Vorteile von Gehaltstransparenz überwiegen die Nachteile – und zwar sowohl auf Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberseite.