Karriereoptionen

Was darf es sein? Pfeil-, Bogen- oder Wellenkarriere?

So können Leistungsfähigkeit, Zufriedenheit und Mitarbeiter-Retention unter einen Hut gebracht werden.

Menschen möchten und wollen länger arbeiten. Aber noch immer herrschen Karrieremuster vor, die eine lineare Richtung vorzeichnen: nach vorne und nach oben. Gleichzeitig drängen persönliche Präferenzen – beispielsweise mehr Privatleben statt nur Arbeit oder Teilzeit statt Vollzeit – in den Vordergrund. Besonders für Laufbahnmuster mal mit und mal ohne Führungsposition gibt es noch nicht einmal einen einheitlichen Begriff: Ist es eine Spiralkarriere? Oder eine Wellenbewegung? Eine Sinuslaufbahn oder eine Bogenkarriere? Manche sprechen garstig von einem «Downsizing». Dagegen nimmt es Loopings, ein Netzwerk für Arbeit 45+, lustig und spricht von «Criss-Cross-Karriere».

Den Career Cycle neu denken

Lebenslanges Lernen wird zwar angepriesen, doch es ist ebenso wenig systematisch verankert wie ein Wechsel «up and down» in der Hierarchie. Dabei ist es elementar, dass bei mehr älteren und weniger jüngeren Arbeitnehmenden die Laufbahn automatisch bunter und rumpliger wird. Umso mehr punktet ein Unternehmen, wenn es unterschiedliche Erwerbs- und Funktionsmuster seiner Mitarbeitenden zulässt und auch thematisiert. Denn diese schätzen die Möglichkeit, sich mit sich selbst auseinandersetzen zu dürfen, und bedanken sich dafür mit Motivation und Loyalität.

Persönliches Wachstum ist ein Mehrwert

Laut Heike Bruch von der Universität St. Gallen, die zur Arbeitswelt forscht, beginnt die Beschleunigung der Arbeitswelt gerade erst. Rechnet man die Arbeit ein, die aufgrund der Digitalisierung anders und aufgrund KI-gestützter Prozesse transformiert wird, so tut es höchste Not, die Mitarbeitenden dazu aufzufordern, ihre innere Balance zu finden und zu halten.

Spricht man mit Menschen, die im Lebenslauf mehrfach zwischen Führungspositionen und Funktionen ohne Personalverantwortung gewechselt haben, so fällt auf, dass selbst sie keine klare Begrifflichkeit verwenden. Sie sind quasi alleine mit «ihrem» Modell. Dabei erleben sie oft eine persönliche Befriedigung. So finden sich frische Metaphern, die weit entfernt liegen von mit Ranküne behafteter Eitelkeit, wie «wieder ein Stück mehr Ich werden». Oder sie stellen schlicht fest, nun mehr Herrschaft über die eigene Agenda zu haben, keine Überstunden mehr leisten und keine Mitarbeiterführung mehr wahrnehmen zu müssen.

Das soziale Gefüge wird tangiert

Dem gegenüber reagiert das Umfeld oft mit Ratlosigkeit: Soll man denn nun gratulieren, wenn der Chef zum Mitarbeiter wird und die Chefin sich zu ihrer eigenen Stellvertreterin macht? Wird hier etwa bloss verschleiert, dass jemand eigentlich «degradiert» wurde?

Augenscheinlich basieren solche Wechsel auf Bedürfnissen, die zumindest im Nachhinein anerkannt werden: «Ich habe eigentlich immer zu viel gearbeitet», wäre eine solche Aussage. Sollen solche persönlichen Bedürfnisbefriedigungen in der Arbeit weiter Verbreitung erhalten, sind Erkenntnisse rund um folgende Klippen mitzunehmen:

  • Wechseln Führungskräfte auf einen niedrigeren Level, so ist die Kommunikation entscheidend für das Gelingen.
  • Die Motivik und das Einvernehmen müssen kommuniziert werden.
  • Ist in der neuen untergeordneten Funktion genügend befriedigendes Futter für die neu in das Team kommende Ex-Vorgesetzte vorhanden?
  • Die neue und die bisherige Führungskraft müssen sich über ihre jeweiligen neuen Rollen klar sein.
  • Ist die neue Führungskraft genügend sensibilisiert, dass sie ihren eigenen Stil in der Führung praktizieren darf und dass sich dieser von jenem der bisherigen unterscheiden darf? Und sind sich alle darüber im Klaren?
  • Wie wird der Wissensfluss geregelt gegenüber der vormaligen Führungskraft, die vorher selbst in der ersten Reihe stand, wenn es um Chefsachen ging? Erhält diese noch Bonus-Wissen?
  • Wurden ausreichend Gespräche geführt, wie lange dieses Modell installiert sein soll? Oder auch darüber, ob dieses einen Zweck verfolgt, wie beispielsweise den Eintritt einer Führungskraft in die Pension zu regeln.

Vorteile einer Wellenkarriere

Mit einem Wellenmodell lässt sich die lange Erwerbszeit abwechslungsreich gestalten und die oder der Einzelne fühlt sich selbstbestimmter je nach Lebensweise. Wellenkarrieren entsprechen zudem den zukünftigen Anforderungen, die Lebens- und Arbeitszeit selbstbestimmt zu gestalten:

  • Forschungsergebnisse bestätigen, dass eine gründliche berufliche Standortbestimmung zwischen 40 und 50 präventiv vor Burnout und Ausbremsung in späteren Berufsjahren schützt. Dann ist ein Moment, einer Welle Richtung zu geben; soll es hierarchisch und linear «aufwärts» gehen, soll das persönliche Befinden eine grössere Rolle spielen oder sagt einem das Gespür, dass es im Leben noch etwas anderes zu tun gäbe?
  • Weiterbildung kann hier helfen, das Ruder umzuwerfen und die Segel neu zu setzen, um für weitere Jahrzehnte oder Jahre gerüstet und engagiert zu sein.
  • Mitarbeitende, die wissen, weshalb sie (noch) bei der Firma sind, kühlen weniger leicht aus. Und eine Firma verringert so die Anzahl Mitarbeitende, die sich minder geschätzt vorkommen und die Faust im Sack machen.
  • Spiralperioden in der Laufbahn können auch geeignet sein, Betreuungsphasen von Angehörigen zu überbrücken, oder als Vor- oder Nachphase von Sabbaticals oder Auszeiten betrachtet werden – sie verstärken persönliche Reflexions- und Reifeprozesse.
  • Wird aktiv geschult und werden neuen Kompetenzen vermittelt, so verbleiben bei der Akzeptanz von linearen Karrierebildern mehr Personen im Unternehmen und ihr Wissen wird gesichert. Kurz: Dem Arbeitskräftemangel kann auch so begegnet werden.
  • Schliesslich zahlen «bunte» Karrieren in das betriebliche Gesundheitsmanagement ein: Zufriedene Mitarbeitende sind eine gute Investition in die Krankheitsprävention.

Nachteile einer Spiralkarriere

Verantwortliche und Beteiligte müssen sich auch über potenzielle Kehrseiten der Medaille im Klaren sein und sorgfältig überlegen, für welche Berufs- und Lebensetappe eine Spiralphase allenfalls in Frage kommt:

  • Wie sieht die Finanzplanung der oder des Betroffenen aus? Welchen Impact hat diese auch beispielsweise auf Angehörige? Was bedeuten die Einbussen an Einkommen und entsprechenden Pensionsansprüchen?
  • Sind die Beteiligten selbstbewusst genug, solche Modelle in der Firma nach aussen zu vertreten und den Teilhabenden den notwendigen psychologischen Schutz zu spenden? Ist eine solche Denkweise nicht «top-down» verankert – möglichst in einer Strategie – bleiben Spiral- und Wellenmodelle vereinzelte Initiativen von einigen Interessierten, die deshalb entsprechend exponiert und schutzlos sind.
  • Bei der Kommunikation von Spiral- und Wellenkarrieren und bei der Beseitigung potenzieller Vorbehalte im sozialen Umfeld kann vorübergehend Mehraufwand anfallen. Dieser kann jedoch positiv genutzt werden, indem dazu Erfolgstorys erzählt werden.
  • Herkömmliche Mitarbeitergespräche und vorhandene Lohnbänder und Funktionsgruppen zementieren eher Bestehendes, statt «Look Arounds» zu fördern. Übrigens können alternative Modelle auch genutzt werden, um die altertümliche Form von «Leistungsmessung» zu hinterfragen. So bringt die Innovation zugleich einen organisationalen Mehrwert.

Dem Mythos Führung begegnen

Beim Entscheid für oder gegen eine Wellenkarriere soll nicht versäumt werden, Folgendes zu hinterfragen: Strebt man wirklich eine Führungsfunktion an? Oder nicht eher eine Fach- oder einfach eine Projekttätigkeit? Mitarbeitende und das HR sollten sich bei der Personalentwicklung vor Augen führen, dass offen über Vor- und Nachteile einer leitenden Tätigkeit gesprochen werden kann. Schliesslich kann Führung auch banal und mühselig sein. Administrative Leerläufe und Konflikthandling wie im Kindergarten sind weniger sexy als Innovation. Und viele sind es leid, ihre Zeit in schlecht geführten Sitzungen abzusitzen statt «vorwärtszumachen», und fühlen sich unfähig, dies zu ändern. Denn nach Heike Bruch verfügen nur 13 Prozent der Firmen über eine moderne Führungskultur. Ist es das also wert? Und wahr ist auch: Ein höherer Lohn stellt auch einen Ausgleich für eine unattraktive Rolle und einen harten Job dar.

Führung und HR müssen zusammenspannen

Ein entscheidender Hebel von Mosaikkarrieren kommt dem Zusammenspiel der Linie mit dem Human Ressource Management zu: Fühlt sich die Personalabteilung ermutigt, unorthodoxe Wege und Lösungen vorzuschlagen? Denken Vorgesetzte überhaupt jenseits der Linie?

Hier kann wechselseitig geschult und sensibilisiert werden. Andererseits braucht es eben auch das Commitment, offen zu denken und einen Wandel einzuberufen. Die Krux ist oft auch: Ein HR an der kurzen Leine wird sich nicht getrauen, andersartige Anstellungsmodelle zu vertreten, wenn es nicht Offenheit verspürt. Dabei lautet eines der schlagkräftigen Argumente, dass damit dem Fachkräftemangel entgegengetreten werden kann: Schult man die Mitarbeitenden neu und rotiert man intern, können notwendige Neuanstellungen im leeren Markt verringert werden und das Wissen bleibt im Haus. Damit wächst gleichzeitig nach aussen der Wert des Employer Brandings, wenn dazu auch Storytelling betrieben wird. In der eigenen Wertewelt braucht es dazu aber auch einen Perspektivwechsel: Sind auch 50+-Mitarbeitende – notabene bald eine Mehrheit – High Potentials?

New Work ist auch New Career

Es gibt wieder Abenteuer und Mut im Berufsleben – vorausgesetzt man lässt sich darauf ein. Innovative und kollaborative Arbeitsformen, wie sie die komplexe Arbeitswelt erfordert, halten Einzug, und auch die Digitalisierung, die Agilisierung verlangt. Deshalb ist New Work nicht ohne neue Anstellungsmodelle zu haben. Und diese erfordern den Respekt vor Grundbedürfnissen wie Zugehörigkeit sowie Austausch- und Wachstumsmöglichkeit der Betriebsangehörigen. Diese sind Bedingungen für Zufriedenheit und damit Gesundheit im Job. So gesehen hat der Blick auf Lebens- und Berufslaufbahnen den Kotau vor der Linearität längst verloren.

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Ursula Meyerhofer Fahlbusch hilft, die Risiken der Digitalisierung zu meistern. Wie man mit mehr Kooperation, idealen Wissenstransfers und höherer Arbeitgeberattraktivität strategisch und operativ zukunftsfähig bleibt. www.menschundzukunft.com

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